Hamburg. Der FC St. Pauli braucht wieder einmal einen neuen Trainer. Kandidaten für den Posten sind Köllner und Schultz.
In den letzten Stunden seiner Amtszeit hatte Jos Luhukay noch einmal die richtige Vorahnung. „Wenn man jetzt mit den Verantwortlichen spricht, wird man zu einer Erkenntnis und einer Entscheidung kommen. Das wird nicht lange dauern. Es kann jetzt schnell gehen“, hatte der 57 Jahre alte Trainer des FC St. Pauli am späten Sonntagnachmittag nach der 3:5-Niederlage seiner Mannschaft beim Zweitliga-Absteiger SV Wehen Wiesbaden gesagt.
Nur gut einen halben Tag später war es so weit. Am Montagmorgen vollzog die Führung des FC St. Pauli die Trennung vom Niederländer, der am 10. April 2019 das Team als Tabellensechster mit der Devise übernommen hatte, den Aufstieg in die Bundesliga anzupeilen. Das Ergebnis ist bekannt. An den letzten Spieltagen der Vorsaison stürzte die Mannschaft unter Luhukay noch auf Rang neun ab. Jetzt stand am Ende Platz 14 zu Buche mit gerade einmal 39 Punkten, die vor zwei Jahren sogar den direkten Abstieg in Liga drei bedeutet hätten.
Luhukay ist an seiner Art gescheitert
Gescheitert ist Luhukay aber längst nicht nur an einer insgesamt miserablen sportlichen Bilanz, die keinen einzigen Sieg außerhalb Hamburgs aufweist. Noch schwerer wogen seine höchst umstrittenen öffentlichen Äußerungen und Verhaltensweisen vor allem gegenüber seinen Spielern. Dazu zeigte er sich wenig lernfähig. „Ich bin, wie ich bin“, sagte er.
Erst zuletzt, als es aber de facto schon zu spät war, gab er sich verbal milder. „Ich habe auch Fehler gemacht“, räumte er kürzlich ein, ohne allerdings diese konkret zu benennen. In seinem letzten offiziellen Statement zur Trennung ließ er sich am Montag mit dem Satz zitieren: „Bei der öffentlichen Darstellung der intern gewünschten und notwendigen Kritik würde ich heute sicher einiges anders umsetzen. Trotzdem ging es mir immer um die Sache und nur um den Erfolg des Vereins.“
Luhukay wählte das falsche Timing für Kritik
Tatsächlich war Luhukay im April vergangenen Jahres ganz bewusst als Gegenentwurf zum eher gemächlich und gemütlich wirkenden Markus Kauczinski verpflichtet worden, um die mannschafts- und vereinsinternen Problemfelder offen anzusprechen. Das tat er dann auch, allerdings zu höchst fragwürdigen Zeitpunkten, wie etwa einen Tag vor dem ersten Punktspiel der gerade abgelaufenen Saison, als er eine zu große Bequemlichkeit und Freundschaft unter den Spielern anprangerte.
„Jos hat zu Recht darauf hingewiesen, dass er damals geholt wurde, um ,den Finger in die Wunden‘ zu legen. Darauf haben wir uns bei meiner Ankunft auch gemeinsam verständigt. Das hat er getan, vielleicht für unseren Verein manchmal etwas zu tief. Trotzdem hat er mit seiner unumstrittenen Fachkompetenz und seinem Willen, den Erfolg herbeizuführen, Defizite aufgezeigt, junge Spieler an die erste Mannschaft herangeführt und notwendige Richtungswechsel eingeleitet. Hiervon werden wir auch in Zukunft profitieren“, sagte am Montag St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann, der am Mittwoch seit genau einem Jahr im Amt ist
Offenbar hatte aber auch Bornemann, der bei den Spielen vor der Corona-Pandemie stets mit auf der Trainerbank saß und somit Nähe dokumentierte, zu wenig Einfluss auf den eigenwilligen, sturen und in seinen Statements oft unberechenbaren Trainer. Nach Informationen des Abendblatts beschränkte sich in den vergangenen Wochen der verbale Austausch zwischen Luhukay und Bornemann auf ein Minimum.
Zwei Derbysiege bleiben für Luhukay
Es gehört zu den Kuriositäten des Fußballs, dass der sportlich insgesamt weit unter den Erwartungen gebliebene Luhukay (nur 1,12 Punkte pro Spiel) mit den beiden 2:0-Siegen in den Stadtderbys gegen den HSV in der gerade abgelaufenen Saison einen historischen Erfolg landete. „Jos hat sich damit einen festen Platz in der Vereinshistorie gesichert“, stellte Bornemann treffend fest.
