Hamburg. Das Stürmeridol des 1. FC Magdeburg und der DDR spricht im “Millertalk“ über seine Flucht und wie er fast HSV-Trainer geworden wäre.
„Waren Sie das damals?“ Mit dieser Frage wird Jürgen Sparwasser bis heute konfrontiert. „Das“ war sein legendärer Siegtreffer im Hamburger Volksparkstadion zum 1:0 der DDR bei der WM-Vorrunde 1974 gegen die gastgebende Bundesrepublik Deutschland.
Sobald sich der heute 75-Jährige zu erkennen gibt, werde ihm häufig ein „Dankeschön für dieses Tor“ entgegnet. Nicht aus Ostdeutschland, sondern von damaligen Westdeutschen. Denn durch die Niederlage erwischte die BRD die vermeintlich einfachere Gruppe in der Zwischenrunde, wurde später Weltmeister.
Sparwasser erzielt Jahrhunderttor für die DDR
Es ist dieses Tor, das Sparwasser unsterblich macht, ihn bis heute geradezu verfolgt. Er möchte nach eigener Aussage inzwischen gar nicht mehr so gern darüber reden, macht es im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ dann aber trotzdem – der Stolz darüber ist dem sympathischen Wahl-Hessen anzuhören.
Man könnte sogar meinen, seine Mailadresse, die mit „spary74“ beginnt, sei diesem Treffer gewidmet. Dem ist aber nicht so, denn 1974 hat für Sparwasser aus anderen Gründen eine tiefe Bedeutung.
Magdeburg einziger Europapokalsieger aus der DDR
Es war das Jahr, in dem er mit dem 1. FC Magdeburg, der am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) im Millerntor-Stadion beim FC St. Pauli gastiert, die zweite von drei DDR-Meisterschaften gewann und vor allem den Europapokal der Pokalsieger. Das 2:0 im Endspiel von Rotterdam gegen Titelverteidiger AC Mailand war der einzige Europapokalgewinn einer Mannschaft aus der DDR.
„Das war schon sehr besonders für mich, weil diese Erfolge mehr und härter erkämpft waren als der Sieg gegen die Bundesrepublik. Mit Magdeburg sind wir über Jahre durch Höhen und Tiefen gegangen“, sagt Sparwasser rückblickend.
BRD wollte DDR-Idol für 100.000 D-Mark abwerben
Die Topleistungen und Triumphe wecken Begehrlichkeiten – auch hinter der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Vor dem Achtelfinalspiel im Europapokal der Landesmeister am 23. Oktober 1974 beim FC Bayern München hatte Sparwasser gerade seinen routinemäßigen Spaziergang, den er vor jeder Partie absolvierte, begonnen, als er bemerkte, „dass mich zwei Leute leichten Schrittes verfolgten. Ich dachte mir, ich bleib mal stehen und schaue, ob sie weitergehen.“
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Sie gingen nicht weiter. Stattdessen offerierten ihm die beiden Herren, für 100.000 D-Mark im Westen zu bleiben. Sparwasser lehnte direkt ab. Seiner Vorbereitung schien das Angebot auch nicht geschadet zu haben, gegen die Bayern traf er zum zwischenzeitlichen 2:0 für die Magdeburger, die letztlich trotzdem mit 2:3 unterlagen.
Sparwasser: "Habe die DDR gern vertreten"
„Ich war verheiratet, wir hatten gerade unsere Tochter bekommen. Für mich kam das überhaupt nicht infrage“, erinnert sich Sparwasser. Damals habe er nie mit dem Gedanken gespielt, den Staat, „den ich auch gern vertreten habe“, zu verlassen. Dies sollte sich nach seinem wegen eines Hüftleidens mit 31 Jahren frühen Karriereende ändern.
Der Diplom-Sportlehrer wollte Hochschulpädagoge werden, seine Doktorarbeit schreiben. Staatlich bestanden andere Pläne. Der 1. FC Magdeburg stellte sein Idol als Assistenztrainer an, dreimal wurde ihm angeboten, den Posten als Chefcoach zu übernehmen. Dreimal lehnte Sparwasser ab. Einerseits, um das damit verbundene politische Engagement zu vermeiden, andererseits, „weil ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, nicht mehr ständig um die Welt reisen wollte“.
Flucht nach Westdeutschland
So war er nun gezwungen, nach Westdeutschland zu reisen – denn ihm wurde deutlich gesagt: „Wenn du kein Trainer werden willst, dann werden wir dir eben deine berufliche Laufbahn verbauen. Und da wir Sparwassers Menschen sind, die uns frühmorgens im Spiegel erkennen müssen, mussten wir den schwierigen Entschluss zur Flucht treffen“, sagt Sparwasser.
Das Spiel einer Altherrenmannschaft des 1. FCM in Saarbrücken nutzte er aus, um in der BRD zu bleiben, seine Frau war gleichzeitig zu Verwandtenbesuch dort. Der DDR-Nachrichtendienst ADN meldete: „Die Anwesenheit einer Altherrenmannschaft des 1. FC Magdeburg benutzten sportfeindliche Kräfte zur Abwerbung von Jürgen Sparwasser, der seine Mannschaft verriet.“
Magath wollte Sparwasser zum HSV holen
Den Fußball verraten zu haben, kann ihm niemand vorwerfen. Den 1. FCM verfolgt Sparwasser intensiv, verpasst kein Spiel und traut dem Team viel zu. „In meinen Adern fließt blaues Blut“, sagt er. Zudem organisiert der gebürtige Halberstädter Fußballcamps und hat eine Fußballfibel geschrieben.
Ins Volksparkstadion wäre Sparwasser übrigens beinahe hauptamtlich zurückgekehrt. Kurz nach seiner Flucht hatte ihm der damalige HSV-Manager Felix Magath ein Angebot als U-23-Trainer gemacht. Doch Sparwasser stand bereits in Frankfurt im Wort. So bleibt er in Hamburg auf ewig mit seinem Tor verbunden.