Hamburg. Der Flügelspieler des FC St. Pauli hat sich in die Stammelf gedribbelt. Was seine früheren Trainer über ihn sagen.
Greifen wir aus Spaß doch mal ins oberste Regal: Ronaldinho! Der Weltmeister von 2002 hat in seiner Jugend sehr intensiv die Fußball-Hallenvariante Futsal gespielt. Er hat seine technischen Fähigkeiten auf engstem Raum geschult, bevor er auszog, um beim FC Barcelona, der AC Mailand und in der brasilianischen Nationalelf Mitte der 2000er-Jahre zu einem der besten Spieler der Welt zu werden.
Davon ist Elias Saad natürlich ewig weit entfernt, aber: „Futsal auf dem kleinen Feld und mit vielen Eins-gegen-eins-Situationen hat ihm sicherlich dabei geholfen, sich auch als Fußballer weiterzuentwickeln“, sagt Michael Meyer (34), der Kapitän des Futsal-Bundesligisten HSV Panthers und langjährige Nationalspieler.
FC St. Pauli: Elias Saad legt Raketenstart hin
In der Zweiten Fußball-Bundesliga hat Elias Saad beim FC St. Pauli im vergangenen Monat einen Raketenstart hingelegt, vier Einsätze in den letzten Partien, zweimal Startelf, zwei Tore, zuletzt beim 3:0-Sieg bei Darmstadt 98. In Saad hat St. Pauli eine echte „Waffe“ als Flügelspieler hinzugewonnen.
„Er hat eine positive Entwicklung genommen, sich vor allem im Defensiv-Verhalten verbessert“, lobt Trainer Fabian Hürzeler: „Er ist super im Eins-gegen-eins, da kann er jedem Zweitliga-Verteidiger Probleme bereiten.“
Die ersten acht Spiele nach seinem Wechsel ans Millertor im Januar war er nicht einmal im Kader, zweimal saß er auf der Bank. Er musste im Training viel lernen, Hürzelers Spielsystem verinnerlichen, sowie weiter an seinem Körper arbeiten. Gegen Eintracht Braunschweig war es dann so weit, Zweitligadebüt als Einwechselspieler. „Für mich ist das alles ein Traum“, sagt der 23-Jährige selbst, den St. Pauli in der Regionalliga bei Eintracht Norderstedt entdeckt hat.
Futsal-Nationalmannschaft: Debüt mit 19
Ein Junge aus Wilhelmsburg, der nie in einem der Nachwuchsleistungszentren großer Vereine aktiv war, sondern der dabei ist, einen heutzutage völlig ungewöhnlichen Weg in den Profifußball zu gehen. Was ist da los? Das Abendblatt begab sich auf Spurensuche.
Futsal also spielt eine Rolle. Saad hat die Hallenvarianten eine Zeit lang intensiv und erfolgreich parallel zu seiner Fußball-Amateurkarriere betrieben. Am 12. April 2019 gab er in Österreich sein Debüt in der deutsche Nationalmannschaft, mit 19 Jahren als bis dahin jüngster Spieler.
„Ich habe ihn immer als sehr bodenständigen Menschen erlebt, der große Spielfreude und viel Spaß mit dem Ball hatte“, erinnert sich Meyer, „er hatte aber immer Ambitionen, sich im Fußball zu entwickeln. Das gewonnene Selbstvertrauen aus dem Futsal hat ihm dabei sicherlich geholfen.“
„Nach Toren hat er nie die dicke Welle gemacht“
So ist es bei fünf Länderspielen geblieben, als im Sommer 2019 Oberligist HSV Barmbek-Uhlenhorst den Jungen holte, war Schluss mit Halle. „Als ich Elias bei einem Spiel des Buxtehuder SV sah, dachte ich: Was für ein geiler Kicker! Ich wollte ihn sofort haben“, erinnert sich BUs damaliger Trainer Marco Stier (39): „Elias ist ein sehr bodenständiger Typ. Nach Toren hat er nie die dicke Welle gemacht. Er war immer wissbegierig und sehr schnell sehr lernfähig.“
„Lernfähig, wissbegierig“ – das sagt fast jeder, der mit dem Sohn tunesischer Eltern sportlich zu hatte. Und er hat dieses zur Stärke entwickelte Talent im direkten Duell. „Mutige, unbekümmerte Tempodribblings mit starker Ballbehandlung und technischen Tricks waren seine Spezialität“, sagt Trainer Jens Martens (67), der ihn 2021 von BU nach Norderstedt gelotst hatte: „Ich habe Elias bei seinem Abschiedsspiel gesagt, er wird den nächsten Schritt schaffen, wenn er Geduld hat und demütig bleibt. Ich bin stolz darauf, wie unglaublich gut er sich entwickelt hat.“
Saad ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann
Wer nicht zu früh abhebt, der kann umso höher fliegen. „In Wilhelmsburg waren auch einige Jungs, die sich für einen falschen Weg entschieden haben“, sagte Saad in der Talksendung „Late Night by Bedo“ mit Moderator Bedo B. Kayaturan zur Frage nach einem manchmal schwierigen sozialen Umfeld, „für mich kam das nie infrage.“
Fußball bot genug Ventil und Ansporn. Schon mit 17 setzte ihn Trainer René Klawon (56) bei Landesligist Buxtehuder SV in der Ligamannschaft ein. „Er war für sein Alter ein technisch perfekter Spieler, nur körperlich war er noch nicht soweit.“
In dem Interview mit Bedo Kayaturan sollte Saad sich mit einem Wort beschreiben. „Schüchtern“, war seine Antwort. Das heißt eben auch realistisch. Träume verfolgen, ja. Aber kein Träumer sein. Er hat also im Sommer 2022 seine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann beendet. „Das war richtig so, er hat ja nun mal keine fußballerische Ausbildung in einem Nachwuchsleistungszentrum gehabt“, sagt Marco Stier.
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Einem schnellen Angebot eines anderen Vereins erteilte Saad nach einiger Überlegung im Sommer 2018 eine Absage. „Wir fanden, dieser Schritt wäre für ihn noch nicht passend“, erklärt Klawon, „davon haben wir ihn überzeugt.“
FC St. Pauli: Saad auf den Spuren Kyerehs
Trotzdem war der Weg nach oben letztlich gerade und stringent. Das Ziel, Profi zu sein, hatte er immer und war bereit, dafür zu arbeiten. Jugend, Landesliga, Oberliga, Regionalliga – jetzt Zweite Liga. Es läuft. Bei der Vertragsunterschrift bei St. Pauli waren seine stolzen Eltern dabei, „sie sollten den Moment miterleben.“ „Ich freue mich wirklich sehr über die Entwicklung von Elias“, sagt Klawon, der überzeugter HSV-Fan ist: „Aber als Elias im Derby für St. Pauli getroffen hat, fand ich das nicht so witzig.“
Ein Scherz, natürlich. Keiner seiner ehemaligen Trainer missgönnt dem ehemaligen Schützling den Erfolg. Und Marco Stier hält sogar noch viel mehr für möglich. „Ich traue ihm eine Entwicklung beim FC St. Pauli zu wie Daniel-Kofi Kyereh.“ Also doch: Oberstes Regal – jedenfalls fast.