Hamburg. Ausgerechnet der einst bei St. Pauli selten überzeugende Verhoek könnte jetzt mit Hansa Rostock seinem Ex-Club entscheidend wehtun.

St. Paulis Sportchef frohlockte: „Wir haben einen Stürmer gefunden, der Tore schießt!“ Nein, dieser Sportchef war nicht Andreas Bornemann, und der gemeinte Stürmer war auch nicht Guido Burgstaller, wie man natürlich vermuten könnte. Das genannte Zitat ist mittlerweile achteinhalb Jahre alt. Der sich verbal selbst anerkennend auf die Schulter klopfende Manager war Rachid Azzouzi, und er sprach über seinen vermeintlichen Transfercoup John Verhoek, den er vom damaligen Ligakonkurrenten FSV Frankfurt ans Millerntor gelotst hatte.

Azzouzis Satz hatte einen triftigen Grund. In seinem vierten Ligaspiel für St. Pauli hatte der damals 24 Jahre alte Niederländer bei St. Paulis 2:2 beim VfL Bochum beide Treffer erzielt. Es war tatsächlich ein vielversprechender Start für den typischen Mittelstürmer, der kurz danach noch in den Spielen bei Union Berlin und gegen den FSV Frankfurt traf.

Verhoek erarbeitete sich den zweifelhaften Ruf als „Chancentod“

Das war es dann aber auch schon fast gewesen mit der Stürmer-Herrlichkeit von John Verhoek beim FC St. Pauli. In seiner ersten Saison bei den Braun-Weißen kam spät in der Rückrunde genau ein Treffer von ihm dazu. Dennoch war es noch seine, an der Torausbeute gemessen, erfolgreichste Saison am Millerntor. Es folgten in den beiden Spielzeiten danach vier und sogar nur noch zwei Tore. Mithin erarbeitete sich Verhoek den zweifelhaften Ruf als „Chancentod“, wobei seine teaminternen Stürmer-Konkurrenten in den drei Jahren kaum besser waren. Insbesondere Lennart Thy, Christopher Nöthe und nicht zuletzt der komplett torlose Ante Budimir seien hier beispielhaft genannt.

In Verhoeks ersten eineinhalb Jahren hatte St. Paulis aktueller Cheftrainer Timo Schultz praktisch täglich Kontakt zum Niederländer aus Leidschendam in der Nähe von Den Haag. Schultz war zu der Zeit Co-Trainer des Zweitligateams. „John hat damals bei uns sehr schnell Fuß gefasst in der Gruppe und hat sich immer reingehauen. Er hatte insgesamt eine gute Zeit, auch wenn es von der Torquote nicht so aussieht. Auf jeden Fall hatte er einen Wert für die Mannschaft“, sagte St. Paulis Trainer jetzt über Ver­hoeks Zeit am Millerntor.

Verhoek befindet sich gerade in der Form seines Lebens

Es ehrt Schultz, dass er über den in seiner St.-Pauli-Zeit weitgehend enttäuschenden Stürmer kein negatives Wort verliert. Jeder kritische Satz über ihn aus dem Munde eines aktuellen St.-Paulianers wäre gerade jetzt ohnehin nur eine zusätzliche Motivation für Verhoek. An diesem Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1, Liveticker auf abendblatt.de) trifft er im Dress von Hansa Rostock im Ostseestadion auf St. Pauli. Dabei befindet sich der inzwischen 33 Jahre alte Verhoek gerade in der Form seines Lebens, hat in dieser Saison schon 15 Treffer in der Liga erzielt und damit vier mehr als in seinen gesamten 70 Ligaspielen für St. Pauli. Auch sein Team befindet sich gerade auf einem Höhenflug, wie die jüngsten drei Siege in Folge, darunter das 4:3 beim FC Schalke 04, belegen. Dabei traf Verhoek sowohl auf Schalke als auch gegen Kiel (3:2) und in Sandhausen (1:0) jeweils ins gegnerische Tor.

„Er ist ein wuchtiger Stürmer, der gern mit einem Kontakt abschließt und durch Anlaufen den Gegner stresst“, sagt Timo Schultz über den 1,88 Meter großen Angreifer, der für den Aufsteiger zum Garant für den Klassenverbleib werden dürfte. Mit 34 Punkten ist dieses Ziel nah.

Verhoek spricht von einer „großen Rechnung“, die noch offen sei

Andererseits ist Rostocks sportliche Abhängigkeit von Verhoek, der 42,9 Prozent der 35 Hansa-Treffer erzielt hat, noch ein Stück größer als die des FC St. Pauli von seinem Torjäger Guido Burgstaller, der bisher 17 Saisontore in der Liga erzielt hat, was 32,1 Prozent der 53 Treffer seines Teams entspricht. Zudem konnte Rostock bisher kein einziges Spiel gewinnen, in dem Ver­hoek ohne Torerfolg geblieben ist.

So war es auch im Hinspiel am Millerntor, als es sowohl für sein Team als auch für ihn persönlich richtig schlecht lief. 4:0 siegte im Oktober der überlegene FC St. Pauli, Verhoek wurde nach einer Stunde ausgewechselt und hatte zuvor Glück, dass sein Check gegen den Kiefer von St.-Paulis Verteidiger Jakov Medic nur mit Gelb bedacht worden war. Umso mehr hat er sich jetzt vorgenommen, gegen seinen Ex-Club seinen Lauf fortzusetzen und ihm im Aufstiegsrennen einen Rückschlag zuzufügen. Von einer „großen Rechnung“, die noch offen sei, sprach er jetzt. Wird er also jetzt zu St. Paulis Aufstiegsverderber?

Rückschlag für St. Pauli: Leistungsträger droht Saison-Aus!

Krawalle? Rostocks Polizei auf St.-Pauli-Spiel vorbereitet

Der Kiezclub bangt um die linke Wade von Eric Smith

Warum John Verhoek mit 33 Jahren seine erfolgreichste Saison spielt

Warum aber John Verhoek, dessen Weg ihn nach seinem Abschied von St. Pauli im Sommer 2016 über Heidenheim und Duisburg 2020 zum damaligen Drittligisten Rostock führte, ausgerechnet im fortgeschrittenen Alter von 33 Jahren seine mit Abstand erfolgreichste Saison spielt, gehört zu den Kuriositäten des Fußballs. „Gerade bei Stürmern ist es ja häufiger so, dass sie gewisse Ups und Downs haben. Ich denke, dass John mit der Zeit gereift ist. Auch in Rostock war sein Start ja nicht optimal, aber mittlerweile hat er sich den Respekt erarbeitet“, sagt Timo Schultz über ihn.

Verhoek selbst hat gleich zwei Erklärungen, warum er fast 14 Jahre nach seinem Profidebüt so gut wie nie zuvor ist. Die einfache lautet: „Ich bin fit und habe das nötige Vertrauen.“ Die emotionalere hängt mit seinen beiden älteren Söhnen Jezz (9) und Josh (5) zusammen. „Sie sagen mir immer vor einem Spiel, wie ich meinen Torjubel machen soll. Vielleicht gibt mir das diese Extra-Motivation“, erzählt er. Angefangen habe alles, als er bei einem Spiel in Magdeburg imitierte, wie er auf einem Motorroller sitzt. „Sie geben mir immer drei, vier Vorschläge und lachen dann, wenn ich es mache.“ Das erklärt dann auch, warum es damals bei St. Pauli weniger gut lief. Jezz war erst drei Jahre alt, als Verhoek den Club verließ.