Hamburg. Das Profiteam des FC St. Pauli besteht von jetzt an ausschließlich aus Spielern, die der seit Juli 2019 tätige Sportchef geholt hat.

Eine kleine Quizfrage zu Beginn: Wer ist im Team des FC St. Pauli für die kommende Saison 2023/24 der Spieler, der am längsten dem Profikader des Kiezclubs angehört? Nach dem Abschied von Luca Zander, der 2017 gekommen war, jetzt keinen neuen Vertrag mehr erhalten hat und am Freitag beim Zweitliga-Absteiger SV Sandhausen unterschrieb, ist die Antwort gar nicht so einfach – zumal derjenige selten in der Startformation steht und auch nicht zu den Führungskräften des Teams zählt.

Die Auflösung: Es ist Afeez Aremu. Der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler aus Nigeria war am 24. August 2020 während des von Corona geprägten Trainingslagers in Herzlake zum Team gestoßen.

Afeez Aremu ist jetzt der dienstälteste Spieler im St.-Pauli Kader

Bei keinem anderen Verein der künftigen Zweiten Liga ist der dienstälteste Spieler so kurz im Team, wie es Aremu bei St. Pauli ist. Ihm folgt bei den Kiezkickern am nächsten Abwehrspieler Adam Dzwigala (27), der im Dezember 2020 das Team ergänzte. Alle anderen, die am 19. Juni oder – wegen ihrer Länderspieleinsätze oder Verletzungen (Jackson Irvine) – später in die Vorbereitung auf die kommende Saison starten, stießen noch später dazu.

Nach und nach, aber in der Summe mit einer bemerkenswerten Konsequenz hat St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann also seit seinem Amtsantritt am 1. Juli 2019 den damals vorgefundenen Kader von seinen „Altlasten“ befreit. Rechtsverteidiger Zander war jetzt der letzte von 27 Spielern, die unter Vertrag standen, als Bornemann Sportchef wurde.

Sportchef Bornemann will nicht von "meiner Mannschaft" sprechen

Darauf angesprochen, dass es jetzt erstmals komplett „sein Kader“ sein wird, den der FC St. Pauli ins Rennen um Zweitliga-Punkte schickt, widerspricht Bornemann vehement der Annahme, es stecke Prinzip hinter dem sukzessiven Trennen von langjährigen Teammitgliedern.

„Es geht nicht darum, dass jetzt der letzte Spieler, der länger hier war, gegangen ist. Vielmehr geht es immer darum zu prüfen, was noch passt und wo sich der FC St. Pauli verbessern kann“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt und betont: „Es ist überhaupt kein Denkansatz von mir zu sagen, dass dies jetzt ,meine Mannschaft‘ ist. Es ist bei jedem Spieler, den wir holen, auch immer eine gemeinsame Entscheidung, die von Gremien genehmigt werden muss, und nicht nur meine eigene.“

Erstmals seit dem Abstieg 2011 landete St. Pauli zweimal in Folge im oberen Drittel der Zweiten Liga

Die beiden vergangenen Spielzeiten, die jeweils auf Platz fünf abgeschlossen wurden und in denen zeitweise der Bundesligaaufstieg möglich war, kann Bornemann zweifellos als eine Bestätigung für die von ihm verantwortete Personalpolitik ansehen. Seit dem Bundesligaabstieg 2011 hatte St. Pauli noch nie zuvor zwei Saisons in Folge im ersten Drittel der Liga abgeschlossen. Derzeit spricht nach der Rekordrückserie mit 41 Punkten einiges dafür, dass auch in der kommenden Saison Ähnliches oder mehr möglich ist.

„Eine Fluktuation im Kader hat oft damit zu tun, wie man Fußball spielen lassen will. Wir sind nicht wie der FC Barcelona, wo der Spielstil ganz klar festgelegt ist und danach Trainer und Spieler ausgesucht werden“, sagt Bornemann. Den ersten krassen Wechsel in der Fußball-Philosophie hatte er schon ganz zu Beginn seiner Amtszeit erlebt, als der vorgefundene Kader noch von seinem Vorgänger Uwe Stöver (jetzt Holstein Kiel) in Abstimmung mit Trainer Markus Kauczinski (jetzt Wehen Wiesbaden) zusammengestellt worden war. Nach der Freistellung der beiden am 10. April 2019 kamen bekanntlich der Niederländer Jos Luhukay als neuer Trainer und mit ihm viele neue Ideen.

Mit dem Trainerwechsel zu Luhukay änderte sich der Spielstil

„Als ich herkam, war der Fußball, den Jos Luhukay spielen lassen wollte, völlig konträr zu dem, den Markus Kauczinski wollte. Wir konnten aber den Kader nicht über Nacht komplett verändern“, berichtet Bornemann. Besonders krass war dabei die Personalie Rico Benatelli. Den Mittelfeldspieler hatten Stöver und Kauczin­ski bereits am 20. März 2019 für die folgende Saison ablösefrei von Dynamo Dresden verpflichtet und mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet.

Weder unter Luhukay noch später unter dessen im Juli 2020 installierten Nachfolger Timo Schultz war Benatelli glücklich geworden. Seit vergangenem Sommer spielt der 31-Jährige beim österreichischen Erstligisten Austria Klagenfurt. „Von Spielern, bei denen wir der Meinung waren, dass die Entwicklung nicht mehr weiterging, haben die wenigsten anderswo das Gegenteil bewiesen“, stellt Bornemann fest.

Das Spielkonzept von Trainer Hürzeler gab der Verpflichtung von Afolayan Sinn

Einem wichtigen Transfer in der vergangenen Wechselperiode lag auch eine Änderung des Spielsystems zugrunde. „Mit dem Trainerwechsel zu Fabian Hürzeler hat sich herauskristallisiert, dass wir mit klaren Außenstürmern und nicht mehr mit der Mittelfeldraute spielen wollen. Daher machte der Transfer von Oladapo Afolayan mehr Sinn als zuvor“, sagt Bornemann über die Verpflichtung des Engländers, der sich in der Rückrunde als klare Verstärkung profilieren konnte.

Dass bisweilen auch weniger als zwei Jahre reichen, um von den St.-Pauli-Fans nicht nur akzeptiert, sondern auch als Vorzeigefiguren gefeiert zu werden, haben zuletzt Jackson Irvine und Marcel Hartel bewiesen, die im Sommer 2021 verpflichtet wurden.

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„Ich betrachte bei einem Spieler immer die menschliche Komponente und sein Leistungsvermögen. Wenn beides top ist und dazu eine hohe Kompatibilität mit diesem Verein kommt, dann ist es ideal. Beispielsweise bei den beiden ist dies so gegeben“, sagt Bornemann, der davon überzeugt ist, dass neben finanziellen Aspekten auch „die Atmosphäre in unserem Stadion, der Verein mit seinem klaren Wiedererkennungswert und die attraktive Stadt wichtige Argumente“ beim Werben um neue Spieler darstellen.

Was St. Paulis Bornemann für eine "Quadratur des Kreises" bezeichnet

Dennoch sei sein Job immer eine Herausforderung: „Wir wollen unsere Ambitionen hochhalten, sportlich erfolgreich sein, attraktiven Fußball bieten, der zum Verein passt, und dazu noch signifikante Transfererlöse erzielen. Das ist manchmal die Quadratur des Kreises.“ Und komplizierter als die Quizfrage am Anfang.