Hamburg. Die Nationalspielerin ist am Sonnabend in einer ARD-Show zu Gast. Hilfe bekam sie auch von Olli Schulz und Jan Böhmermann.
„Doch, ich war sehr nervös“, gibt Jana Marquart zu, „die ganze Erfahrung war super aufregend und sehr spannend.“ Das kann man sich vorstellen, wer tritt schon als normaler Mensch in einer großen ARD-Show am Sonnabendabend auf? Aber Marquart ist eben kein gewöhnlicher Mensch, sondern hat eine besondere Begabung. Obwohl sie nur zwei Prozent Sehvermögen hat, ist sie eine erfolgreiche Fußballspielerin beim FC St. Pauli und im Nationalteam. Sie ist mit diversen Schäden an den Augen zur Welt gekommen, niemand weiß, warum. Hell, dunkel, vereinzelte Farben kann sie sehen, mit starker Lupe auch lesen und Fernsehen mit Audiodeskription schauen. Aber die Krankheit schreitet unaufhaltsam fort.
Blindenfußball: Jana Marquardt trifft am Sonnabend in ARD-Show auf
Jana Marquart ist die Kapitänin des deutschen Frauennationalteams im Blindenfußball. Sie kann in der durch eine Augenbinde hergestellten kompletten Dunkelheit einen rasselnden Fußball sicher am Fuß führen, schießen, ihr Team dirigieren. Das „Tor des Monats“ von St. Paulis Blindenfußballer Serdal Celebi vom August 2018 hatte sie auf den Sport aufmerksam gemacht. „Ich komme aus einer totalen Fußballfamilie, habe als Kind, als ich noch gut sehen konnte, immer mit meinem Bruder gebolzt“, erzählt sie. Jetzt gab es plötzlich eine Möglichkeit, ihren Lieblingssport auch ernsthaft zu betreiben. „Es ist mega, wir sind durch die Verdunkelung alle gleich und eben nicht gehandicapt wie anderswo“, sagt sie.
„Was kann der Mensch?“, heißt die Show mit Moderator Eckart von Hirschhausen an diesem Sonnabend (20.15 Uhr). Einzelheiten ihres Auftritts darf sie nicht verraten. Nur so viel: Auch ein prominenter Schauspieler war involviert, probierte sich selbst als Blindenfußballer aus – und war natürlich beeindruckt. „Ich wurde dort interviewt, es gab einen kleinen Talk, da konnte ich über unseren Sport sprechen“, erzählt sie.
Frauen-Nationalmannschaft erhält keine finanzielle Unterstützung für WM
Die 30-Jährige hat sich zu der wohl engagiertesten Kämpferin für ihren Sport entwickelt. „Ja“, gibt sie zu, „ich organisiere gerne, nehme Dinge in die Hand und kümmere mich.“ Eine ARD-Show ist natürlich eine ideale Plattform, um auf die fehlende Anerkennung durch die deutschen Sportinstitutionen hinzuweisen. So gibt es für die Teilnahme der Frauen-Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Birmingham vom 18. bis 27. August im Rahmen der Weltspiele der Blinden keine finanzielle Unterstützung durch den Deutschen Behindertensportverband (DBS). „Immerhin haben sie uns angemeldet. Es darf aber nichts kosten.“
Jana Marquart hat ihr Studium der Sozialen Arbeit abgeschlossen und arbeitet in einem Projekt, das versucht, „Schüler zwischen sechs und zehn Jahren mit herausforderndem Verhalten in den normalen Schulbetrieb zu reintegrieren.“ Das ist kein Kuscheljob, da muss man sich durchsetzen, erlebt Herausforderungen. Wer die besteht, der hat auch keine Angst vor der deutschen Sportbürokratie.
„Wir wollen doch nur ernst genommen werden“
„Die mit dem Bundesministerium des Innern abgestimmten Fördergrundsätze sehen einen klaren Schwerpunkt der Förderung auf die paralympischen Sportarten“, teilte der DBS als Grund für die Verweigerung finanzieller Unterstützung mit. Die Männermannschaft, die ebenfalls an der WM teilnimmt und sich für Paris 2024 qualifizieren will, bekommt deshalb Geld, die Frauen, die kein paralympisches Fußballturnier spielen, bekommen nichts.
