Hamburg. Nach seiner schweren Verletzung fehlt Kapitän Jackson Irvine lange Zeit. Auf wen es gegen Holstein Kiel und danach besonders ankommt.

„Niemand siegt am Millerntor“ singen die Fans des FC St. Pauli gerne und regelmäßig bei Heimspielen. Was als Feiern der Stärke auf eigenem Platz gedacht ist, hat sich in dieser Saison unglücklicherweise bislang in jeder Beziehung bewahrheitet. Niemand siegt am Millerntor – auch der FC St. Pauli nicht.

Das muss sich in den nun anstehenden beiden anspruchsvollen Heimpartien am Sonntag (13.30 Uhr/Sky)) gegen den Tabellenzweiten Holstein Kiel und am Sonnabend in einer Woche (20.30 Uhr/Sport1 und Sky) gegen Bundesligaabsteiger Schalke 04 dringend ändern. Sonst…

FC St. Pauli: Böse Erinnerungen an letztes Jahr

Noch wird das Undenkbare nicht gedacht, tatsächlich ist die Situation nach vier Unentschieden und nur einem Auswärtssieg nicht ungefährlich. Schon in dieser frühen Saisonphase können Punkte verloren werden, die am Ende beim Kampf um den Aufstieg fehlen. Nur drei Treffer in fünf Spielen sind zu wenig, die spielerische Überlegenheit wurde nicht in Punkte umgesetzt. Und der aus Bochum neu verpflichtete Stürmer Simon Zoller scheint nach seinen muskulären Problemen nicht fit genug für einen Einsatz.

Manchem Fan kommen bereits böse Erinnerungen. Vor einem Jahr hatte St. Pauli nach fünf Spieltagen auch nur sieben Punkte, nach dem Ende der Hinserie musste Trainer Timo Schultz gehen – Platz 15, Abstiegsgefahr. Spielerische Klasse, Aufwand und Ertrag stimmten damals einfach nicht überein.

Von solch einer Situation sind der Verein und Trainer Fabian Hürzeler natürlich noch weit entfernt. Auch wenn sich die unguten Parallelen andeuten. Alle statistischen Werte zeigen Überlegenheit der Kiezkicker, die Ergebnisse aber eben nicht.

„St. Pauli hat genug Chancen, es ist eine Frage der Effizienz“, sagt Holstein Kiels Trainer Marcel Rapp, „auf Dauer macht es etwas mit einer Mannschaft, wenn sie bei jedem Gegentor denken muss, jetzt wird es schwer zu gewinnen. Wie das bei St. Pauli ist, muss der Fabian beantworten.“

FC St. Pauli: Irvines Kopfballstärke nicht zu ersetzen

„Der Fabian“ muss zunächst aber die Frage beantworten, wie er seinen Kapitän Jackson Irvine (Bänderriss im Sprunggelenk) in den kommenden Wochen ersetzt. Ein erfahrener Führungsspieler, der schon wegen seiner außergewöhnlichen Kopfballstärke in Wirklichkeit nicht zu ersetzen ist. Hürzeler selbst hat das mit seiner Stammplatzgarantie für den Kapitän vor der Saison ja ebenso gesehen. „Wir wissen, dass es nicht leicht wird. Wir müssen seinen Ausfall als Team auffangen“, sagt er, erwähnt aber ausdrücklich Karol Mets (30), Marcel Hartel (27), Hauke Wahl (29) und Eric Smith (26).

Alle vier gehören neben Irvine dem Mannschaftsrat der Kiezkicker an, Hartel und Smith sind auch stellvertretende Kapitäne. „Wir haben sehr viele Spieler, die Verantwortung übernehmen können und es auch wollen. Das haben sie auch schon bewiesen“, meint Hürzeler. Smith war auch vergangene Saison schon Stellvertreter von Leart Paqarada und Irvine.

Holstein Kiel kommt nach vier Siegen voller Selbstvertrauen

Er wird wahrscheinlich positionsgetreu die Sechserrolle von Irvine übernehmen, Wahl rückt dafür zentral in die Innenverteidigung, David Nemeth ergänzt die Dreierkette. „Wir versuchen, jeden Tag rauszugehen und uns den Arsch aufzureißen. Wir pushen uns selbst jeden Tag, um so hart wie möglich zu performen“, sagte Smith kürzlich über seine Mannschaft.

Anders wird es gegen Kiel keinesfalls gehen. Nach vier Siegen und nur einer Niederlage kommt die KSV Holstein mit viel Selbstvertrauen ans Millerntor. „Nach solch einem Start wird die Brust breiter“, sagt Trainer Marcel Rapp, der den großen personellen Umbruch besser gewuppt hat als von vielen erwartet. 15 Spieler haben vor der Saison den Verein verlassen, zwölf neue sind gekommen.

Dabei hat Kiel vor allem Wert auf eine Verjüngung des Kaders gelegt. Spieler wie der bei St. Pauli ausgebildete Tom Rothe (Dortmund/21), Innenverteidiger Colin Kleine-Brekel (21) aus der eigenen Jugend oder Mittelfeldspieler Marko Ivesic (21/Vozdovac, Serbien) sind Volltreffer und haben die Statik im Team verändert. „Wir haben anderes Personal, eine leicht veränderte Spielweise“, sagt Rapp, „wir werden das Spiel voller Euphorie angehen.“

Torwart Robin Himmelmann (34), der achteinhalb Jahre beim FC St. Pauli spielte und in der vergangenen Rückrunde bei Holstein aushalf, hält im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ den Abschied von älteren Spielern wie Fin Bartels (36), Stefan Thesker (32) oder auch St. Paulis Hauke Wahl (29) für mitentscheidend für den Kieler Aufschwung. „Viele Spieler hatten den Anspruch auf einen Stammplatz, wenn du dann nicht zum Einsatz kommst, ist das nicht zufriedenstellend“, sagt er.

Frust würde sich auf ein Mannschaftsklima auswirken. „Jetzt hast du junge Leute, die aus der Dritten und Vierten Liga kommen und Druck machen. Das hat bisher gut funktioniert.“

So ist da eine Mannschaft, die ihre Strukturen und Mechanismen kennt, aber dennoch frisches Blut hinzubekommen hat. „Sie spielen einen sehr einfachen, aber sehr effektiven Fußball. Sie haben eine sehr gute Positionierung“, sagt Fabian Hürzeler: „Die Mischung zwischen flachem, aber auch mal hohem Spiel ist gut. Das und das Spielglück, das sie momentan auch haben, macht Kiel aktuell zu einer sehr guten Mannschaft.“

FC St. Pauli: Vasilj – Nemeth, Wahl, Mets – Saliakas, Smith, Hartel, Ritzka – Afolayan, Eggestein, Saad.

Holstein Kiel: Weiner – M. Schulz, Johansson, Kleine-Bekel – Porath, Ivezic, Sander, Rothe – Skrzybski – Machino, Pichler.