Hamburg. Der Kiezclub lässt eine alte Idee jetzt wieder neu aufleben. Für welche Geldgeber das Vorhaben besonders attraktiv sein soll.
Die erste Stunde des neuen Tages war schon zur Hälfte verstrichen, als Versammlungsleiter Kristian Heiser die Mitgliederversammlung des FC St. Pauli für beendet erklärte, die wieder einmal mehr als fünf Stunden gedauert hatte. Während die bis zum Ende gebliebenen 340 Mitglieder aus dem CCH am Dammtor in die regnerische und stürmische Nacht eilten, erläuterte Präsident Oke Göttlich (47) im kleinen Kreis etwas genauer, was er zuvor quasi als „Nachricht des Abends“ plakativ verkündet hatte.
FC St. Pauli hatte schon 2018 den Genossenschaftsplan
Genossenschaft ist das Stichwort. Nachdem diese Idee schon vor rund fünf Jahren vor allem vom damaligen kaufmännischen Geschäftsführer Andreas Rettig (60) ins Spiel gebracht, aber dann doch vor allem wegen steuerlicher Probleme nicht weiterverfolgt worden war, soll nun mit diesem Finanzierungsmodell Ernst gemacht werden. Damals war es darum gegangen, dass Kleinanleger Anteile am Millerntor-Stadion erwerben können. Jetzt geht es offenbar in erster Linie um den geplanten Ausbau des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) an der Kollau, aber auch um andere Projekte des Vereins, wie Göttlich betonte.
„Wir diskutieren alle Möglichkeiten. Es können auch ganz verschiedene Sachen sein. Wer moderne Genossenschaften kennt, weiß, dass es auch immer weitere Einzelprojekte geben kann. Noch sind wir nicht in der finalen Abstimmung, was wir zunächst machen“, sagte Göttlich auf Nachfrage. Derzeit laufe gerade der Prüfungsprozess in steuerlicher und rechtlicher Hinsicht.
Genossenschaft soll Kleinanleger ansprechen
Ganz grundsätzlich soll die Genossenschaft ein Finanzierungsmodell sein, das eine klare Alternative zu einem Einstieg eines oder mehrerer großer Investoren darstellt, also zu einer Variante, die beim mitgliedergeführten FC St. Pauli aus grundsätzlichen Erwägungen praktisch ausgeschlossen ist.
„Die Genossenschaft ist auf jeden Fall etwas, was für St. Paulianerinnen und St. Paulianer interessant ist, aber auch für Menschen, die ein Interesse daran haben, einen anderen Fußball auch mit alternativen Finanzierungswegen zu unterstützen, der eben nicht mit den üblichen Methoden, die teilweise über die Grenze 50+1 hinausgehen, funktionieren soll“, so Göttlich. Vielmehr solle es ein Weg sein, der Mitbestimmung, Einbringung und Stimmrecht beinhalte.
Ein Genossenschaftsmodell wendet sich also vor allen Dingen an Kleinanleger, die sich mit ihrem Geld an einem Projekt des FC St. Pauli beteiligen und dafür eine gewisse Rendite erwarten können. Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert eine solche Gemeinschaft so: „Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl mit dem Zweck, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zu fördern.“ Ein wesentliches Merkmal einer Genossenschaft auch im Kontrast zu einer Aktiengesellschaft ist, dass alle Mitglieder, völlig unabhängig von der Höhe ihrer Einlage, jeweils genau eine Stimme haben.
Göttlich: „Keine Maßnahme, um jetzt Löcher zu stopfen“
Angesichts des ausgewiesenen Verlustes von 4,9 Millionen Euro für das abgelaufene Geschäftsjahr 2022/23 könnte die Annahme naheliegen, dass mithilfe der neuen Genossenschaft möglichst schnell neues Geld generiert werden soll, um keine weiteren Kredite aufnehmen zu müssen. Dieser Sichtweise widerspricht Göttlich: „Die Genossenschaft ist keine Maßnahme, um jetzt kurzfristig Löcher zu stopfen. Sie ist ausschließlich dafür vorgesehen, dass wir große Projekte, die wir uns rein aus dem operativen Geschäft heraus nicht leisten können, über ein anderes Vehikel auf Sicht finanzieren wollen.“
Eine stärkere Konzentration auf das „Kerngeschäft Profifußball“ propagierte Göttlich, um wieder zu positiven Jahresergebnissen zu kommen. „Wir haben die Kostenkontrolle ein wenig aus den Augen verloren“, übte er Selbstkritik. „Wir müssen uns die gesamte Organisation noch einmal sehr genau anschauen.“
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Sowohl um die Kosten besser als zuletzt unter Kontrolle zu halten als auch um die Genossenschaft erfolgreich auf den Weg zu bringen, sind Hanna Obersteller (41) und Wilken Engelbracht neu im Führungszirkel des Kiezclubs. Die Finanzexpertin Obersteller erhielt bei der Mitgliederversammlung als neue Vize-Präsidentin 97,4 Prozent Jastimmen. Engelbracht ist seit dem 1. November als kaufmännischer Geschäftsleiter angestellt und für den gesamten Bereich Wirtschaft zuständig. Bei seinem ersten Auftritt auf der Mitgliederversammlung hatte er sehr anschaulich die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr erläutert.
Dabei stellte er dar, dass sich das Eigenkapital des sogenannten Konzerns von ehemals 14 Millionen Euro durch die Corona-Krise und das defizitäre abgelaufene Geschäftsjahr auf rund drei Millionen Euro verringert habe. „Wir wollen wieder Gewinne machen, um unser Eigenkapital zu stärken. Das wird auch mal unpopulär werden“, sagte Hanna Obersteller dazu.
FC St. Pauli soll Social-Media-Aktivitäten auf X reduzieren
Einen Kompromiss gab es unterdessen bei der Forderung, der FC St. Pauli solle sich von der Social-Media-Plattform X schnellstmöglich verabschieden. Die Mitglieder stimmten dem modifizierten Antrag zu, die Aktivitäten auf diesem Kanal zu verringern und verstärkt Alternativen zu nutzen. So wurde das Sitzungsende um 0.30 Uhr denn auch über X gepostet.