Hamburg. Die Kiezkicker unterliegen dem Zweitliga-Rivalen im Viertelfinale im Elfmeterschießen und kassieren die erste Pflichtspielpleite.
Es lag etwas in der Luft im Millerntor-Stadion. Eine magische Pokalnacht? Revanche, die Fortuna Düsseldorf nach der 1:2-Heimpleite in der Zweiten Liga vom Sonnabend am FC St. Pauli nehmen wollte?
In jedem Fall dieses nur erlebbare, aber unbeschreibliche Gefühl, das ein DFB-Pokal-Viertelfinale von einer gewöhnlichen Begegnung in der Liga spürbar abhebt. Und würde Geld riechen, dann hätten auch dessen vermutlich süßen Ausdünstungen das Stadion erfüllt. Der Halbfinaleinzug wurde mit rund 3,4 Millionen Euro prämiert.
FC St. Pauli unterliegt Düsseldorf im Viertelfinale
Am späten Dienstagabend um 23.40 Uhr gab es schließlich die Antwort, was da durch die Luft schwirrte: verrückte Geschichte. Nichts weniger als eines der wichtigsten Spiele der jüngeren Vereinshistorie lag hinter dem Kiezclub. Der Traum vom erst zweiten Vorstoß jemals in die Vorschlussrunde war greifbar – platzte nach dem 4:5 (0:1, 1:1, 2:2) nach Elfmeterschießen aber wie ein Luftballon. Die erste Niederlage im 23. Pflichtspiel dieser Saison, sie kam zu einer denkbar bitteren Gelegenheit, und sie kam nicht unverdient.
Pure Enttäuschung bei der Mannschaft von Cheftrainer Fabian Hürzeler, dessen Akteure erschöpft wie enttäuscht gleichermaßen zu Boden sanken. Marcel Hartel und Maurides hatten vom Punkt vergeben, den Offensivkräften kamen die Tränen. Sie waren nicht die Einzigen nach einem großen Kampf.
"Wir haben uns die Niederlage in Teilen selbst anzukreiden, weil wir nicht das gezeigt haben, was wir eigentlich können. Nun ist entscheidend, welche Reaktion wir zeigen", sagte Hürzeler.
Anderes Spiel als in der Liga
Doch jede Geschichte hat ihren Anfang. Bei dieser lagen zunächst Rauchschwaden in der Luft, da die Gästefans mit Anpfiff die ersten Pyros abfackelten. Schon bei der Ankunft der rund 1000 Düsseldorfer Fans am Hauptbahnhof wurde vereinzelt Pyrotechnik gezündet. Ansonsten kam es bei der An- und Abreise laut der Bundespolizei zu "keinen besonderen Vorkommnissen".
Generell entwickelte sich ein ganz anderes Duell als das am Sonnabend, das St. Pauli dominiert hatte. Wesentlich vorsichtiger agierten die Kontrahenten wegen des K.-o.-Charakters sowie der ungemeinen Kilometerzahl, die sie im ersten Aufeinandertreffen abgespult hatten.
Hürzeler rotiert auf drei Positionen
Angesichts von nur 72 Stunden und 15 Minuten, die zwischen den Anstoßzeiten beider Partien lagen, hatte sich Hürzeler dazu entschieden, auf drei Positionen zu rotieren. Dass Sascha Burchert Nikola Vasilj im Tor vertritt, war zu erwarten gewesen.
Auch der Einsatz von Lars Ritzka kam keiner Überraschung gleich, der des zuletzt selten überzeugenden Linksaußen Etienne Amenyido anstelle von Elias Saad hingegen schon. Es zahlte sich nicht aus. Amenyido wurde zur Halbzeit gegen Saad ausgewechselt.
Schwache erste Halbzeit
Erst nach einer Viertelstunde segelte so etwas wie ein nennenswerter Torschuss von Fortunas Ao Tanaka durch die Luft und an Burcherts Kasten vorbei. Auf der Gegenseite hatte Mittelstürmer Johannes Eggestein die erste Chance, als sein Versuch aus gut 20 Metern nicht entscheidend abgefälscht wurde (27.).
Ansonsten ließen die Hamburger vor den Augen von DFB-Präsident Bernd Neuendorf und -Geschäftsführer Andreas Rettig kaum an ihre Dominanz der bisherigen Saison, in der noch kein Pflichtspiel verloren gegangen war, erinnern. Gegen zurückgezogene Rheinländer fehlte es an Ideen und vor allem Tempo.
Vermeij bringt Fortuna in Führung
Die erste Halbzeit war sicher eine der schwächsten dieser Spielzeit. Und die Quittung dafür erhielten die Gastgeber prompt, als Vincent Vermeij durchbrach, den Ball an Burchert vorbeispitzelte und vom Keeper gefällt wurde.
Schiedsrichter Sascha Stegemann entschied initial auf Elfmeter, nahm die Entscheidung wegen angeblicher Abseitsstellung wieder zurück – um schließlich die Rücknahme nach Überprüfung durch den Videoschiedsrichter wieder zurückzunehmen. Da lag nichts in der Luft, da ging das Publikum in die Luft.
