Hamburg. Zweitliga-Spitzenreiter FC St. Pauli wird mit Lob überschüttet. Sportpsychologin Frauke Wilhelm sagt, worauf es gerade jetzt ankommt.

Drei Tage konnten sich die Fußballprofis des FC St. Pauli weitgehend entspannen, ehe an diesem Moment wieder ein Mannschaftstraining und damit die konkrete Vorbereitung auf das Auswärtsspiel beim SC Paderborn am Sonnabend (13 Uhr) ansteht. Nach vier Siegen in Folge wird die Mannschaft von Trainer Fabian Hürzeler als Zweitliga-Spitzenreiter in dieses Match gehen, was beim Gegner in aller Regel einen zusätzlichen Motivationsschub auslöst

St. Pauli ist seit zwei Spieltagen Tabellenführer

Doch wie sollen Hürzeler und sein Trainerteam mit der Situation als aktueller, allerorten hochgelobter Klassenprimus umgehen und sich gegenüber der Mannschaft verhalten, um auch von der mentalen Seite her in der Spur zu bleiben. „Es ist tatsächlich nicht so einfach, mit Erfolg umzugehen. Es ist vielmehr ein Spagat nötig“, sagt dazu die Sportpsychologin Frauke Wilhelm (50), die in der Saison 2018/19 beim FC St. Pauli beschäftigt war und das Geschehen am Millerntor weiter interessiert verfolgt.

Der beschriebene Spagat besteht vor allem darin, einerseits Siege angemessen zu feiern, andererseits aber seinen Ehrgeiz zu behalten. „Es ist für eine Mannschaft wichtig, Erfolge zu genießen und sie auch wirklich zu zelebrieren“, sagt Frauke Wilhelm im Gespräch mit dem Abendblatt. „Wer weiß, wie sich auf der Rückfahrt im Bus so eine richtig bittere Niederlage anfühlt, der sollte auch schöne Momente dagegensetzen dürfen.“

Spieler sollen Erfolge auch feiern dürfen

Diese schönen Momente, so Wilhelm, sollen auch nicht damit enden, dass die Spieler nach einem Sieg auf ihrer Runde durch das Stadion von den Fans gefeiert werden. „Man sollte den Erfolg auch sichtbar machen. Ich bin ein Freund davon, dass man Fotos von gewonnenen Spielen zum Beispiel im Kabinentrakt aufhängt, damit man diese Erlebnisse im Bewusstsein behält“, sagt die Sportpsychologin, die auch schon für Hannover 96 und im Nachwuchsbereich des DFB tätig war.

Dieses Foto-Ritual hatte St. Pauli schon unter Trainer Timo Schultz eingeführt, als im Januar 2021 mit dem 3:2 in Hannover der erste Auswärtssieg der Saison gelungen war, was seinerzeit den Ausgangspunkt für einen fulminanten Aufschwung darstellte. „Ich empfehle auch, die guten und erfolgreichen Szenen eines Spiels zu zeigen. Die Spieler brauchen solche Visualisierungen für Situationen, in denen es nicht so gut läuft und man zum Beispiel im Rückstand liegt. Dann helfen diese Szenen, sich daran zu erinnern und sich darauf zu besinnen, was man richtig gut kann“, sagt sie. Dies unterstütze das Selbstvertrauen.

Videos und Fotos sollen Selbstvertrauen erhalten

Sportpsychologin Frauke Wilhelm stellt aber auch klar, dass das Zelebrieren von Erfolgen nur einen Teil des richtigen Verhaltens beim Surfen auf einer Erfolgswelle darstellt. Dabei kommt ein quasi naturgegebener Wesenszug ins Spiel. „Der Mensch hat die natürliche Tendenz, im Erfolg ein wenig nachzulassen und ruhiger zu werden. Das setzt von selbst ein, deshalb muss man bewusst dagegensteuern“, sagt sie.

Aber auch hier kommt es ganz stark auf das Wie an. „Das Schöne am Fußball ist ja, dass es immer noch besser geht, weil Fußball eine der größten Fehlersportarten ist. Nur weil man gewonnen hat, heißt das nicht, dass alles perfekt war und es nichts mehr gibt, woran man arbeiten kann“, sagt sie.

Hürzeler kritisierte drei Gegentore in Bremen

Ganz aktuell missfiel St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler, dass sein Team am vergangenen Donnerstag beim 3:3 im Testspiel beim Bundesligisten Werder Bremen drei Gegentore nach Standardsituationen kassierte, was so in der Saison noch nicht vorgekommen war.

Grundsätzlich empfiehlt Frauke Wilhelm, im Training den Wettkampfcharakter in Form von Spielen oder Turnieren, in denen es ums Gewinnen geht, hochzuhalten, damit „Zug drin bleibt und die Spannung nicht nachlässt“. Merkt ein Trainer, dass Spieler im Training nicht mehr mit vollem Einsatz dabei sind, solle er sofort intervenieren.

Trainer sollen Leistungen nicht schlechtreden

Aber auch bei der Kritik, sei die Art und Weise eine sensible Angelegenheit. „Wichtig ist, dass man in solchen Situationen nicht versucht, den Spielern das Selbstvertrauen zu nehmen, indem man ihre vorher gezeigte Leistung schlechtredet und zum Beispiel behauptet, es sei alles nur Glück gewesen“, sagt sie. „Das ist deshalb nicht zielführend, weil die Spieler dann in den Widerstand gehen und auch ein Stück weit gekränkt sind.“

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All diese Handlungsempfehlungen, aber auch noch einiges mehr sind übrigens jetzt auch Teil eines sportpsychologischen Zertifikats-Lehrgangs, den Frauke Wilhelm demnächst in Hamburg bereits zum zweiten Mal für das in München ansässige Internationale Fußball-Institut (IfI) anbietet. Zielgruppe sind dabei nicht nur Trainer. „Das Zertifikat ist offen für alle Menschen, die sich im leistungsorientierten Fußball bewegen“, sagt Frauke Wilhelm.

Prominente Referenten in Hamburg

Als Referenten konnte sie unter anderem Christian Luthardt, der als Sportpsychologe im Nachwuchsbereich des FC Bayern München arbeitet, sowie Michael Kuhn, der zum Staff der deutschen Hockey-Olympiasiegermannschaft von 2012 gehörte, gewinnen. Das Zertifikat erstreckt sich über ein halbes Jahr. Anmeldeschluss ist der 18. Oktober.