London. Rachel Rinast blickt auf 184 Bundesligaspiele, EM- und WM-Teilnahmen zurück. Doch beim Kiezclub soll alles erst richtig beginnen.
Eigentlich wollte Rachel Rinast nur noch eins: zurück in die Heimat. Und nun führt sie die erste Aufgabe ihres neuen Arbeitgebers direkt wieder hinaus in die weite Welt. Nach London, Stadtteil Forest Gate genauer gesagt. Heimat des Clapton CFC. Wodurch sich die neue Spielmacherin der Regionalligafrauen des FC St. Pauli dann doch wieder ganz zu Hause fühlte.
Rund 1000 Zuschauer, ein schiefer Platz, Pyros, Wechselgesänge - Fußball in England eben. "Das war überragend, dieses ganz Ursprüngliche wie als kleines Mädchen auf dem Land", sagte die mittlerweile große Rachel nach dem 8:1-Sieg im Test gegen die Gastgeberinnen anlässlich der Sponsorentour des Kiezclubs.
Rinast spielte bei WM und EM
"Es gab wenige Spiele in meiner Karriere, bei denen die Atmosphäre besser war", sagte die 32-Jährige - und sie stand weiß Gott bei vielen auf dem Platz. 184-mal in der Bundesliga, 48-mal für die Nationalmannschaft der Schweiz, einmal WM, zweimal EM. Für das Heimatland ihrer Mutter hätte die gebürtige Bad Segebergerin bei der anstehenden WM in Neuseeland auflaufen können.
Stattdessen Karriereende und nahtloser Übergang vom Leistungs- in den Amateurfußball. "Weil mein Vater krank ist, wollte ich nach Hause kommen, Zeit mit meiner Familie verbringen", sagt Rinast, die in den vergangenen Jahren mit der Monotonie des Fußballerlebens zu kämpfen hatte und auf Anhieb eine der Topspielerinnen in der Regionalliga sein wird.
Norddeutschland kein Frauenfußballgebiet
St. Pauli ist dafür die einzige Möglichkeit, werden Fans der Hamburger sagen. "Wo, wenn nicht bei St. Pauli, lässt sich der Frauenfußball glaubhaft aufbauen", sagt Rinast, die eine Anstellung bei den Braun-Weißen anstrebt, dabei von ihren Trainern Kim Koschmieder und Jan-Philipp Kalla erhält.
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"In Norddeutschland gibt es abgesehen von Bremen keine Anlaufstelle für Mädchen, um leistungsbezogen zu kicken. Diese Vision möchte ich bei St. Pauli gern umsetzen und ein Konzept dafür erstellen", sagt sie.
St. Paulis Frauen streben nach mehr
Zuzutrauen ist es der Außenverteidigerin allemal. Rinast besitzt eine durch ihre entwaffnende Offenheit und Positivität einnehmende Persönlichkeit. Es ist wird schnell ersichtlich, weswegen Köln jahrelang ihre Wahlheimat war.
Bislang organisiert sich die Frauen-Abteilung des FC St. Pauli autonom, das soll zunächst auf eigenen Wunsch so bleiben. Doch konkrete Bestrebungen, in den höherklassigen Bereich vorzudringen, sollen spätestens dann umgesetzt werden, wenn die notwendige Platzinfrastruktur dafür steht. "Wir haben gerade Rückenwind, auch bei Sponsoren, dürfen daher die nächsten Jahre nicht in Zeitlupe voranschreiten, sondern müssen uns das Potenzial einfach mal nehmen", sagt Rinast.
St.-Pauli-Spielerin WM-Expertin
Ein leuchtendes Vorbild dafür ist sie selbst. Von London aus ging es für die neue Anführerin des Lotto-Pokalsiegers direkt weiter nach München ins Sat.1-Studio, von wo aus sie im Wechsel mit Ex-HSV-Keeper René Adler die U-21-EM als Expertin begleitet.
Im August fliegt sie fürs schweizerische Fernsehen nach Neuseeland zur Frauen-WM. "Die Arbeit im Medienbereich macht mir viel Spaß, ich mochte es schon immer, auf einer Bühne zu stehen", sagt Rinast, die nebenher noch die Masterarbeit für ihr Deutsch-Sport-Lehramtsstudium schreibt.
Rinast: "Geht erst richtig los"
Wie man es dreht und wendet, ruhig und heimelig wird das Leben von "Ray", wie sie gerufen wird, auch in ihrer Heimat nicht. "Stimmt schon, jetzt geht's erst richtig los mit dem Fußball", sagt Rinast.