Hamburg. Mit 31 ist Fabian Hürzeler jüngster Chefcoach in der Premier League. Wer ist der Mann, der vom FC St. Pauli kam? Eine Spurensuche.
- Fabian Hürzeler wechselt vom FC St. Pauli zu Brighton & Hove Albion, um der jüngste Cheftrainer der bisherigen Geschichte der Premier League zu werden.
- Der Erfolgscoach wurde in Texas geboren, wuchs in München auf, hatte ersten Erfolg im Landkreis Dachau.
- Ehemalige Wegbegleiter erinnern sich an ihre Begegnungen mit Hürzeler.
Anmerkung: Der Original-Artikel ist am 3. März 2023 erschienen.
Hubert Fesl muss nicht lange überlegen, wenn er an die erste Begegnung mit Fabian Hürzeler zurückdenkt. „Auf mich wirkte er wie ein verwöhntes Bürschlein, das von seinen Eltern auf Rosen gebettet wurde“, sagt der Pressesprecher des FC Pipinsried, den im 573 Einwohner kleinen Gemeindeteil des Markts Altomünster niemand bei seinem Vornamen, sondern in Anlehnung an den bayerischen Musikkabarettisten Fredl Fesl nur als Fred kennt, über den Mann, den im Landkreis Dachau niemand bei seinem Nachnamen, sondern nur als „den Fabi“ kennt. Und den wiederum der deutsche Profifußball gerade erst so richtig kennenlernt.
Hürzeler ist mit 31 Jahren nun der jüngste Cheftrainer der Premier League, wechselt zu Brighton & Hove Albion. Seine Pflichtspielbilanz, seit ihn der FC St. Pauli einen Tag vor Heiligabend 2022 zum Cheftrainer machte: atemberaubend. Startrekord für einen Coach beim Kiezclub mit zehn Siegen in Folge; Bundesliga-Aufstieg; Zweitliga-Meisterschaft. Doch wer ist Hürzeler eigentlich? Das „verwöhnte Bürschlein“, der „Rekordmann“, „der künftige Bundestrainer“, was ebenfalls von Fesl stammt, oder alles in einem? So oder so: Die Spurensuche führt nach Bayern.
Fabian Hürzeler: Wer ist der neue Trainer von Brighton & Hove Albion
Der Himmel über Pipinsried ist klar, die Temperaturen eiskalt. Im Vereinsheim des FC Pipinsried lässt es sich aushalten. Das Ambiente wirkt bayerisch-rustikal, hier ist man stolz aufs Ehrenamt, die Wände sind tapeziert mit Bildern aus der Historie des 1967 gegründeten Clubs. Eine Trainergalerie hängt auch dort. Hürzeler, der erfolgreichste Coach, der bislang in Pipinsried gearbeitet hat, fehlt. Es war kein Platz mehr im Rahmen. „Müssen wir irgendwann mal ergänzen“, sagt Roland Küspert. Der 67-Jährige ist Vorstand des Regionalligisten, bei dessen Heimspielen das ganze Dorf auf den Beinen ist. Küspert ist nicht der Entdecker Hürzelers. Als der Rentner 2018 den Vorsitz nach 51-jähriger Regentschaft des legendären Konrad Höß (82) übernahm, hatte sein Vorgänger den Mittelfeldspieler mit den markant tätowierten Armen bereits zwei Jahre zuvor als Spielertrainer installiert.
Küspert ist aber der Bewahrer Hürzelers. Der an ihm festhielt, als das Team aus der Regionalliga in die Bayernliga abgestiegen war. „Damit er die Suppe, die er sich eingebrockt hat, selber auslöffeln kann“, formuliert er es selbst. Küspert spricht, wie abgesehen vom „Bürschlein“-Vorwurf auch der neben ihm sitzende Fesl, in hohen Tönen von Hürzeler, lässt dessen Schwierigkeiten im Dörflichen aber nicht unerwähnt. „Ihm eilte der Ruf voraus, schwierig zu sein. Aber das war hier für ihn natürlich auch eine ganz andere Welt als die, die er von Kindesbeinen an kannte“, sagt Küspert. Um diese Welt zu ergründen, ist eine Exkursion eine Autostunde nach Südosten nötig. Auf nach München.