Und Präsident Oke Göttlich, der sich auf dringende Empfehlung des früheren Geschäftsführers und Interims-Sportchefs Andreas Rettig für Luhukay entschieden und diesen lange und vehement gegen aufkommende Kritik verteidigt hatte, sagte in seinem betont kurzen Statement: „Das Präsidium möchte sich bei Jos Luhukay für unvergessliche Momente in dieser Saison bedanken.“
Eine sehr geschickte Formulierung, denn nicht nur die Derbysiege und das 3:0 gegen das jetzt als Meister und Aufsteiger erfolgreiche Team von Arminia Bielefeld, sondern auch Luhukays öffentliche Schimpftirade gegen Stürmer Henk Veerman auf dem Rasen in der Halbzeitpause des Heimspiels gegen Erzgebirge Aue (2:1) haben das Prädikat „unvergessliche Momente“ verdient.
Freundliche Sätze für Luhukay gab es auch von einem der vielen Talente, die der Trainer gefördert hatte. „Vielen Dank für alles, Trainer! Vielen Dank, dass Sie an mich geglaubt haben und dass Sie mir die Chance zu meinem Profidebüt gegeben haben. Sie werden für mich immer ein wichtiger Teil meiner Profikarriere sein. Ich wünsche Ihnen auf Ihrem weiteren Weg alles Gute!“, schrieb Außenstürmer Christian Conteh.
Der 20-Jährige hatte in der ersten Saisonphase mit seinem Tempo, Spielwitz und den Treffern in Bielefeld und gegen Kiel begeistert, nachdem er zuvor nur in der U-23-Mannschaft gespielt hatte. Mehrere Muskelverletzungen verhinderten bis heute regelmäßige Einsätze des Talents. Jetzt will Feyenoord Rotterdam Conteh verpflichten, wie „Voetbal international“ am Montag berichtete.
Wer beerbt Luhukay bei St. Pauli?
Im Gegensatz zu Kauczinskis Ablösung vor knapp 15 Monaten präsentierte St. Paulis Führung jetzt nicht sofort einen Nachfolger. Sportchef Bornemann soll als hauptberuflich wichtigster Verantwortlicher mit mehreren Kandidaten Gespräche führen und dann seinen Vorschlag dem Präsidium unterbreiten. Weiterhin möglich ist die interne Lösung, den bisherigen U-19-Trainer und Ex-Profi Timo Schultz (42) zum Chefcoach der Profis zu befördern. Der Club würde damit seinen Plan, nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Trainern eigene Talente in den Profibereich zu führen, in die Tat umsetzen.
Es gibt gegen diese Lösung innerhalb der Vereinsführung allerdings auch den Vorbehalt, dass der oft als positiv bewertete „Stallgeruch“ gar nicht so förderlich und ein von außen verpflichteter Trainer eher in der Lage sei, unabhängig von gewachsenen Freundschaften oder Animositäten Entscheidungen zu treffen. Wie das Abendblatt erfuhr, besteht der engere Kandidatenkreis durchweg aus Trainern, die sich in einem Vertragsverhältnis befinden.
Das gilt auch für Michael Köllner. Den 50-Jährigen kennt Sportchef Bornemann aus gemeinsamer Zeit beim 1. FC Nürnberg. Zusammen feierten sie vor zwei Jahren die Rückkehr in die Bundesliga. Im Februar 2019 hatte sich Bornemann dann als Sportvorstand des FCN trotz sportlicher Durststrecke für den Verbleib Köllners ausgesprochen, woraufhin ihn der Aufsichtsrat beurlaubte. Derzeit ist Köllner beim Drittligisten 1860 München tätig. Als Tabellensiebter haben die „Löwen“ aber nur noch theoretische Chancen auf den Aufstieg.
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Unterdessen hat St. Pauli am Montag offiziell Dimitrios Diamantakos (Hajduk Split), Marc Hornschuh, Jan-Philipp Kalla und Leihgabe Matt Penney verabschiedet. Kalla wird bekanntlich eine andere Aufgabe beim Millerntor-Club übernehmen. Die sportliche Zukunft von Defensivspieler Hornschuh (29), der fünf Jahre bei St. Pauli war, ist ungewiss. Zuletzt war er aus dem aktiven Profikader aussortiert worden und konnte aufgrund des Ligaabbruchs in der Regionalliga Nord auch nicht mehr im U-23-Team trainieren.
Ein bitteres Ende für einen vorbildlichen Spieler, der sich von einem Bandscheibenvorfall im September 2017 und dessen Folgen nicht mehr vollständig erholte, auch wenn er zu Beginn der gerade abgelaufenen Saison noch zu zwei Einsätzen kam. