Hamburg. Mit erst 21 Jahren verleiht David Nemeth der Defensive des FC St. Pauli die notwendige Stabilität. Was ihn so wichtig macht.
Mit dem Essen beim FC St. Pauli ist David Nemeth schon mal zufrieden. Neben dem klassischen Hähnchen werden im Trainingszentrum an der Kollaustraße auch Spätzle zur Stärkung zwischen den Einheiten serviert. Da schnalzt die österreichische Zunge, über die wenig später in breitem Dialekt Worte gehen, die wiederum dem FC St. Pauli schmecken dürften: „Es gibt eine klare Spielidee hier, und viele Spieler aus der vergangenen Saison sind noch da, aber es gibt auch einige neue, die erst noch richtig ins System finden müssen. Das wird aber von Woche zu Woche besser, ich mache mir überhaupt keine Sorgen um uns.“
Erste Möglichkeit, die Sorgenfreiheit in einen Befreiungsschlag in der Tabelle der Zweiten Liga umzumünzen: an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky) bei Eintracht Braunschweig.
St. Paulis Nemeth bleibt einfach cool
Weswegen dieser 21-Jährige nun so unbeschwert ins Duell mit dem Aufsteiger geht, lässt sich auf der sportlichen Ebene ebenso erklären wie auf der Metaebene. Was den Innenverteidiger aus der Ruhe zu bringen vermag, muss jedenfalls noch entdeckt werden. Rückschläge vermochten es bislang nicht. Weder in seiner persönlichen Karriere, noch im enttäuschenden Saisonverlauf seiner Mannschaft.
Wer Nemeth mit dem Ball beobachtet, dem dürfte umgehend die Abgeklärtheit auffallen, über die Spieler seines Alters nur selten bereits verfügen. Die Passquote von 88 Prozent spricht Bände, der Mann dahinter spricht Hianzisch, wie der Dialekt aus dem Burgenland, aus dem Nemeth stammt, genannt wird.
„Meine Trainer haben stets viel Wert daraufgelegt, dass ich besonnen am Ball agiere. Ich versuche auch immer, mit Ruhe ins Spiel zu gehen, auch um meinen Mitspielern zu zeigen, dass sie sich nicht stressen lassen müssen“, sagt der beidfüßige Kiezkicker.
David Nemeth – ein rabiater Zweikämpfer
Wer hingegen mit Ball ins Duell mit Nemeth einsteigt, dürfte einen Stresshormonüberschuss besitzen. Im Zweikampf agiert der Defensivakteur äußerst rabiat – und mit viel Ruhe. Bei einer starken Zweikampfquote von 62 Prozent und einer herausragenden von 76 Prozent in Kopfballduellen kommt der 1,91-Meter-Mann mit durchschnittlich nur einem Foul pro Spiel aus.
Dass sich die Verteidigungsleistung St. Paulis als Team bald der individuellen von Nemeth angleicht, davon ist er überzeugt: „Wir wollen sehr hoch anpressen. Zu Saisonbeginn hat die Abstimmung mitunter nicht gestimmt. Unsere Stürmer machen das aber richtig gut. Kaum eine Mannschaft hat so viele Ballgewinne im vorderen Drittel wie wir.“
Das wirklich Erstaunliche an seinen Auftritten ist aber, dass Nemeth nahezu keine Aufwärmphase benötigte, um sich neben Jakov Medic zum Abwehrchef der Braun-Weißen aufzuschwingen. Von Rostspuren nach einer Saison, in der er für den 1. FSV Mainz 05 nur zu sechs Bundesligaeinsätzen gekommen ist, nichts zu sehen. Von Nachwirkungen seines in der Vorbereitung erlittenen Muskelfaserrisses im linken Oberschenkel, wegen dem er die ersten drei Saisonbegegnungen verpasst, ebenso wenig.
