Hamburg. Verliert St. Pauli auch beim KSC, könnte der Arbeitsplatz vom beliebten Trainer wackeln. Was dafür-, was dagegenspricht.
Timo Schultz steht die Vorfreude ins Gesicht geschrieben. „Spiele im Wildpark sind immer gut. Wie heißt der eigentlich gerade?“ BBBank Wildpark, gern geschehen. Aber wie berechtigt ist die Vorfreude? Ist dieser Ort mit dem wenig zeremoniellen Namen der, an dem Schultz’ Weg beim FC St. Pauli endet?
Denn klar ist, die schwache Hinrunde mit 16 Punkten aus 16 Spielen ist auch am Trainer nicht spurlos vorübergegangen. Ja, das Spiel beim Karlsruher SC an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky und Liveticker auf Abendblatt.de) könnte sogar zum Schicksalsspiel für Schultz werden.
FC St. Pauli: Auch der KSC steckt in der Krise
Karlsruhe ist als Gegner in dieser Konstellation besonders gefährlich. Nicht etwa, weil der Dreizehnte fußballerisch überzeugt, dem ist allenfalls in Ansätzen so. Sondern weil die Badener die vorangegangenen sechs Begegnungen verloren haben. Unterliegt St. Pauli selbst diesem formschwachen Gegner, würde das die Optik einer ohnehin sportlich schon gefährlichen Situation noch mehr dramatisieren. Aus den finalen fünf Spielen der Hinrunde hätte der Kiezclub dann lediglich zwei Punkte geholt.
Aber der Konjunktiv hat noch keinen Trainer zu Fall gebracht. Im Team genießt Schultz nach Abendblatt-Informationen nach wie vor großen Rückhalt. Der dreifache Vater ist das, was man allgemeinhin als richtig feinen Menschen bezeichnet.
Die Spieler schätzen ihn für seine Empathie und Integrität. „Auf der persönlichen Ebene bleibe ich immer stabil“, sagt Schultz über den Umgang mit seinen Akteuren. Tendenzen, dass die Mannschaft gegen den Trainer spielt, lassen sich nicht ausmachen. Läuferisch, kämpferisch und beim Einsatz in den Zweikämpfen zählt St. Pauli zum oberen Durchschnitt.
Spielerisch jedoch gehen den Kiezkickern zunehmend die Lösungen im Offensivbereich abhanden. Schultz betont, intern inhaltlich deutliche und ehrliche Kritik zu äußern: „Die Jungs müssen wissen, was sie zu tun haben. Zuletzt hat uns der Mut gefehlt, dass jeder den Ball haben und sich ins Eins-gegen-eins aufdrehen wollte. Sonst sind wir kombinationssicherer, überspielen die Linien bis zur letzten Kette besser. Aber das ist nur einmal gegen Holstein Kiel (0:0) vorgekommen, würde das in sechs von zehn Spielen passieren, wäre es ein Alarmsignal, so nicht.“ Er bewahre sich seine norddeutsche Gelassenheit, sagt der in Wittmund geborene Ostfriese.
St.-Pauli-Trainer Schultz experimentiert viel
Schultz probiert trotz aller inneren Ruhe viel und ist durch Personalprobleme mitunter auch gezwungen, viel zu probieren. Vom standardgemäßen 4-4-2 mit Mittelfeldraute stellte er um auf ein 5-3-2, was eine Stabilisierung der Defensive zur Folge hatte – allerdings auch eine fortschreitende Gefahrlosigkeit vorne. „Es ist schon eine gewisse Logik dabei, dass, wenn man einen Spieler mehr hinten reinstellt, vorne jemand als potenzieller Abnehmer oder Kreativspieler fehlt“, sagt Schultz. Gegen Kiel waren dann am Dienstagabend auffällig viele Flanken ein weiterer Versuch, neue Elemente ins Offensivspiel zu implementieren.
