Hamburg. St. Paulis Präsident über Transfers, einen Trainerwechsel, die Entfremdung und mögliche Rückkehr der Fans sowie seine eigene Zukunft.
„Die Situation ist emotional, wirtschaftlich und sportlich schwierig“ – so fasst Oke Göttlich prägnant zusammen, wie es um den FC St. Pauli bestellt ist. Mitten in der Pandemie und den damit verbundenen finanziellen Einbußen droht seinem Club auch noch der Abstieg in die Dritte Liga. Schon auf der virtuellen Mitgliederversammlung hatte er dieses Szenario als „Katastrophe“ bezeichnet.
Das ist keineswegs übertrieben, würden doch in der Dritten Liga rund 90 Prozent der Einnahmen durch die TV-Rechte wegfallen, also mehr als zehn Millionen Euro. Hinzu kommt, dass überhaupt nicht absehbar ist, wann wieder Zuschauer in nennenswerter Zahl ins Stadion kommen dürfen.
FCSP: Wegfall von zwei Einnahmequellen droht
Es droht also der Wegfall von gleich zwei Einnahmequellen in zweistelliger Millionenhöhe. „Der Zeitpunkt, dass es wehtut, ist schon längst gekommen“, sagte Göttlich jetzt im Jahresabschlussgespräch mit Medienvertretern in Bezug auf die wirtschaftlichen Einbußen durch die zehn Heimspiele mit entweder gar keinen (acht) oder extrem wenigen Zuschauern. „Wir müssen gucken, wie wir mit der Situation umgehen, wenn sie noch sechs oder zwölf Monate weitergeht. Dann muss in allen Bereichen über Anpassungen nachgedacht werden. Und nichts wäre in dieser Zeit schlimmer als ein Abstieg obendrauf“, sagte Göttlich.
Bisher hat es der Millerntor-Club, der in den verschiedenen Bereichen rund 600 Personen beschäftigt, geschafft, ohne betriebsbedingte Kündigungen für seine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter auszukommen. Bei einem Abstieg wäre dies nicht mehr durchzuhalten, zumal auch Sponsorenverträge in der Dritten Liga erheblich niedriger dotiert sind.
St. Pauli: Schultz zu Veränderungen angehalten
Längst hat es nach der jüngsten 0:3-Heimniederlage gegen Düsseldorf und dem Verharren auf einem direkten Abstiegsplatz Krisensitzungen gegeben. „Wenn man nach 13 Spieltagen auf Tabellenplatz 17 steht, dann ist alle Alarmbereitschaft da, dass Dinge hier verändert werden sollen. Diese Veränderungen werden unter den sportlich handelnden Timo Schultz und Andreas Bornemann besprochen. Die beiden entscheiden, ihre Empfehlungen gehen an uns, und wir schauen, ob es unter allen Rahmenbedingungen möglich ist“, beschreibt Göttlich das Vorgehen zwischen dem hauptamtlichen Cheftrainer und Sportchef auf der einen und dem ehrenamtlichen Präsidium auf der anderen Seite. „Wir werden uns nicht überschlagen in hysterischen oder von außen an uns herangetragenen Systemdestabilatoren“, sagt Göttlich in seinem ureigenen Vokabular.
St. Pauli hat noch Geld für Transfers
Anders ausgedrückt: Es wird jetzt weder eine Ablösung des Trainers noch des Sportchefs geben. „Ich bin auch sehr selbstkritisch der Überzeugung, dass Diskontinuität für einen Fußballverein eines der größten Gifte ist“, sagt St. Paulis Präsident. Die Selbstkritik ist dabei darauf gemünzt, dass es unter seiner nunmehr sechsjährigen Führung bereits fünf Trainerwechsel gab. Dazu mussten drei Sportchefs gehen. Der letzte davon, namentlich Uwe Stöver, grüßt übrigens mit Holstein Kiel als Weihnachtsmeister der Zweiten Liga.
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In der bedrohlichen Situation helfen sollen jetzt aber neue Spieler. Dies wird trotz der angespannten Corona-Lage nicht am fehlenden Geld scheitern, wie Göttlich versichert. „Es gibt ein Budget für neue Spieler, die uns sofort helfen könnten“, sagte er am Dienstag. Bedarf ist vor allem für die Position des „Sechsers“ gegeben. Hier fehlt es im Kader an einem physisch starken Akteur. „Es muss dafür auch kein Budget erhöht werden. Gerade vor dem Hintergrund von Corona gibt es alle zwei Wochen neue Anpassungen“, erläutert Göttlich.
