Hamburg. Der FC St. Pauli unterstützt die Jugendanstalt Schleswig. Und davon profitieren die Jugendlichen im dem Gefängnis enorm.
Wer die Jugendanstalt Schleswig googelt und in den Rezensionen liest, erfährt scheinbar Amüsantes. „Der Escape Room ist mir etwas zu groß und zu schwer“, schreibt ein angeblicher Besucher, der als „Local Guide“ firmiert. Von einem „erstklassigen Hotel mit gutem Service und freundlichem Personal“ spricht ein anderer, die Einrichtung wird mit durchschnittlich 2,8 von fünf Sternen bewertet. Das Schicksalhafte: Nichts daran ist zum Schmunzeln. Denn bei der Jugendanstalt handelt es sich weder um eine Ausbruchssimulation, noch um ein Gastgewerbe, sondern eine Haftanstalt für jugendliche Straftäter.
Das Leben der derzeit rund 70 männlichen Insassen ist hart, an Weihnachten, das sie fernab ihrer Familien verbringen müssen, besonders. Dies ist nicht der Ort, an dem man Hoffnung sucht. Und trotzdem ein wenig davon findet. Nämlich in den Sport-WGs der sozialtherapeutischen Abteilung, die im Kern dann vielleicht doch ein bisschen den eingangs erwähnten Hotelzimmern mehr ähneln als den klassischen Zellen.
Die jugendlichen Strafgefangenen in Schleswig leben in WGs zusammen
Bis zu 15 Strafgefangene im Alter von 16 bis 24 Jahren leben und organisieren sich gemeinschaftlich in diesen Wohngemeinschaften, der Alltag ist um den Sport herum strukturiert. „Es gibt die Möglichkeit zum Fitnesstraining, Laufgruppen und vor allem unsere Fußballmannschaft“, sagt Lars Weise, Sportkoordinator der Jugendanstalt.
Der 44-Jährige ist eine imposante Erscheinung. Wurzeln im Schwimmen, über viele Jahren Spitzenmilitärsportler im Maritimen Fünfkampf, den ostdeutschen Zungenschlag kann der gebürtige Hallenser nicht verbergen. Aber Weise ist vor allem eines: empathisch. Spricht er über die Jugendlichen, wird seine Stimme weich. Auf die Angebote, die ihnen am Ortsrand der Kleinstadt südlich von Flensburg geschaffen werden, ist er stolz.
So funktioniert die Kooperation mit dem FC St. Pauli
Im Gespräch fallen ihm aber permanent Weiterentwicklungsmöglichkeiten ein. Der FC St. Pauli bietet diese. Schon seit einigen Jahren kooperieren die Jugendanstalt und der Verein. Die Zusammenarbeit soll unter Federführung von Natascha Clasen, stellvertretende Leiterin CSR des Clubs, ausgebaut werden.
Ziel der Sport-WGs ist es, die jungen Gefangenen auf eine sinnvolle Zeit nach dem Knast vorzubereiten. „Dies geschieht durch das aktive Sportangebot, indem die sozialen Kompetenzen geschult und Aggressionen merklich abgebaut werden“, sagt Weise, „zudem aber auch dadurch, dass wir den Jugendlichen die Möglichkeit bieten, ihren Abschluss zu machen und berufliche Perspektiven im Sport vermitteln, beispielsweise als Fitnesskaufmann oder Vereinsassistent. So können sie ihr Hobby zum Beruf machen.“
Abwechslung vom Alltag und eine echte Perspektive
Und hier kommt St. Pauli ins Spiel. Der Kiezclub stellt sein Netzwerk zur Verfügung, um Kontakt zu potentiellen Jobs herzustellen. „Mit St. Pauli kann jeder etwas anfangen, das öffnet den Jungs viele Türen“, sagt Weise, der penibel darauf achtet, dass die Arbeitgeber nicht nur darauf schauen, „was die Jugendlichen gemacht haben, sondern was sie an Qualitäten mitbringen. Nämlich eine ganze Menge“.
St. Paulis Präsident Oke Göttlich betont die Bedeutung dieser Kooperation und spricht den Initiatoren seinen Respekt aus: „Der FC St. Pauli freut sich sehr, wenn wir durch solche Projekte einen Beitrag leisten können, um Menschen etwas Abwechslung sowie eine sinnvolle Perspektive zu bieten. Wir wollen als Sportverein unserer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen. Die Sport-WG in der Jugendanstalt Schleswig zeigt eindrücklich, wie sinnstiftend Sport sein kann und wie wichtig Gemeinschaft sowie Teamplay im Alltag sind.“
Junge Gefangene im Millerntor-Stadion
Um die Partnerschaft zu leben, lud St. Pauli die Sportler-WGler Mitte November ins Millerntor-Stadion ein. „Die Jungs waren von der Stadionführung absolut begeistert und haben sich wie Ehrengäste gefühlt. Wir wurden offen empfangen und nicht wie Gefangene behandelt. Das wird nachhaltig wirken“, sagt Weise.
Ein Spieltagsbesuch sei in Planung, beteuert Clasen, sofern umsetzbar, auch Vor-Ort-Termine in der Jugendanstalt. Der ehemalige Trainer und Technische Direktor Ewald Lienen war in der Vergangenheit bereits dreimal zu Besuch.
Mit guter Führung in das Projekt
Für die Sportler-WG können sich die Häftlinge bewerben. Die Plätze werden nach Eignung und guter Führung vergeben, Trainingsgruppen stehen aber auch anderen Inhaftierten offen, regelmäßige Höhepunkte wie Fußballturniere inklusive. „Es ist ganz wichtig, den Alltag auch immer wieder aufzubrechen. Die Insassen freuen sich darauf, können sich einen Moment unbeschwert fühlen“, sagt Weise.
Der Familienvater initiiert mit seinen Kollegen zudem Schiedsrichter- und Trainerausbildungen, Bewerbungs- und Anti-Aggressionstrainings. „Wir wollen den Jugendlichen Ziele vor Augen führen, für die es sich lohnt, hart zu arbeiten“, sagt er.
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Wer die Anstalt verlassen darf und einen Ausbildungsplatz sicher hat, habe eine echte Chance auf Resozialisierung, so Weise. Hoffnung, der Negativspirale zu entkommen. Doch fast ein wenig wie im Escape Room.