Frank-Thomas Hartleb, der Direktor für Leistungssport des DBS, erklärte zudem im Deutschlandfunk: „Es gibt einige Frauen, die Fußball spielen, die sehbehindert sind, die blind sind. Meistenteils aus dem Verein St. Pauli. (...) Daraus den Schluss zu ziehen, es wäre eine Nationalmannschaft, das wäre sicherlich viel zu weit gegriffen.“ Jana Marquart ist da fassungslos: „Wir wollen doch nur ernst genommen werden.“ Sie sieht Parallelen zur Entwicklung des Fußballs der Frauen in Deutschland: „Die erste deutsche Mannschaft, die Weltmeister wurde, war die Vereinsmannschaft der SSG Bergisch Gladbach.“ Das war 1981 bei einem Turnier in Taiwan, der DFB hat erst ein Jahr später ein Nationalteam der Frauen gegründet. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte. Pionierinnen müssen eben oft Hürden überwinden um die ersten Schritte zu tun.
Erstes Frauenteam Deutschlands gibt es seit Januar 2022
Und richtig: Blindenfußball für Frauen ist relativ neu. Erst im Januar 2022 hat St. Paulis umtriebiger Blindenfußballtrainer, -organisator und -tausendsassa Wolf Schmidt das erste Frauenteam Deutschlands gegründet, das mangels Ligabetriebs sich nur auf Turnieren mit internationalen Gegnerinnen messen kann. Ansonsten sind die Spielerinnen, so gut es geht, in die überwiegend aus Männern bestehenden Teams integriert, so wie das große Talent Thoya Küster (16), die in St. Paulis Meistermannschaft spielt.
Küster ist natürlich auch Mitglied des Frauen-Nationalteams, das 2022 in Italien nach nur zwei Spielen gegen England Europameister geworden ist. „Andere Nationen mussten absagen, weil es auch ihnen an finanzieller Unterstützung fehlt“, erzählt Marquart. Die EM-Teilnahme hatte das Team selbst finanziert, Eltern, Freunde, Spender und eine Crowdfunding-Kampagne haben geholfen. Gegenüber den Engländerinnen kamen sich die Deutschen wie Aschenputtel vor. „Die hatten super schicke Trainingsanzüge, tolle Trikots, alles vom Feinsten“, erzählt Marquart. Englands Blindenfußballer sind nämlich dem nationalen Fußballverband FA angeschlossen und nicht einem Behindertensportverband.
Hilfe durch Olli Schulz und Jan Böhmermann
Der DFB hilft zwar hier und da mit der Sepp-Herberger-Stiftung, verweist ansonsten aber auf die Zuständigkeit des DBS. Auf 45.000 Euro hat Schmidt die Gesamtkosten für Birmingham kalkuliert, also musste das Team wieder aktiv werden. Jana Marquart schrieb die Macher des „Fest & Flauschig“-Podcasts von Olli Schulz und Jan Böhmermann an, hatte Erfolg. Sie redeten über die Aktion. „Das hat uns extrem geholfen bei der Crowdfunding-Aktion“, weiß sie. Das Ziel 20.000 Euro ist erreicht, am Sonntag läuft die Kampagne ab. Weitere 25.000 Euro steuert glücklicherweise die Heinz-Kettler-Stiftung für Behindertensport bei.
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Läuft also. Dank großer Eigeninitiative. Fünf Spielerinnen vom FC St. Pauli, je eine aus Düsseldorf und Dortmund fahren nach England, gespielt wird in Fünferteams auf Kleinfeld. Neben England treffen sie auf Argentinien, Ghana, Mali und Indien. „Es wird sehr aufregend, ein bisschen wie Olympia“, sagt Jana Marquart. Eine Fernsehshow ist wahrscheinlich nichts dagegen.