Allenfalls das Training darf der gebürtige Eisenstädter zur Belastungssteuerung hin und wieder eher beenden. „Im Gegensatz zur Vorsaison spiele ich ein bisschen mehr. Daran ist mein Körper noch nicht so gewohnt. Früher konnte ich gefühlt jeden Tag spielen, jetzt braucht es wegen der Umstellung noch einige Zeit, aber ich bin auf einem guten Weg“, sagt Nemeth.
Warum Nemeth bei Mainz scheiterte
Die Eingewöhnung in der Großstadt Hamburg fiel ihm als Burgenländer, der eine halbe Stunde von Wien entfernt aufgewachsen ist, ohnehin nicht schwer. Im Team hat Nemeth mit Carlo Boukhalfa, Luca Zander und vor allem Franz Roggow gute Freunde gefunden. Das Spielsystem von Trainer Timo Schultz kommt ihm entgegen. „Ich musste nicht viel an meiner Spielweise ändern, da ich jemand bin, der gern viel den Ball hat und von hinten herausspielt. In Mainz haben wir einen schnelleren Aufbau präferiert mit mehr tiefen Bällen. Bei St. Pauli wird mehr Fußball gespielt, und das finde ich richtig geil.“
Richtig geil, das war Nemeths Laufbahn bislang nicht immer. Als er bei seinem Stammverein SV Mattersburg in der ersten österreichischen Liga den Durchbruch geschafft hatte, stellte der Club den Spielbetrieb ein. In Mainz wurde er in Jahr eins zu Sturm Graz verliehen – mit Erfolg. In Jahr zwei in der Bundesliga ausgetestet – ohne Erfolg.
Die Gründe für sein Scheitern dort seien vielseitig, so Nemeth, der sich der Ursachen allerdings bewusst sei und auch schnell damit abgeschlossen habe. Sein Status als Österreicher mache es ihm in Deutschland jedenfalls nicht einfacher: „Dadurch, dass ich in der Jugend nicht in Deutschland gespielt habe, muss ich mich hier umso mehr durchsetzen. In Mainz hat es nicht geklappt, umso mehr will ich das nun bei St. Pauli schaffen.“
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St. Paulis Nemeth träumt von der Premier League
Obwohl im Sommer auch andere Optionen auf dem Tisch im Hause Nemeth, dem der fußballbegeisterte Vater Erwin und ballverliebte Bruder Lukas angehören, lagen, fiel die Entscheidung zu Gunsten der Hamburger schnell. „Mit St. Pauli konnte ich mich super identifizieren. Wie der Verein aufgebaut ist und wofür er steht, finde ich total cool. Ich kann mittlerweile auch gut verstehen, weswegen die Leute selbst in Österreich mit einem Totenkopfpullover herumlaufen. So einen Verein gibt es in Deutschland nicht noch mal. Und was mir der Trainer gesagt hat, hat mir auch sehr gut gefallen“, so der mit rund 1,3 Millionen Euro zweitteuerste Transfer der Vereinshistorie.
Seine kurzfristigen Ziele – „erstmal wieder regelmäßig Fußball zu spielen“ – hat Nemeth bei St. Pauli bereits erreicht. Die mittelfristigen, nämlich eine erfolgreiche Saison zu spielen, gilt es von diesem Sonnabend an in Braunschweig abzuarbeiten. Einen langfristigen Karriereplan verfolgt er nicht.
Doch selbst ein Ruhepol darf ja mal wild träumen: „Wenn du mich nach einem Wunschtraum fragst, dann wäre es neben einer Nominierung für die Nationalmannschaft die Premier League.“ Sportlich machbar. Kulinarisch dürfte das mit den schmackhaften Spätzle in England allerdings etwas kompliziert werden.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
- FC St. Pauli: Vasilj – Saliakas, Nemeth, Medic, Paqarada – Smith, Aremu – Daschner, Hartel – Amenyido, Matanovic.
- Eintracht Braunschweig: Fejzic – de Medina, Behrendt, Benkovic – Marx, Krauße, Nikolaou, Donkor – Pherai – Ujah, Lauberbach.