Fabian Hürzelers Eltern sind stadtbekannte Zahnärzte
Dort entstammt Hürzeler einem sehr guten Hause. Die Eltern führen eine stadtweit bekannte Zahnarztpraxis. Der aus der Schweiz stammende Prof. Dr. Markus Hürzeler zählt laut Praxiswebsite „zu den weltweit führenden Spezialisten für komplexe Implantatbehandlungen“, Dr. Bärbel Hürzeler „konzentriert sich auf die Verbesserung von ästhetischen und funktionellen Problemen im Frontzahnbereich“. Fabians Schwestern Svenja und Michelle sind in der Unternehmensberatung sowie als Athletiktrainerin beschäftigt, Bruder Adrian ist Pilot, gemeinsam beziehen sie regelmäßig ihr
Ferienhaus in Österreich.
Da der Vater international gefragt ist, ist die Familie früher viel unterwegs gewesen. Fabian Hürzeler wird in Houston im US-Bundesstaat Texas geboren, besitzt per Geburtsortprinzip neben der deutschen und schweizerischen daher auch die US-Staatsbürgerschaft. Als er zwei Jahre alt ist, ziehen die Hürzelers nach Freiburg, drei Jahre später nach München.
Fabian Hürzeler war Kapitän des FC Bayern München
Die Vereinigten Staaten sind ein Sehnsuchtsort für Hürzeler. Er schwärmt von den Familienurlauben im Wohnwagen in den atemberaubenden Nationalparks im Westen und mittleren Westen Nordamerikas, von Natur, Bären und Elchen. Wenn er später selbst eine Familie haben sollte, will er wieder dorthin verreisen, sagt der ledige Übungsleiter. Erst im vergangenen Sommer besuchte er sein Geburtsland erneut. Nicht für Ferien, sondern für Fußball. Hürzeler hospitierte beim Major-League-Vizemeister Philadelphia Union und dessen deutschem Sportdirektor Ernst Tanner (56), den er aus gemeinsamen Zeiten bei 1899 Hoffenheim kennt.
Sportlicher Sehnsuchtsort Hürzelers ist die Champions League. In Pipinsried haben alle darüber gelacht. Als Spieler wird er die Königsklasse auch nicht mehr erreichen. 21 Einsätze für deutsche Juniorennationalmannschaften. Danach: FC Bayern München II, TSG Hoffenheim II, TSV 1860 München II. Die Laufbahn im Junioren- und frühen Herrenbereich liest sich solide, aber nicht herausragend. Was nun? Die Dritte Liga in Kiel wäre möglich gewesen. Ein Witz für einen ehemaligen Mannschaftskapitän im Nachwuchsleistungszentrum des FC Bayern. Und hier kommt Roman Plesche ins Spiel.
Der „Plesche-Plan“ bringt Hürzeler auf Kurs
Der 35-Jährige ist ein angenehmer Zeitgenosse, der viel Ruhe ausstrahlt. Gemächlicher Allgäuer Dialekt, adrett gekleidet, wenn ihm etwas nicht passt, formuliert er das, anders als der im privaten Kontext mitunter subtilere Hürzeler, direkt. Plesche bestellt Wiener Schnitzel mit Vogerlsalat und Johannisbeerschorle im urigen Spatenhaus an der Münchner Oper. Das passt ihm.
Hürzeler lernt er bei Präsenzterminen des Sportbusiness-Management-Fernstudiums am IST-Studieninstitut in Düsseldorf kennen. Beide freunden sich schnell an, ziehen gemeinsam in eine WG (Plesche: „Dort sah es nicht immer ordentlich aus.“) und werden Arbeitskollegen. Als Verkäufer in einer Agentur für zeitgenössische Kunst. Der Weg aus dem Fußball heraus für Hürzeler, der zu dieser Zeit bei 1860 II kickt, scheint also vorgezeichnet zu sein. „Aber er war nicht vorstellbar“, erinnert sich Plesche. „Fabi ist ein Fußballverrückter, der sich den ganzen Tag mit kaum etwas anderem befassen kann.“
Ein Plan muss her: der Plesche-Plan. „Die Überlegung war gar nicht so komplex. Als sinnvolle Option bestand nur noch die als Trainer“, sagt er. Davon, dass dies der richtige Weg sei, muss er neben dem Freund auch dessen Eltern überzeugen. „Ihnen ist sehr wichtig, ihren Kindern das Beste zu ermöglichen.“ Im finalen Schritt stellt er den Kontakt zum Bayernligisten FC Pipinsried her, der einen Spielertrainer gesucht hatte.
