Hamburg. St. Paulis Präsident Oke Göttlich lässt die Trainerfrage weiter offen, beklagt Genügsamkeit und fordert Lösungswege aus der Krise.
Die sportliche Situation des FC St. Pauli hat jetzt auch den Präsidenten auf den Plan gerufen und ihn veranlasst, eindringlich Alarm zu schlagen. Unmissverständlich machte Oke Göttlich in einer Medienrunde klar, dass es rund um die Profimannschaft, die auf dem 15. Tabellenplatz überwintert und punktgleich (17) mit dem 16. Arminia Bielefeld und 17. Magdeburg ist, Veränderungen geben muss und wird. Dabei geht es längst nicht nur um neue Spieler, sondern auch um eine andere Haltung – und möglicherweise auch um Cheftrainer Timo Schultz mitsamt seines jungen Trainerteams.
„Wir stehen heute da, wo wir mit Timo Schultz angefangen haben zu arbeiten“, sagte Göttlich, was rein tabellarisch eine zutreffende Feststellung ist. Der heute 45 Jahre alte Coach hatte das Team im Sommer 2020 übernommen, nachdem es unter dem als Aufstiegstrainer angepriesenen, aber schon früh ungeliebten Vorgänger Jos Luhukay die vorherige, von einer Corona-Pause unterbrochene Saison auf Rang 14 abgeschlossen hatte – mit gerade zwei Punkten vor Relegationsplatz 16.
Absturz wegen Schultz? Göttlich verlangt Lösung für St. Pauli
Göttlich ist die Enttäuschung, ja Verbitterung anzumerken, knapp wieder an einen Punkt gekommen zu sein, an dem es nicht um Veränderungen von Nuancen geht, sondern Grundsätzliches diskutiert werden muss, um den Sturz in die Dritte Liga zu verhindern. „Der FC St. Pauli gehört mit seinen Rahmenbedingungen ins obere Drittel der Zweiten Liga. Wenn das nicht der Fall ist, muss hinterfragt werden, woran das liegt. Darauf haben sich auch Andreas, Timo und ich klar verständigt“, sagt Göttlich.
Der von ihm angesprochene, seit Sommer 2019 agierende Sportchef Andreas Bornemann soll im Endeffekt dem Präsidium die Lösungen präsentieren, die notwendig sind, um eine Trendwende herbeizuführen. „Eine Expertenentscheidung wird im Grundsatz vom Experten getroffen. Und unser Experte für Sport ist Andreas Bornemann“, stellt Göttlich klar. Mindestens drei der fünf gewählten Präsidiumsmitglieder müssen dann zustimmen. Das gilt für Zu- und mögliche Abgänge im Profikader und für Veränderungen auf der Trainerposition.
Göttlich benennt St. Paulis Fehler
Vor diesen Entscheidungen aber steht erst einmal noch eine eingehende Analyse der Situation und vor allem, wie es dazu in den vergangenen knapp zwölf Monaten nach der triumphalen Hinrunde der Saison 2021/22 mit dem Gewinn der Herbstmeisterschaft überhaupt kommen konnte.
„Bei uns ist vielleicht etwas Genügsamkeit nach der erfolgreichen Hinrunde 2021 eingetreten – und aus dieser Genügsamkeit haben wir uns seitdem noch nicht wieder heraus entwickelt“, hat dabei Göttlich erkannt. Und er geht noch weiter: „Es ist eine Besonderheit, dass diejenigen, die nicht genügsam sind, manchmal als Störer wahrgenommen werden. Das ist aber falsch. Wir sollten genau diese Personen maßgeblich unterstützen“, sagt er.
Göttlich will sich nicht blenden lassen
Anders als vor zwei Jahren, als der FC St. Pauli unter Trainer Schultz als Tabellen-17. in die Winterpause gegangen war, ehe er auch mit mehreren neuen Spielern in eine furiose Rückrunde startete, fällt die Analyse jetzt deutlich schwerer. Damals musste das Team „runderneuert“ werden, wie sich Göttlich ausdrückt. Dies sei so diesmal nicht der Fall. Der subjektive Eindruck vieler, dass das Team zumindest bis zum gegnerischen Strafraum einen sehr ansehnlichen Fußball nach einem klaren Konzept spielt, wird durch diverse Statistiken untermauert.
