Darmstadt. In einem hochklassigen Duell gewinnen die Hamburger mit 3:0 beim SV Darmstadt 98 und formulieren erstmals offen Aufstiegsambitionen.

Auf den Tag exakt ein Jahr war es her, da wurde der FC St. Pauli schon einmal zum Steigbügelhalter eines Aufsteigers. Staffage auf der Bühne des FC Schalke 04. So eindrucksvoll die Erinnerung daran für Außenstehende ist, so schmerzhaft ist sie noch immer für die Akteure, die an jedem 6. Mai 2022 in der Veltins-Arena dabei waren. Nie, nie wieder. "Das war damals schön, aber nicht für uns. Das wollten wir kein weiteres Mal mitmachen, das hat der Trainer extra angesprochen", sagte Leart Paqarada.

Doch Geschichte wiederholt sich. Aber nicht an diesem 6. Mai 2023 im Darmstädter Merck-Stadion am Böllenfalltor. Stattdessen ließ St. Pauli die große Party zur bevorstehenden Rückkehr des SV Darmstadt 98 in die Bundesliga, für die alles vorbereitet war, platzen. Mit 3:0 (1:0) gewannen die Braun-Weißen am späten Sonnabend hochverdient und stellten mit nunmehr 36 Punkten bereits drei Spieltage vor Saisonende den vereinsinternen Rekord für eine Halbserie ein. Zudem brachte der Zweitligist Darmstadt die erste Heimniederlage dieser Spielzeit bei.

Hochklassiges Spiel zwischen Darmstadt und St. Pauli

Dabei zeigte das Geschehen auf dem Rasen, dass Darmstadt fußballerisch wenig beigebracht werden muss. Es war so viel Feuer in dieser Partie. Im wörtlichen Sinn, da schon vor Spielbeginn – Überraschung, Überraschung – reichlich Pyrotechnik verheizt wurde.

Auf dem Spielfeld: Kein Moment zum entspannten Fingernägelkauen. Beide Teams schalteten blitzschnell um, war der Ball eben noch am Sechszehner Darmstadts, konnte er sich drei Sekunden später unter bester Kontrolle der Hausherren am entgegengesetzten Pol befinden.

Auf diese Art gelangte Darmstadt durch Fabian Schnellhardt zum ersten Torschuss (8.), den Nikola Vasilj parierte, in dessen Rücken auf der Jonathan-Heimes-Tribüne umgehend erste "Lilien"-Sprechchöre einsetzten. Ouvertüre für ein hochklassiges Zweitligaspiel.

Darmstadt stärker, aber ohne Tor

St. Pauli wurde von einem kompletten Gegner mit ausgereifter Spielanlage ungewohnt in die Defensive gedrängt, besaß deutlich seltener den Ball. "Wir haben keine spielerischen Lösungen gegen das Pressing gefunden, sind zu häufig auf wenig zielführende lange Bälle gegangen", sagte Cheftrainer Fabian Hürzeler.

Aber erneut nur Nebendarsteller? Doch bitte nie, nie wieder.

Allein I: Darmstadts Präsenz war zu einnehmend. Zunehmend wurden die Hamburger in teils erzwungene, teils leichtfertige Ballverluste gelockt. Und sowieso: Phillip Tietz, immer wieder Phillip Tietz.

Allein II: Einen nennenswerten Effekt hatte der Auftritt von "Les Bleus", der St. Pauli als Blauphase für einen Aufstiegsangriff in der kommenden Saison dienen kann, nicht. Vasilj, Ungenauigkeit im Abschluss oder ein verteidigender Fuß – die Antwort "Tor" lieferte der Multiple-Choice-Test bis zur Halbzeit nicht.

Torjäger Tietz bringt St. Pauli per Eigentor in Führung

Zumindest nicht auf der Erstklassenarbeit des SVD. St. Pauli ging stattdessen mit dem Pausenpfiff in Führung. Aus. Dem. Nichts. Freistoß Paqarada auf den kurzen Pfosten, an dem Adam Dzwigala den Ball per Kopf streift. Und immer wieder Tietz. Abgefälscht, nur ins eigene Tor. Nehmt das, ihr Aufstiegsträume.

Die vorzeitige Gelegenheit, Darmstadt schlafen zu legen, verpasste St. Pauli direkt nach der Halbzeit, als Hartel nach Paqarada-Flanke aus kurzer Distanz an Torwart Marcel Schuhen scheiterte (47.).

Elias Saad trifft erneut für St. Pauli

Doch dies ermöglichte nur einem Jungdarsteller, die für ihn eigentlich nicht vorgesehene Rolle des Hauptdarstellers zu übernehmen. Es ist schon ein Wahnsinn mit diesem Elias Saad. Im Winter aus der Regionalliga verpflichtet, vor drei Spielen erstmals eingesetzt, und nun der zweite Treffer in der vierten Begegnung (57.).

Vorausgegangen war einer dieser Volleyschüsse von Paqarada, die in dieser Saison schon locker fünfmal den Weg ins Netz hätten finden können, aber ihn verlässlich nicht fanden. Diesmal ließ Schuhen abklatschen, Lukas Daschner legte den Abpraller in seiner ersten, aber nicht letzten auffälligen Szene geistesgegenwärtig quer auf Saad, der ohne Schwierigkeiten einschob.

"Wir haben in der Halbzeit darüber gesprochen, dass nur hohe Bälle auf mich gespielt wurden, mit denen ich gegen diese physische Abwehr wenig anfangen konnte. Das wollten wir ändern, was uns auch gelungen ist", sagte Daschner.

David Otto erhöht auf 3:0

Nicht zu früh freuen. Im Gegenzug verkürzte Tietz (59.). Schon in Gelsenkirchen vor einem Jahr hatte St. Pauli nach 2:0-Führung noch 2:3 verloren. Schalke? Köln! Dachten zumindest die 17.650 Zuschauer am Böllenfalltor, als Schiedsrichter Tobias Reichel den Arm hob, doch nicht einmal der Videoassistent im Kölner Keller musste eingreifen. Der vermeintliche Vorlagengeber Mathias Honsak stand beim Pass im Abseits.

Den Lilien-Fans war es herzlich egal. Sie feierten ihre Mannschaft, deren Aufstieg lediglich vertagt wurde, trotzdem. Selbst, als der eingewechselte David Otto nach einem weiteren Daschner-Assist zum 3:0 einschob (84.), verließen lediglich einige Anhänger auf der VIP-Tribüne vorzeitig die Arena.

Hartel und Hürzeler: "Schauen, was der HSV macht."

St. Pauli verließ sich hingegen nach dem Seitenwechsel auf seinen Stil und dominierte den Tabellenführer nach Belieben. Die Hauptdarstellerrolle an diesem Sonnabend war eindeutig verteilt.

Und das letzte Wort darüber, wer im Aufstiegsrennen im Mittelpunkt steht, soll längst nicht gesprochen worden sein. Angriffslustig wie nie zuvor gaben sich die Kiezkicker nach der Machtdemonstration. "Wir müssen unsere nächste Aufgabe in Düsseldorf erfüllen und werden uns gewissenhaft darauf vorbereiten. Und dann mal gucken, was der HSV macht", sagte Hartel in Richtung des nur noch vier Punkte besseren Stadtrivalen.

Selbst Hürzeler, Meister des Understatement, ließ sich am Sky-Mikrofon zu einer indirekten Kampfansage hinreißen: "Nächste Woche kommt Düsseldorf. Das ist ein Verfolgerduell um Platz drei. Wenn wir da gewinnen, dann sind wir mindestens über Nacht einen Punkt dran, und dann schauen wir mal, was passiert." Kommt es so, schauen die Zweitligafans einen Blockbuster.

SV Darmstadt 98: Schuhen - Pfeiffer, Zimmermann (67. Seydel), Müller - Bader, Kempe, Schnellhardt (46. Honsak), Karic - Mehlem - Manu (67. Stojilkovic), Tietz.
FC St. Pauli: Vasilj - Dzwigala, Medic, Mets - Saliakas, Irvine, Hartel, Paqarada (77. Ritzka) - Afolayan (81. Otto), Daschner (90.+1 Beifus), Saad (81. Metcalfe).
Tore: 0:1 Tietz (45./Eigentor), 0:2 Saad (57.), 0:3 Otto (84.). Schiedsrichter: Reichel (Stuttgart). Zuschauer: 17.650 (ausverkauft). Gelbe Karten: Mehlem (11), Seydel (5) - Beifus (2). Statistiken: Torschüsse: 18:12; Eckbälle: 2:1; Ballbesitz: 57:43 Prozent; Zweikämpfe: 93:81; Laufleistung: 111,6:121,4 Kilometer.