Hamburg. Was der Innovations-Experte Uve Samuels St. Paulis neuem Chefcoach Fabian Hürzeler vor dem Trainingslager rät.

Uve Samuels hatte in letzter Zeit eigentlich mehr als genug Gelegenheiten, um mit Nervosität umgehen zu lernen. Unter anderem hat der gebürtige Auricher noch einmal geheiratet und sich selbstständig gemacht. Dennoch gibt es kaum etwas, dass den 55-Jährigen dieser Tage unruhiger werden lässt als der Start des Trainingslagers im spanischen Benidorm, in das der FC St. Pauli an diesem Montagmorgen gemeinsam mit dem SV Werder Bremen per Charterjet aufbricht.

Das Ulkige daran: Samuels ist weder dabei, noch pflegt er geschäftliche Beziehungen zum Kiezclub, wenngleich er mit Präsident Oke Göttlich in gelegentlichem Austausch steht. Aber man kann sich seinem Herzensverein eben nie ganz entziehen.

FC St. Pauli: Das sind Hürzelers große Herausforderungen

Was den Hamburger Unternehmer interessiert, sind aber nicht die sportlichen Resultate, sondern das, was ihn immer interessiert: Innovationen. Samuels liebt dieses Wort und alles, was dahintersteht. Während des Gesprächs mit dem Abendblatt sagt er sogar nach Erwähnen des
I-Worts, er habe gerade eine Gänsehaut bekommen. Nur folgerichtig also, dass Samuels vor gut einem halben Jahr das Exponential Sports Innovation Institute gründete, nachdem der zweifache Vater, der mehr als 100 Start-ups bei Transformationsprozessen begleitet hat, immer mehr Beratungsanfragen aus dem Profisport erhalten hatte.

Dr. Uve Samuels
Dr. Uve Samuels © Klaus Bodig | Klaus Bodig

Zu den Kunden des sieben Mitarbeiter starken Unternehmens mit Homeoffice-Sitz in Eilbek zählen Klienten aus dem Fußball, Handball, Basketball und Hockey. Mehre Fußball-Erstligaclubs gehören auch dazu, verraten die Referenzen auf der Website. Kommunikabel, sagt Samuels, sei bislang jedoch nur ein Projekt mit der Hockey-Nationalmannschaft der Herren. Dabei ging es darum, aus dem Team heraus Ideen fürs Umschaltspiel und Strafecken zu entwickeln. Ergebnis sei unter anderem eine völlig neue Eckenvariation gewesen, die gegen die Weltklassemannschaft der Niederlande zu einem Tor führte, das in der ganzen Hockeyszene für Aufsehen sorgte.

Agiles Arbeiten werden diese von Samuels initiierten Prozesse genannt, bei denen Innovationen von innen heraus entstehen, anstatt von außen eingetrichtert zu werden. „Im Sport brauchen wir starke Entscheider auf dem Spielfeld. Besonders im hölzernen, deutschen Sportsystem wird den Spielern aber alles extern vorgegeben, was ihre Entscheidungsgabe massiv hemmt“, sagt Samuels.

Was der Innovations-Experte Uve Samuels St. Paulis Chefcoach rät

Und was hat all das nun mit St. Pauli zu tun? Ganz einfach: Samuels hat für den Bund Deutscher Fußball-Lehrer einen Leitfaden verfasst, in dem er agile Methoden als Strategie zur Spielkonzeptentwicklung ins Zentrum rückt. Wie der angehende Fußballlehrer Fabian Hürzeler als neuer Cheftrainer des Zweitligisten FC St. Pauli sein erstes Trainingslager methodisch moderiert, ist für jemanden wie Samuels zum Nägelkauen spannend.

Vor vier Herausforderungen sieht er den 29-Jährigen dabei, nämlich den benannten Kritikpunkten, die zur Freistellung von Timo Schultz führten: Auswärtsschwäche, Balance zwischen Offensive und Defensive, ausbleibende Entwicklung und Unfähigkeit, Rückstände zu drehen. „Ich würde vier Teams für die vier Themen bilden, die eigene Lösungen dafür entwickeln“, sagt Samuels. Der Trainer würde kollaborieren, aber Verantwortung abgeben. Das verlange Mut, „Mega-Eier“, wie Samuels es ausdrückt. Entscheidender sei aber der zweite Schritt: „Bis dahin wurde nur defizitorientiert gearbeitet. Der Fokus sollte aber auch auf die vier größten Stärken gerichtet werden – wieder herausgearbeitet von den Spielern.“

Wenngleich sich Samuels bewusst ist, dass solche Maßnahmen besonders angesichts der Tabellensituation riskant wären, sieht er das Umfeld bei den Braun-Weißen als ideal dafür an: „Zu keinem Verein passen agile Methoden besser als zu einem mit einer partizipativen Vereinskultur wie dem FC St. Pauli. Das geht weit über die bloße Entwicklungen auf dem Spielfeld hinaus.“

Auch das Teambuilding bleibt ein weiterer wichtiger Punkt

Dass ein erheblicher Bedarf besteht, gezielt an den eigenen Stärken und Schwächen zu arbeiten, hat Hürzeler schon einmal mit der Entscheidung untermauert, das für Mittwochnachmittag geplante Testspiel gegen die Bremer Reisebegleiter abzusagen. Erst am Sonnabend soll das bis dahin auf dem Trainingsplatz der Hotelanlage Melia Villaitana, die landschaftlich reizvoll oberhalb der dicht bebauten Touristenstadt Benidorm gelegen ist, Erlernte im Testspiel gegen den FC Lugano in die Praxis umgesetzt werden.

Aber auch das Teambuilding bleibt ein weiterer wichtiger Punkt. Nicht zuletzt deshalb wird auch Innenverteidiger David Nemeth, der wegen einer Schambeinentzündung auch in der vergangenen Woche nicht auf dem Platz trainieren konnte, mit nach Spanien reisen.