Hamburg. Der Chefcoach der Kiezkicer gibt sich und seinen Spielern Anschauungsmaterial, will aber für einen eigenen Stil wahrgenommen werden.
Ein regelmäßiger Kirchgänger ist Fabian Hürzeler qua Berufsstandes nicht. Welcher professionelle Fußballtrainer hat am Sonntagvormittag schon Zeit für den Messgang?
Dennoch besucht der Chefcoach des FC St. Pauli, so oft es nur geht, das, was sie in England die „De Zerbian Church“ (die Kirche De Zerbis) nennen. Hürzeler huldigt Roberto de Zerbi, dem italienischen Trainer des Premier-League-Clubs Brighton & Hove Albion, kennt die Psalmen vom fluiden Kombinationsspiel, mutigen Angriffspressing und der attraktiv zu beobachtenden Balldominanz sehr genau.
St. Paulis Trainer beobachtet Roberto De Zerbi
Eine „Benchmark“, also ein Vergleichsmaßstab, sei die offensive Idee des 44-Jährigen für ihn, sagt der 14 Jahre jüngere Hürzeler. „Es ist wichtig für mich, auch immer über den Tellerrand hinauszuschauen“, sagt De Zerbis Apostel, der Brightons Spielszenen seziert und überlegt, welche Elemente er für seine eigene Mannschaft übernehmen kann – und der dennoch das Potenzial zum Spalter oder zumindest Reformator hat.
„Entscheidend ist aber, bei der eigenen Idee zu bleiben. Man kann den Fußball weder neu erfinden noch etwas exakt kopieren. Ich möchte für den Hürzeler-Spielstil wahrgenommen werden“, sagt der Hamburger Übungsleiter. Am Freitag (18.30 Uhr/Sky) wird im Braunschweiger Eintracht-Stadion das nächste „Hochamt Hürzelers“ gefeiert. Derzeit noch in einem etwas biedereren Rahmen, als De Zerbi seine Fußballmessen in der Premier League zelebrieren kann, denn im Zweitliga-Alltag heißt es zunächst: Hürzeler gegen Härtel.
Hürzeler gegen Härtel
Braunschweigs Trainer Jens Härtel ist für seine eher defensive Spielweise bekannt. Die Mannschaften des Mittelsachsen stehen zumeist kompakt, verteidigen mannorientiert, überzeugen zudem auch durch ihr Angriffspressing, wodurch Härtel bereits zwei Zweitliga-Aufstiege gelangen. Auch in Braunschweig, wo der 54-Jährige seit dieser Saison Trainer ist, greifen diese Prinzipien.
- Profis des FC St. Pauli golfen für den guten Zweck
- Wird ein Serbe aus Israel St. Paulis neuer Mittelstürmer?
- „Neuzugang“ David Nemeth bringt Fabian Hürzeler ins Grübeln
Obwohl St. Pauli gegen einen ähnlichen Stil gegen Fortuna Düsseldorf und den 1. FC Magdeburg – sowie dazwischen gegen ein anders agierendes Greuther Fürth – nur 0:0 spielte, könnte die personenbezogene Deckung den Hamburgern entgegenkommen. Gegen Düsseldorf und Magdeburg spielten sie sich jeweils mehr als 20 Torschüsse heraus. „Wir haben gute Lösungen gefunden, das waren Schritte nach vorn“, sagt Hürzeler.
Hürzeler zeigt Spieler Szenen aus der Champions League
Was noch fehlte – unter anderem der Blick für den besser postierten Kollegen oder eine günstigere Abschlussposition –, arbeitet der junge Mensch, aber erfahrene Trainer Hürzeler zum Teil in individuellen Videolektionen mit seinen Jüngern auf. „Nehmen wir die Beispiele Elias Saad und Oladapo Afolayan. Wenn sie nach innen ziehen, aber geblockt werden, zeigen wir ihnen Szenen von Topspielern aus Europa, wie sie solche Situationen lösen. Wir wollen alle von den Besten lernen“, sagt Hürzeler. En détail wird so bespiegelt, was im Einzel- und Gruppentraining verbessert werden kann.
Rasant mit dem fußballerischen Glaubensbekenntnis vertraut gemacht hat sich in seinen ersten drei Wochen auf St. Pauli Rechtsaußen Scott Banks. Der junge Schotte könnte zur Option gegen die Braunschweiger Mannorientierung werden.
Grundprinzipien mit vielen Freiheiten
Der 21-Jährige, zuletzt zweimal Joker, bringt als technisch versierter Kreativakteur die passenden Qualitäten dafür mit. „Für mich gibt es viele Möglichkeiten, das Spiel zu beeinflussen, Räume und Chancen zu kreieren“, sagte Banks unter der Woche.
Es sind auch diese Freiheiten innerhalb eines vorgesteckten Rahmens, die Spieler wie Banks zu nutzen wissen, von denen Hürzeler predigt. „Das Wichtigste ist, dass der Gegner sich nicht auf uns vorbereiten kann, kein Muster in der Spieleröffnung erkennt“, sagt er. Die Positionierung sei zwar stets ähnlich, Grundprinzipien bestehen, doch die Interpretation ist den Kiezkickern mitunter selbst überlassen.
Klingt ein wenig nach Religionsfreiheit. De Zerbi hat sich in Brighton bereits den Status eines Messias erarbeitet. Die Messe Hürzelers ist noch nicht gelesen.