Göttlich warnt aber eindringlich davor, sich davon blenden zu lassen und zu glauben, angesichts der zweifellos vorhandenen Qualitäten werde sich der Erfolg schon einstellen. „Es wäre der größte Fehler zu sagen: Das wird schon. Wir dürfen auf gar keinen Fall diese Laissez-faire-Attitüde Einzug halten lassen. Damit steigt man garantiert ab. Das ist eine ganz wichtige Botschaft“, sagte er.
Göttlich setzt Schultz unter Druck
Es ist keine Frage, dass diese Botschaft an die Mannschaft, aber auch an Trainer Schultz gerichtet ist. Göttlich betont, dass in den vergangenen Jahren der Spieleretat selbst in den Corona-Jahren sukzessive erhöht worden sei. „Auch das erklärt die aktuelle Unzufriedenheit“, sagt Göttlich.
Und weiter: „Sehr intensiv werden wir die Frage besprechen, warum sich die Mannschaft gegen Widerstände so schwer tut – also gegen robust auftretende Mannschaften und gegen Rückstande. Es hat uns als FC St. Pauli immer ausgezeichnet, aktivistisch und meinungsstark zu sein und gegen Widerstände anzugehen – gesellschaftlich oder auf dem Feld. Das ist das, was uns derzeit fehlt, nämlich der Punch.“
Und so bleibt es auch gut eine Woche nach dem Ende der Hinrunde weiterhin offen, ob St. Pauli mit Timo Schultz als Cheftrainer in die Ende Januar startende Rückrunde geht oder nicht.
Klarheit über Trainerfrage nach Analyse
Nachdem am vergangenen Dienstag schon Bornemann auf diese wichtige Personalfrage keine konkrete Antwort gegeben hatte, verwies jetzt Göttlich darauf, dass das Präsidium auf Lösungsvorschläge aus dem sportlichen Bereich wartet, über die es dann abzustimmen gilt. Noch sei die Analyse aber nicht abgeschlossen. „Wir betreiben grundsätzlich absichtsfreie Analysen“, betont er und will damit klarstellen, dass die Trainerfrage erst nach Abschluss der Analyse beantwortet werden wird und es eben nicht von vornherein feststeht, ob man weiter mit oder ohne Schultz plant.
„Wir nehmen keine Rücksicht auf Mehrheitsmeinungen oder Popularitäten“, sagt Göttlich weiter. Bekanntlich genießt Schultz, der seit 2005 bei St. Pauli ist, große Beliebtheit im Verein.
„Wir wollen zum Trainingsstart, spätestens im Januar die Entscheidungen getroffen haben, was neue Spieler angeht und möglicherweise auch andere relevante Themen“, sagt Göttlich. „Wir nehmen uns in Ruhe die Zeit, alle Themen zu besprechen.“ Schultz hat für den 9. Dezember das erste Training nach dem derzeitigen Urlaub für die Spieler angesetzt. Am 2. Januar wird es dann ins Trainingslager nach Benidorm (Spanien) gehen.
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Was Schultz bei St. Pauli zum Verhängnis werden könnte
Es ist unstrittig, dass die sportliche Misere vor allem mit den ungefährlichen Stürmern des Teams zusammenhängt. Hier räumt Göttlich ein, im vergangenen Sommer gemeinsam mit Schultz und Bornemann eine Fehleinschätzung getroffen zu haben.
„Wir hätten durchaus noch einen Stürmer holen können, aber zu welchem Preis? Timo und Andreas haben sich ganz klar darauf verständigt, dass Igor Matanović derjenige ist, auf den sie als Torjäger setzen. Von ihm waren alle überzeugt, dass er 15 Saisontore erzielen kann. Das ist bislang nicht aufgegangen“, sagt Bornemann.
Der 19-Jährige ist stattdessen bisher torlos geblieben. „Ich fand es im Sommer auch richtig, einem Stürmer aus dem eigenen Nachwuchs das Vertrauen zu schenken“, bekennt Göttlich und verspricht, dem Talent weiter den Rücken zu stärken. Gleichzeitig aber soll in diesem Mannschaftsteil personell nachgebessert werden. Dazu bedarf es keiner ausgiebigen Analyse.