Hamburg. Elard Ostermann nimmt mit St. Paulis U 23 das Training auf – und hat eine beeindruckende Wandlung durchgemacht.
Wer den Wikipedia-Eintrag von Elard Ostermann studiert, stößt auf Erheiterndes. Das Hamburger Abendblatt beschrieb den früheren Bundesligaprofi 1998, damals in der zweiten Mannschaft des HSV, als Spieler, „der mit flotten Sprüchen so manchen Trainer zur Verzweiflung getrieben“ habe. Ein Jahr später wurde Ostermann, ebenfalls im Abendblatt, als „Genie mit Ecken und Kanten“ sowie „Hitzkopf“ bezeichnet. Ihm wurden „überdurchschnittliche fußballerische Fähigkeiten“, aber auch fehlender Fleiß und Verbissenheit zugeschrieben.
Um einen flotten Spruch ist der mittlerweile 53-Jährige nach wie vor nicht verlegen, doch Faulheit und mangelnder Biss kann dem neuen Trainer der U 23 des FC St. Pauli, die am Montag ins Training startete, niemand mehr vorwerfen.
Die Wandlung des Elard Ostermann
Im Gegenteil: Nicht nur der Weg, den der gebürtige Hamburger in seiner Trainerkarriere über den hochklassigen Amateurfußball bis zum Nachwuchsleistungszentrum von Holstein Kiel eingeschlagen hat, ist keiner für Faulenzer. Vor allem sein Ansatz im Training lässt gar keinen anderen Schluss zu. „Ich möchte die Jungs nicht nur technisch und taktisch besser machen, sondern auch im mentalen Bereich. Ich habe festgestellt, dass dort viel Potenzial ruht. Bei aller individuellen Qualität kann Fußball nur als Mannschaftssport funktionieren. Ich kommuniziere immer offen und angemessen ehrlich, aber motiviere sie auch zum nächsten Schritt“, sagt Ostermann.
Von der „Lust am Verteidigen“, die seine Spieler entwickeln sollen, spricht er, von „Sackgassen“ und „Hürden“ beim Reifeprozess, die durch die richtige Einstellung überwunden werden können. Kurzum: Es geht um Fleiß und Verbissenheit.
Diese Erkenntnis reifte in Ostermann während seiner drei Jahre in Kiel heran. Nach seiner Entlassung beim Oberligisten TuS Dassendorf im Februar 2019 wollte er, damals schon „nicht mehr der Allerjüngste“, seinen Coachinghorizont erweitern, verstehen, wie der Nachwuchs tickt. Eine prägende Zeit für den erfahrenen Norddeutschen, die Sinnhaftigkeit von Nachwuchsleistungszentren sei ihm bewusst geworden. „Bei jungen Männern kann ein Jahr schon einen großen Unterschied im Reifeprozess machen. Die Spieler sind wissbegierig, brauchen aber hin und wieder eine Begleitung, um die richtige Ausfahrt im Kreisverkehr ihrer Karriere zu finden.“
Ostermann lässt ähnlich spielen wie Schultz
Die Ausfahrt im Regionalligateam des FC St. Pauli lautet: Zweite Liga. Da passt es, dass Ostermann eine ähnliche Philosophie verfolgt wie die Profis. "Sein großes Plus ist, dass er in vielen unterschiedlichen Altersklassen gearbeitet hat und immer erfolgreich Teams entwickelt hat, unter anderem bei Kiel einige Juniorennationalspieler. Dazu hat er die gleiche Spielidee wie wir als Club, weswegen es ihm absolut zuzutrauen ist, dass er Spieler für den Lizenzkader entwickelt“, sagt Carsten Rothenbach, Sportlicher Leiter der U 23, über ihn. „Ich setze auf aktiven Fußball mit und gegen den Ball. Früh in Ballbesitz kommen, zügig umschalten", so Ostermann selbst. Und dann wieder: die Mentalität. "Das ist nur möglich, wenn die Spieler leistungsbereit sind. Ich möchte herauskitzeln, dass sich niemand mit dem Status quo zufriedengibt.“
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Einer, der das nicht macht, und für den sich die Drehtür in Richtung Profiteam öffnet, ist Serhat Imsak. Seit Trainingsbeginn nimmt der Mittelstürmer, im Winter vom bayrischen Regionalligisten FC Pipinsried gekommen, konstant an allen Einheiten teil, bekommt wie selbstverständlich reichlich Spielzeit in den beiden Testbegegnungen. „Wir haben uns kurzfristig dazu entschlossen, dass er die Vorbereitung bei der Lizenzspielermannschaft absolvieren soll. Er hat es sich durch gute Leistungen verdient. Das ist auch der Zweck der U 23, dass junge Spieler an den Profibereich herangeführt werden sollen", sagt Rothenbach.
Der 22 Jahre alte Deutsch-Türke habe seine "Kernkompetenzen", so der Sportliche Leiter, als "klassischer Boxspieler mit gutem Abschluss und Kopfballstärke". Gut möglich, dass Imsak kommende Woche wegen der Stürmerdürre im Kader auch mit ins Trainingslager nach St. Leonhard in Südtirol fährt.
Einen flotten Spruch darf er nach seiner Rückkehr ins Regionalligatraining vielleicht erwarten, eine Regenerationspause wohl kaum. Faulheit und fehlenden Biss lässt Ostermann inzwischen nicht mehr durchgehen. Imsaks Wikipedia-Eintrag wird es ihm danken.