In der Provinz stellt der Neue alles auf den Kopf. „Im Trainingslager hat er täglich Videoanalysen durchgeführt. Das soll doch eine Gaudi sein. Wir dachten alle, der spinnt“, sagt Küspert lachend. Ein akribischer Arbeiter mit taktisch hervorragenden Ansätzen sei er gewesen, so Fesl.
Hürzeler scheitert zunächst krachend. Nach vier Niederlagen aus den ersten fünf Begegnungen zählt die Presse den jungen Spielertrainer bereits an. „Davon erzählt er immer noch“, sagt Plesche.
Hürzeler unglücklich? „Er ist nur wahnsinnig ehrgeizig"
Nach eigener Aussage liest Hürzeler mittlerweile nicht mehr, was über ihn und den FC St. Pauli geschrieben wird, sondern lediglich die Überschriften. Gefallen sie ihm, gibt es keinen Grund zur Lektüre. Gefallen sie ihm nicht, verweigert er das Lesen, um sich nicht zu ärgern. Hürzeler wirkt oft fokussiert an der Grenze zur Verbissenheit. Auch unmittelbar nach den bisherigen Siegen stellte er verlässlich zunächst die Kritikpunkte heraus. „Ein, zwei Stunden dürfen wir uns freuen, dann geht es an die Vorbereitung des nächsten Spiels“, sagte er schon nach seinem Premierenerfolg, einem 1:0 beim 1. FC Nürnberg am 29. Januar. „Es wirkt so, als könne er nicht glücklich sein, aber er ist einfach nur wahnsinnig ehrgeizig“, sagt Plesche.
Dass er Siege sehr wohl zu feiern und sie überhaupt erst mal einzufahren weiß, finden sie in Pipinsried bald heraus. Nach der anfänglichen Krise schweißt die Mannschaft ein schwerer Schicksalsschlag zusammen. Bei dem rechtsradikal motivierten Anschlag im Münchener Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016 wird die Schwester eines Spielers getötet. Danach verliert das Team kein Spiel mehr, steigt sensationell in der Relegation gegen Greuther Fürth II in die Regionalliga auf.
Und dort in der zweiten Saison wieder ab. Die Kritik am häufig unnahbar wirkenden Emporkömmling wächst wieder. Doch der branchentypische Impuls, ihm die Kündigung auszustellen, bleibt aus. Auch weil Hürzeler reift, sich auf sein Umfeld einzustellen weiß, ohne sich dabei verbiegen zu lassen. Es ist nicht das erste Mal in seinem Leben gewesen.
Fabian Hürzeler nahm den „zweiten Ausbildungsweg“
Ortswechsel: Auch am spektakulären Campus des FC Bayern im Münchner Norden, an dem seit Sommer 2017 sämtliche Jugendmannschaften sowie die Frauen beheimatet sind, gibt es eine klare Meinung zu Hürzeler. Er sei eine „interessante Persönlichkeit, in jeglicher Hinsicht“, sagt Sebastian Dremmler. Der organisatorische Leiter des Campus benötigt längere Denkpausen, wenn er über Hürzeler spricht, schließlich liegt der letzte Kontakt weit zurück.
In der Saison 2009/10 coachte Dremmler, damals noch Nachwuchstrainer, Hürzeler in der U 16 des Rekordmeisters. 2013 verließ der heutige Hamburger den Club in Richtung Hoffenheim. Eine Entscheidung, die wenige dort verstanden, von einem Nachwuchsleistungszentrum zum nächsten zu wechseln. „Manche wollen mit dem Kopf durch die Wand, andere, wie Fabian, sind über den zweiten Ausbildungsweg erfolgreich“, sagt Dremmler. Sobald der gebürtige Braunschweiger, vor einer Plastikflasche Mineralwasser in seinem modernen Büro sitzend, die Erinnerung aufgefrischt hat, sitzt – ganz der alte Trainerfuchs – jede Analyse punktgenau.
Wie Effenberg: Stratege, Leitwolf und aggressiver Anführer
Als schüchterner Elfjähriger vom SV Helios-Daglfing aus dem Westen der Stadt sei Hürzeler damals noch an der Säbener Straße aufgeschlagen. Angenehme Spielereltern, keine, die ihr Kind mit aller Macht forcieren. „Der durfte einfach Fußball spielen“, sagt Dremmler. Das ganz große Talent sei er nicht gewesen, vor allem an Schnelligkeit und Physis habe es dem heute 1,82 Meter großen Akteur, der überwiegend im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kam, gefehlt.
