Hamburg. Die Variationsmöglichkeiten des FC St. Pauli, offensiv zu überzeugen, sind vielfältig und haben etwas mit einem Blink-182-Song gemein.

Jackson Irvine hatte vielfachen Grund zum Feiern und sein pink gefärbtes Haupthaar dabei am Sonntagabend zur Musik der Punkband Blink-182 in der rappelvollen Barclays Arena wippen zu lassen. Grund eins: Der Australier ist Fan der kalifornischen Rocker. Nummer zwei: Nach seinem Bänderriss im rechten Knöchel ging der 30-Jährige schon wieder recht flüssig durch die Konzerthalle im Volkspark.

Und der dritte und wichtigste Anlass: Sein FC St. Pauli, den er als Kapitän anführt, hatte wenige Stunden zuvor Holstein Kiel spektakulär mit 5:1 besiegt. Und da Irvine ein sehr guter Kapitän ist, bei dem das Wohl der Mannschaft über seinem eigenen steht, hatte er auch kein Problem damit, die Ursache für den plötzlichen Offensivausbruch zu benennen.

St. Pauli dominiert beim 5:1-Sieg

„Ich glaube, wir haben die Lösung gefunden. Ich darf einfach nicht mitspielen“, sagte Irvine augenzwinkernd. Doch bei allem Respekt, ganz so einfach ist es für Cheftrainer Fabian Hürzeler nicht.

Nicht falsch verstehen: Das 5:1 war eine beeindruckende Leistung, absolut verdient und reiht sich ein in die bislang sechs weitgehend überzeugenden Auftritte der Hamburger in dieser Zweitligasaison. Kritik ist zumeist Jammern auf hohem Niveau, aber eben dieses möchten Hürzeler, Irvine und St. Pauli ja auch erreichen.

Kiel erzielt mehr "Expected Goals"

Ein etwas tiefergehender Blick offenbart nämlich, dass die Gastgeber im Millerntor-Stadion gar nicht so viel anders machten als in den fünf Begegnungen zuvor, die in Summe lediglich drei eigene Treffer brachten. St. Pauli bleibt ein Team, das eine hohe Chancenquantität, aber eine geringere -qualität herausspielt.

Eine angesichts des Ergebnisses absurd wirkende Statistik hierzu sind die „Expected Goals“, also die zu erwartenden Tore in Anbetracht der Abschlussposition. Demnach hätte Kiel 1,34 Treffer produzieren müssen.

Kleine Änderungen, große Auswirkungen

Und die Platzherren? Nur 0,96. Zahlen spiegeln jedoch nicht immer die ganze Wahrheit wider, und natürlich war St. Pauli die deutlich bessere Mannschaft, aber bei den Traumtoren von Connor Metcalfe, Eric Smith, Lars Ritzka und Marcel Hartel war auch jeweils ein Hauch Glück (des Tüchtigen) dabei.

Dennoch hat Hürzeler bereits einige Veränderungen vorgenommen. Nicht im Großen und Ganzen, sondern, um es mit Blink-182 zu sagen, es sind „All the small things“ (All die kleinen Dinge).

Eggestein kehrt in Startelf zurück

Eines davon war es, Johannes Eggestein von Beginn an im Sturmzentrum aufzubieten. Johannes Eggestein! Der unter Hürzeler zuvor von 22 möglichen Zweitligaspielen in sechs zu Kurz- und Ganzkurzeinsätzen kam. Doch der trotz seiner erst 25 Jahre erfahrene Angreifer erledigte seinen Job gut, sorgte mit seiner Agilität und Wuseligkeit für Unruhe in der groß gewachsenen Kieler Abwehr.

„Es war ein gutes Gefühl nach dieser langen Zeit, dementsprechend habe ich das Spiel genossen. Aber ich war zuvor auch geduldig, in meiner halblangen Karriere habe ich erfahren, dass man sich auch entwickeln kann, wenn man kein Stammspieler ist“, sagte Eggestein, der nach 71 Minuten für Andreas Albers ausgewechselt wurde.

Gedränge im Mittelsturm

Der Däne interpretiert die Position anders als Eggestein, ist weniger ein mitspielender Stürmer als ein Wandspieler mit direkterem Drang zum Tor. Zumindest zu seinem obligatorischen Abseitstreffer reichte es für den immer fleißigen Albers auch gegen Kiel wieder.

Beide Angreifer sind in Zukunft Optionen. So wie Simon Zoller, dessen Debüt näher rückt. Maurides braucht fünf Monate nach seiner Meniskus-OP noch Zeit. „Er muss noch individuell an seinem Kraftdefizit arbeiten“, sagt Hürzeler, der weitere kleine Stellschrauben hat, um die offensive Leistung zu beeinflussen.

Systemveränderung im Aufbauspiel

Die flexible Positionierung gestattet es dem 30-Jährigen, auf den Gegner zu reagieren. Im Aufbauspiel agierte St. Pauli in dieser Saison oftmals mit je zwei Schienenspielern, die die Zweierblöcke in Mittelfeld und Sturm flankieren. Der lesenswerte Blog „Millernton“ widmete sich sich dieser Umstellung vom 2-4-4 auf 2-3-5 zuletzt ausführlich.

Diese Schienenspieler sind jedoch auch stets in der Lage, einen Systemwechsel zu vollziehen, indem sie in die freien Zwischenräume einrücken. Das verursacht Entscheidungen beim Gegner in den defensiven Schnittstellen, führt nicht selten dazu, dass St. Pauli Überzahlsituationen generiert. Vor allem Hartel ist als „freies Radikal“, das zwischen den Räumen und Positionen wandert, hierfür verantwortlich.

Doppelspitze bei St. Pauli denkbar

Dadurch ist auch vorstellbar, dass die Kiezkicker wegen ihres Überangebots und Gedränges an Mittelstürmern mit zwei Spitzen agieren. „Wir machen das jetzt ja schon ähnlich mit der Doppelsechs oder einer Doppelzehn, jedwede Kombination erscheint mir möglich, weil wir so breit aufgestellt sind“, sagt Eggestein.

Eine weitere Auffälligkeit des Nordduells war das extrem schnelle Zurückerobern des Balles. St. Pauli brauchte nur gut die Hälfte der Zeit dafür, die Kiel benötigte.

Hürzeler "sehr happy" über Offensivleistung

Durch das hohe Anlaufen können sich simpel gute Gelegenheiten eröffnen. „Es war nicht einfach für unsere Köpfe. Daher bin ich diesmal sehr happy über unsere Offensivleistung“, sagte Hürzeler.

Trotz all dieser Lösungsansätze wird es keine Lösung sein, langfristig auf Irvine zu verzichten. Für ihn gilt aus St.-Pauli-Sicht, wie es Blink-182 in einem ihrer Hits singen: „I miss you.“ (Ich vermisse dich)