Trikot: Göttlich rechtfertigt Eigenproduktion
Gleichzeitig verteidigte er, dass die Vereinsführung neben dem Sport diverse weitere Projekte vorantreibt, zuletzt die Herstellung der Trikots in Eigenregie. Dies hatte unter Mitgliedern und Fans angesichts der sportlichen Talfahrt zu erheblicher Kritik geführt. „Wir hätten kein Tor mehr geschossen, wenn wir unser politisches Engagement und die verschiedenen anderen Initiativen sein gelassen hätten. Es ist aus unternehmerischer Sicht außerordentlich sinnvoll, in wirtschaftlich schweren Zeiten wertvolle Rechte wie die Vermarktung und das Merchandising in der eigenen Hand zu haben. Sie können im Notfall auch als Sicherheit dienen“, sagte er.
Gelassen geht Göttlich auch damit um, dass bei der Mitgliederversammlung vor knapp einer Woche ein Dringlichkeitsantrag auf Ablösung des Präsidenten eingebracht wurde. „Wenn die Gremien oder die Mitglieder mehrheitlich das Gefühl haben, dass wir nur einen Punkt mehr holen, weil ich zurücktrete, dann mache ich das sofort. Dafür liebe ich den Verein zu sehr“, sagte er süffisant. Es war übrigens nicht einmal zur Abstimmung gekommen, weil die überwiegende Mehrheit der Mitglieder schon die Dringlichkeit des Antrags ablehnte.
FC St. Pauli arbeitet an Zuschauerrückkehr
Ebenso spekulativ ist unterdessen eine Einschätzung von Göttlich selbst. „Ich behaupte: Wir hätten mindestens fünf, sechs Punkte mehr, wenn wir Fans im Stadion gehabt hätten“, sagte er, sah aber auch ein: „Das ist eine vom Wesentlichen ablenkende Hypothese.“ Handfest ist hingegen, dass sich die Vereinsführung mit allen Möglichkeiten befasst, um wieder Zuschauer ins Stadion lassen zu können.
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„Der FC St. Pauli beschäftigt sich mit allen Verfahren, die derzeit auf dem Markt sind, um das wieder möglich zu machen“, sagt Göttlich. Gemeint sind damit offenbar vor allem Schnelltests, die nahezu sicherstellen können, dass für den Zeitraum eines Spiels alle Zuschauer nicht infiziert sind.
St. Pauli sucht Fläche für Nachwuchszentrum
Neben der aktuellen sportlichen Krise und den wirtschaftlichen Problemen durch die Pandemie beschäftigt St. Paulis Präsidenten seit längerer Zeit der Plan, das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) an einem Standort zu vereinen. Bisher sind einige Mannschaften an der Kollaustraße in Niendorf, wo auch die Profis trainieren, beheimatet, andere aber am Brummerskamp in Schnelsen. Hier ist die Hilfe der Stadt nötig. „Das haben wir schon vor sechs Jahren das erste Mal angesprochen“, sagt Göttlich. „Wir brauchen Grünflächen innerhalb Hamburgs für ein Nachwuchsleistungszentrum. Dafür brauchen wir eine Willenserklärung der Stadt“, sagt Göttlich.
Ursprüngliche Planungen, eine Freifläche auf der anderen Seite der kleinen Straße Langenhorst dafür zu nutzen, wurden bisher abgelehnt, weil es sich hier um ein potenzielles Überschwemmungsgebiet der Kollau handelt und es daher nicht mit den notwenigen Funktionsgebäuden bebaut werden darf. In Betracht kommt hingegen die neben dem Trainingszentrum liegende Baseball-Anlage, die dann aber an einen anderen Standort verlegt werden müsste. Dieser ist aber offenbar auch noch nicht gefunden worden.
Göttlich: Fan-Desinteresse wird totgeschwiegen
Grundsätzlich macht sich Oke Göttlich angesichts der Tatsache, dass es seit mehr als neun Monaten keine Fußballspiele mehr in vollen Stadien, Sorgen vor einer Entfremdung der Fans vom Fußball. „Das ist ein totgeschwiegenes Thema und wird auf Zahlen-, Daten- und Faktenbasis kleingeredet, weil die Einschaltquoten im Fernsehen natürlich derzeit nicht rückläufig sind. Dass aber das emotionale Verhältnis zum Fußball derzeit maximalen Schaden nimmt, ist offensichtlich und könnte für die Clubs zu einem Problem werden“, sagt Göttlich, der auch Mitglied im Präsidium der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist.