Hamburg. Vor einem Jahr trainierte Fabian Hürzeler erstmals als Chef den FC St. Pauli. Wieso ihn diese Erfolgsstory aber nur wenig interessiert.

Der 9. Dezember 2022 war nach trüben Wochen wieder der erste freundliche Tag in Hamburg. Immerhin 3,7 Stunden lang schien die Sonne, nachdem sie sich zuvor tagelang überhaupt nicht hatte blicken lassen. Kühl war es dennoch, zwischen -2,1 und plus 2,3 Grad Celsius schwankte das Thermometer.

Kaum jemand wird sich heute so genau an diese meteorologischen Details erinnern, Fabian Hürzeler aber war bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal mehr bewusst, dass dieser 9. Dezember 2022 eine ganz wichtige Marke in seiner Trainerlaufbahn darstellt. An jenem Freitag vor dem dritten Advent hatte er erstmals als Chef das Training des FC St. Pauli, nachdem er drei Tage zuvor zunächst zum Interimstrainer und Nachfolger von Timo Schultz ernannt worden war.

St. Paulis Trainer Hürzeler war am 9. Dezember 2022 erstmals als Chef auf dem Platz

„Ehrlich gesagt wusste ich das gar nicht, bis vor zwei Tagen mein Torwarttrainer Marco Knoop auf mich zukam und mir sagte, dass vor einem Jahr unser Start hier war“, gab Hürzeler am Donnerstag auf Nachfrage des Abendblatts offen zu. „Die Zeit ist extrem schnell vergangen, es ist sehr viel passiert und ich habe viele, viele Dinge gelernt in vielen Bereichen. Der Job des Trainers ist ja extrem facettenreich“, sagte der 30-Jährige weiter. Konkret nannte er dabei den Umgang mit den Medien, dem Staff und den Spielern. „Es kommt darauf an, die Menschen dahinter zu sehen und ihnen zuzuhören.“

Da er schon das Datum seines ersten Trainings in verantwortlicher Position nicht präsent hatte, liegt es auf der Hand, dass er sich auch nicht die Muße genommen hat, das in den vergangenen zwölf Monaten Erlebte und Erreichte Revue passieren zu lassen. Ohnehin liegt die Retrospektive eher weniger in seinem Naturell. „Ich habe auch gar nicht die Zeit dafür, sondern versuche, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren“, sagt er.

72 Punkte in 32 Spielen sind für St. Pauli einzigartig

Gerade noch hat er mit seinem Team das Viertelfinale des DFB-Pokals erreicht, da wartet am Sonnabend schon das Zweitliga-Auswärtsspiel beim alten Nordrivalen VfL Osnabrück, in dem es gilt, die Zweitliga-Tabellenführung zu verteidigen. „Fußball ist ein Tagesgeschäft. Ich versuche, darauf meinen großen Fokus zu legen. Es macht mir einfach sehr großen Spaß, mit der Mannschaft zu arbeiten.“

Es fällt leicht, Hürzeler dies abzunehmen, schließlich haben sich etliche seiner Spieler und die Mannschaft als Ganzes binnen eines Jahres deutlich weiterentwickelt. Dazu kommt eine einzigartige Erfolgsserie, die es zu Profizeiten beim FC St. Pauli noch nie und auch sonst in den beiden oberen Ligen nur äußerst selten gegeben hat. 32 Ligaspiele mit 21 Siegen, neun Unentschieden und nur zwei Niederlagen, in Summe also 72 Punkte, stehen in Hürzelers bisheriger Bilanz als Cheftrainer seiner ersten Profistation. Drei Siege im DFB-Pokal kommen noch hinzu.

Hürzeler betont, nur an die Gegenwart zu denken

Was hat er sich ausgemalt, als die Führung des FC St. Pauli am Nikolaustag 2022 nach vierwöchiger Beratung die Entscheidung verkündete, seinen bisherigen Chef Schultz zu beurlauben und ihm zunächst quasi auf Bewährung die Verantwortung als Trainer zu übertragen? Auch da kommt der nüchterne Realist in Hürzeler zum Vorschein. „Ich denke tatsächlich auch heute nicht daran, was im nächsten Jahr oder in den nächsten Spielen passieren wird. Daher habe ich auch damals nicht daran gedacht, wie alles wird. Mein Fokus liegt immer auf dem Hier und Jetzt und auf der Arbeit mit der Mannschaft“, betonte er.

An diesem Sonnabend nun jährt sich Hürzelers Amtsantritt als Chefcoach also zum ersten Mal, passenderweise mit einem Punktspiel zur Primetime. Um 20.30 Uhr wird im 15.741 Zuschauer fassenden Stadion an der Bremer Brücke das ungleiche Duell zwischen dem Schlusslicht VfL Osnabrück und dem Spitzenreiter vom Millerntor angepfiffen.

Am Sonnabend spielt der Tabellenletzte gegen den Spitzenreiter

„Wir dürfen uns von der Tabellensituation nicht blenden lassen“, warnte Hürzeler am Donnerstag und zählte wie bei jedem kommenden Gegner die Qualitäten des Teams auf. Defensiv sehr kompakt und dazu mit sehr guten Fußballern ausgestattet sei das VfL-Ensemble, das in vielen Partien zudem unter einem für sie unglücklichen Spielverlauf gelitten habe.

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Eine gewisse Unbekannte kommt am Sonnabend noch hinzu. Es wird das erste Heimspiel für den neuen Osnabrücker Trainer Uwe Koschinat (52). Dessen Einstand misslang mit dem 0:4 bei Schalke 04 ergebnistechnisch zwar gründlich, doch er hatte seither eine Woche Zeit, sein Team auf den FC St. Pauli einzustellen – ohne Pokalspiel zwischendurch.

St. Paulis Trainer mit kleinem Seitenhieb auf den HSV

Hürzeler betrachtet das Match am Sonnabend als Charakterprüfung. „Für den Stand am Ende der Saison werden solche Spiele extrem entscheidend sein. In einem Derby bist du immer motiviert, in einem Pokalspiel auch, weil es etwas Besonderes ist. Aber gegen einen Tabellenletzten an seine Grenze zu gehen, ist eine Herausforderung und ein Test für uns“, sagte er. Das konnte auch als Seitenhieb auf den Stadtrivalen HSV verstanden werden. Gegen den hat Osnabrück seinen bisher einzigen Saisonsieg gelandet. Allein das dürfte Warnung und Ansporn genug sein – zusätzlich zum vergessenen Jubiläum des Trainers.