Hamburg. Jan-Philipp Kalla spricht im Podcast Millerntalk über die Gefühle vor seinem Abschiedsspiel an diesem Sonnabend.
Entspannt, mit seinem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, kommt Jan-Philipp Kalla (36) in die Redaktion des Abendblatts, um im Podcast „Millerntalk“ über seine nunmehr zwei Jahrzehnte beim FC St. Pauli, die Gründe für die aktuelle Siegesserie des Zweitligateams, aber vor allem über das zu sprechen, was am Sonnabendnachmittag im Millerntor-Stadion über die Bühne gehen wird – sein offizielles Abschiedsspiel.
An seiner Seite ist bei diesem besonderen Podcast Martin Drust (54), der in der Führungsriege des Millerntor-Clubs den Titel „Geschäftsleiter Marke“ trägt und seine Aufgabe vor allem darin sieht, im Hintergrund strategisch daran zu arbeiten, dass der „von vielen Menschen gestaltete FC St. Pauli ein homogenes Bild abgibt“, wie er selbst sagt.
Kalla spielte 17 Jahre für St. Pauli
Das ist im Falle des Abschiedsspiels für den von den Fans jahrelang beim Verlesen der Aufstellung als „Fußballgott“ betitelten Kalla keine schwierige Aufgabe. Wer sonst als einer, der 17 Jahre für Braun-Weiß gespielt hat, sollte eine derartige Würdigung verdient haben? Und es ist Kalla im Laufe des Gesprächs dann doch anzumerken, dass mit dem Blick auf den Sonnabend die Aufregung gegenüber der Gelassenheit die Oberhand gewinnt.
„Je dichter der Tag kommt, desto stärker wird das Kribbeln“, gibt er zu und erzählt: „Immer mehr kommen mir diese Bilder in den Kopf. Ich stehe in dem Tunnel, ein Einlaufkind an der Hand, die Hell’s Bells fangen an, gespielt zu werden und man hat eine Vorahnung, was da draußen gleich passiert“, beschreibt er, was in ihm immer wieder vorging, kurz bevor er mit der Mannschaft auf den Rasen lief.
Genau das wird er am Sonnabend noch einmal erleben – mit dem feinen Unterschied, dass beide Mannschaften „seine“ sind, besetzt mit Weggefährten seiner Karriere. „Jeder, der das mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Das löst jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut aus“, sagt er.
Corona bremste Kalla lange aus
Nach seinem letzten Zweitligamatch, dem 1:1 gegen Regensburg am 21. Juni 2020, musste Kalla fast drei Jahre auf „sein“ Spiel warten. Corona war schuld daran. Eine Verabschiedung vor leeren oder spärlich besetzten Rängen – das kam nun wirklich nicht infrage. Jetzt könnte es gut und gern eine fünfstellige Kulisse im Millerntor-Stadion werden, und damit auch eine ansehnliche Einnahme.
Kalla hat schon einige Ideen, wie der Überschuss für gute Zwecke verwendet werden soll. Da trifft es sich gut, dass er seit geraumer Zeit im Spendenbeirat von „Kiezhelden“ sitzt, der sozialen Plattform des FC St. Pauli, die Projekte des Stadtteils und der Fanszene unterstützt. „Ich möchte, dass die Kiezhelden beteiligt werden, dazu mein eigener Förderverein Friends Cup, der Verein Dunkelziffer und eine Organisation, die die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien unterstützt“, berichtet Kalla.
Sobiech kommt aus Südafrika, zwei aus Amerika
Am meisten aber freut er sich natürlich darauf, die zahlreichen Weggefährten seiner Karriere begrüßen zu können, um mit ihnen noch einmal gemeinsam zu kicken. Die weitesten Anreisen haben Lasse Sobiech aus Südafrika sowie Ian Joy und Jonathan Bourgault aus den USA und Kanada. „Ich will aber schon gewinnen“, sagt Kalla mit einem Grinsen und verrät, wie er dies anstellen will: „Ich wechsele mich immer in das Team ein, das in Führung liegt. Am Ende bin ich dann bei den Siegern.“
Ob das die Trainer der Teams, Andreas Bergmann und Ewald Lienen, mit sich machen lassen? Zwei andere Trainer hatten ihm schon im Vorwege klargemacht, dass sie auf jeden Fall spielen und nicht auf der Trainerbank sitzen wollen – André Trulsen und Timo Schultz.
Länger bei St. Pauli? Kalla hätte es Schultz gegönnt
Wobei mit Letzterem die Entwicklung des aktuellen Zweitligateams ins Spiel kommt. Bekanntlich schwimmt die Mannschaft auf einer Erfolgswelle von acht Siegen in Folge, seit Schultz, mit dem Kalla bis 2011 noch zusammengespielt hatte, im Dezember beurlaubt wurde. „Es ist schade, dass er jetzt nicht mehr Trainer bei uns ist. Ich hätte ihm auch noch 27 weitere Jahre gegönnt. Aber so ist das Geschäft. Der sportliche Erfolg ist über längere Zeit ausgeblieben, und dann haben sich der Verein und Sportchef Andreas Bornemann lange beratschlagt, was das Beste für den Verein ist“, gibt sich Kalla diplomatisch zu dieser Frage.
- Sein Vertrag läuft aus: Wechselt Daschner in die Bundesliga?
- Verteidiger Jakov Medic: Aufstiegskampf? Bloß keinen Druck!
- St. Paulis B-Elf überzeugt beim Sieg gegen Hannover 96
Und wie steht es mit der vagen Hoffnung, doch noch in den Aufstiegskampf einzugreifen? „Sag niemals nie“, antwortet Kalla, der 2010 selbst erlebt hat, wie sich ein Team in einen Aufstiegsrausch spielt.
Verhindern St. Paulis Werte sportlichen Erfolg?
Für Martin Drust ist derweil wichtig zu betonen, dass beim FC St. Pauli sportlicher Erfolg keineswegs dadurch be- oder gar verhindert wird, dass der Verein seine besonderen Werte lebt und klare politische Haltungen einnimmt. Dies wird ja immer wieder gern behauptet.
„Die Wahrheit ist eher andersherum. Gerade dadurch, dass wir so viele Sachen anders und abseits des Fußballs machen, werden wir überhaupt in die Lage versetzt, gegebenenfalls mal aufzusteigen“, sagt Drust. An diesem Sonnabend aber tritt diese Diskussion in den Hintergrund. Die Bühne gehört Jan-Philipp Kalla.