Besonders zu Beginn der zweiten Halbzeit bekommt der FC St. Pauli regelmäßig Schwierigkeiten. In der Tabelle von Minute 46 bis 60 belegen die Hamburger den letzten Platz. Als einzigem Club der Zweiten Liga gelang ihnen in dieser Viertelstunde kein Tor. Dies kann als Indiz für eine mangelhafte Einflussnahme des Trainerteams in der Halbzeitpause gelten – angesichts der geringen Stichprobe von nur 240 Minuten aber auch reiner Zufall sein.
Jedoch wird von mehreren Quellen verlautbart, dass Schultz nicht die konfliktfreudigste Person sei, die ungern harte Entscheidungen trifft. Angekreidet wird ihm beispielsweise, in dieser Saison mit Leart Paqarada und Jackson Irvine zwei Kapitäne bestimmt zu haben. Beide wollten es werden, der Trainer habe niemanden vor den Kopf stoßen wollen. Darüber wird gesprochen – obwohl Modelle mit zwei Mannschaftsführern im Profifußball kein Novum mehr sind und besagte Spieler keine Probleme mit dem Wechsel der Kapitänsbinde besitzen, wie sie mehrfach beteuert haben.
Dass im Fall einer Niederlage eine schnelle Entscheidung über den Trainer gefällt wird, erscheint undenkbar. Allein wegen seiner Lebensleistung im Verein, dem Schultz seit 17 Jahren als Spieler und Übungsleiter treu ist, schuldet St. Pauli ihm eine detaillierte Analyse – mit offenem Ausgang.
Fans kritisieren auch Sportchef Bornemann
Sportchef Andreas Bornemann und Präsident Oke Göttlich, die mit Schultz natürlich im ständigen Austausch sind, sind ohnehin nicht bekannt dafür, sich von äußeren Einflüssen treiben zu lassen und Schnellschüsse zu treffen. Druck, eine womöglich unpopuläre Entscheidung bei der Mitgliederversammlung am 17. Dezember, bei der keine Präsidiumswahlen anstehen, verteidigen zu müssen, verspüren sie nicht. Bei den Fans wird Schultz geschätzt, zuletzt mehrte sich allerdings der Unmut über die unbefriedigende Gesamtsituation.
Bornemann, auch ein beliebtes Ziel externer Kritik, steht nicht zur Disposition. Der erfahrene Manager hat ein leistungsorientierteres Umfeld im Club geschaffen und fordert die permanente Entwicklung im sportlichen Bereich immer wieder ein, was Göttlich goutiert. In den vergangenen Transferperioden sind ihm regelmäßig Glücksgriffe, die durch umsichtiges Scouting nur vermeintlich glücklich erscheinen, gelungen.
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Im Sommer verpflichtete Bornemann mit Manolis Saliakas und David Nemeth Defensivspieler am oberen Ende der Zweitliganahrungskette. Dass die Abgänge von Daniel-Kofi Kyereh und Guido Burgstaller nicht gleichwertig aufzufangen sind, war zu erwarten. Indes ist der Qualitätsunterschied zwischen ihnen und den frischen Offensivkräften doch ziemlich eklatant und wäre für jeden Trainer herausfordernd.
FC St. Pauli will sich in der Abwehr verstärken
Der Erwerb eines neuen Stürmers im Winter gilt daher als sicher und genießt oberste Priorität. Nach Abendblatt-Informationen befasst sich St. Pauli zudem mit Leihkandidaten für die Innenverteidigung, da sich bei Nemeth bislang keine Besserung seiner Schambeinentzündung eingestellt hat und zu befürchten ist, dass der Österreicher noch bis in den März hinein ausfallen wird.
Bis dahin dürfte Klarheit darüber bestehen, ob sein Trainer weiter das Vertrauen ausgesprochen bekommt. Sicher ist nur: Diese sportlich komplexe und menschlich schwierige Entscheidung bereitet alles, bloß keine Vorfreude.
Karlsruher SC: Gersbeck – Jung, Kobald, Franke, Heise – Breithaupt – Gondorf, Wanitzek – Choi – Rapp, Schleusener.
FC St. Pauli: Vasilj – Saliakas, Dźwigała, Smith, Beifus, Paqarada – Aremu – Irvine, Hartel – Daschner, Eggestein.