„Dafür war Fabian ein unheimlich schlauer Spieler, der sehr strategisch gedacht hat. Es ist ihm als Kapitän gelungen, der Mannschaft in den Spielen den entscheidenden Impuls zu geben. Ich sage mal, so ähnlich wie Stefan Effenberg. Solche Typen tun einem Team gut“, sagt der 47-Jährige. Der Vergleich zum aus Hamburg stammenden Leitwolf passt. Hürzeler war ein aggressiver Spieler, sammelt in Pipinsried in einer Saison mal 14 Gelbe Karten – den Großteil davon wegen Meckerns.
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Schon in München auffällig: „Er war früh reif, hat sich viel und aus mehreren Blickwinkeln mit der Materie Fußball befasst. Daher überrascht es mich nicht, dass er auch als Trainer schon in jungen Jahren gute Arbeit leistet“, sagt Dremmler. Dazu gehört auch die Wandlung des Fabian Hürzeler, die maßgeblich in der Abstiegssaison in Pipinsried verläuft. „Er hat seine menschliche Komponente gefunden, war plötzlich ein nahbarer, amüsanter Kerl, der nach dem Training im Vereinsheim geblieben ist und stundenlang mit den Spielern und Anwohnern Karten gespielt hat“, sagt Fesl. „Da dachte ich, jetzt hat er’s raus, ist nicht nur der Fachidiot, sondern auch der Menschenfänger.“
Fabian Hürzeler kann auch ein Feierbiest sein
Als regelrechtes Feierbiest habe sich Hürzeler bei Mannschaftsabenden und Siegesfeiern gezeigt. „Er kann auf der Kumpelschiene fahren, aber glaubhaft den Schalter umlegen, um dann wieder professionell zusammenzuarbeiten“, sagt Plesche, der inzwischen als Spielervermittler arbeitet und den Regionalligisten Türkgücü München als externer sportlicher Berater unterstützt.
Seit 2020 ist Hürzeler Hamburger. Timo Schultz, sein Vorgänger am Millerntor, den er von Trainerlehrgängen kannte, wollte ihn als Assistenten und Videoanalysten. Vereinzelte Vorwürfe im Übrigen, Hürzeler – nach Schultz’ Entlassung im Gegensatz zu Co-Trainer-Kollege Loic Favé weiter beschäftigt – habe am Stuhl seines Vorgesetzten gesägt, lassen sich nicht einmal im Keim bestätigen. Aber das ist sowieso nur noch eine Randnotiz.
Hürzelers Wegbegleiter: „Er wird es ganz nach oben schaffen“
Eine ausführlichere gibt es zum Abschied in Pipinsried in einem offenen Brief an Verein, Fans und Dorfbewohner. Die Zeilen sind, typisch Hürzeler, sachlich gehalten. Fokus aufs Wesentliche. Er zählt die Erfolge auf, lässt in seiner umfangreichen Danksagung kaum jemanden aus. Nur an einer Stelle wird der Großstädter emotionaler, schreibt: „Ich habe die wirklich schönen Seiten des Fußballs bei euch kennenlernen dürfen. Das familiäre Beisammensein, die Ehrenamtlichen, ohne die Erfolge niemals möglich gewesen wären, und das ständige Zusammenhalten in guten wie in schlechten Zeiten. Das gallische Dorf gegen den Rest der Welt.“
Das Sinnbild stimmt für ihn persönlich nach wie vor. Als 30-Jähriger ist er ein Gallier unter den wesentlich erfahreneren Trainerlegionären. Ein Vorteil, glaubt sein Freund Plesche. „Fabi spielt taktisch begeisternden Fußball, für den er zwar maximale Disziplin fordert, aber er spricht dabei auf Augenhöhe mit seinen Spielern, nicht von oben herab.“
Entscheidend sei nun, dass Hürzeler „das erste Tal der Tränen durchsteht. In der Zweiten Liga ist das etwas anderes als in Pipinsried in der Regionalliga“, wünscht ihm Dremmler, sein alter Trainer. Fesl, der sich für den eingangs erwähnten Satz fast etwas schämt, „weil sich zum Ende hin alles komplett gewandelt hat“, ist sich da ganz sicher: „Er wird es ganz nach oben schaffen.“ Aus dem verwöhnten ist ein erfolgsverwöhntes Bürschlein geworden.