Hürzeler kassiert wieder Gelb
Und der Strafstoß ins Tor (38.). Ein wenig Ironie war dabei, da Torschütze Vermeij am Sonnabend noch einen von Marcel Hartel verwandelten Handelfmeter verursacht hatte.
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Frustration bahnte sich ihren Weg. Hürzeler holte sich im ersten Spiel nach seiner Gelbsperre direkt wieder eine Verwarnung ab (51.). Das große Aber: Durch den Schwung von Saad und vor allem den Dampf des ebenfalls gekommenen Manolis Saliakas fand St. Pauli zunehmend Lücken, und Tanaka sich plötzlich auf den Füßen von Philipp Treu wieder – Strafstoß.
Hartel gleicht vom Punkt aus
Wie am Wochenende das Duell Hartel gegen Florian Kastenmeier. Wieder links unten. Wieder Tor (60.). Natürlich, wenn Hartel antritt. Typ Luftikus, aber nie eine Luftnummer.
Allerdings schien es danach, als würde beiden Mannschaften langsam die Luft ausgehen – oder durch den enormen Druck wegbleiben. Zwar investierten die Braun-Weißen deutlich mehr nach vorn als die Fortuna, aber ein Durchkommen war gegen einen nun komplett aufs Kontern fixierten Gast nur bis zum letzten Drittel möglich. Geschichte kann trocken wirken, zugleich aber spannend sein. Und sie kann dauern – Verlängerung.
Burchert-Patzer in der Verlängerung
Quälen kann sie freilich auch. Beispielsweise, wenn man geneigt ist, das „natürlich“ bei Hartels Treffern zu streichen, da der Mittelfeldspieler den Schuss zum eigentlich sicheren 2:1 freistehend aus gut acht Metern vergab (97.).
Ganz besonders kann Geschichte auch verdammt wehtun. Burchert, als Pokaltorwart in einer idealen Erzählung der große Held, verkam zur tragischen Figur.
Hürzeler fliegt von der Bank
Einen 25-Meter-Hammer von Christoph Daferner hielt der 34-Jährige nicht richtig fest, Tanaka grätschte die Kugel ins Netz, bevor sich Burchert aufrichten konnte (99.).
Mit ihm war schien auch sein Team mehr in der Lage zu sein, sich entscheidend aufzubäumen. Stattdessen flog Hürzeler mit Gelb-Rot vom Platz (120.), auch wieder so eine Geschichte.
Drama im Elfmeterschießen
Denn am Sonnabend hatte ihn Co-Trainer Peter Németh erfolgreich vertreten, nun musste der Slowake wieder übernehmen. Und das war es an diesem Abend auch noch nicht. In der Nachspielzeit der Verlängerung köpfte Carlo Boukhalfa den Ball zum umjubelten 2:2 ins Düsseldorfer Tor. So musste das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen.
Hier war St. Pauli schon auf dem Weg ins Halbfinale, als Burchert gegen Daferner hielt. Doch dann pariert Düsseldorfs Keeper Kastenmeier die Schüsse von Maurides und Hartel, der noch nicht einmal seine zweite Chance nutzen konnte, die ihm Schiedsrichter Stegemann gewährt hatte. Selbst ein Németh an der Seitenlinie konnte das Drama vom Punkt nicht verhindern. Bei St. Pauli ist die Luft im DFB-Pokal raus.
FC St. Pauli: Burchert - Wahl, Smith, Mets - Treu, Kemlein (74. Boukhalfa), Hartel, Ritzka (46. Saliakas) - Afolayan (99. Sinani), Eggestein (74. Maurides), Amenyido (46. Saad).
Fortuna Düsseldorf: Kastenmeier - Iyoha (12. Uchino), Hoffmann, de Wijs (91. Quarshie), Gavory - Klaus (86. Niemiec), Engelhardt, Johannesson (91. Zimmermann) - Tanaka - Vermeij (68. Daferner), Tzolis.
Tore: 0:1 Vermeij (38./Foulelfmeter), 1:1 Hartel (60./Foulelfmeter), 1:2 Tanaka (99.), 2:2 Boukhalfa (120.+1). Elfmeterschießen: 3:2 Smith, 3:3 Hoffmann, 4:3 Saad, Burchert hält gegen Daferner, 5:3 Sinani, 5:4 Engelhardt, Kastenmeier hält gegen Maurides, 4:4 Tanaka, Kastenmeier hält gegen Hartel, 4:5 Tzolis. Schiedsrichter: Stegemann (Niederkassel). Zuschauer: 29.546 (ausverkauft). Gelbe Karten: Burchert, Hürzeler, Saliakas (2), Mets - Hoffmann (2). Statistiken: Torschüsse: 12:9; Ecken: 1:1; Ballbesitz: 57:43 Prozent; Zweikämpfe: 140:140.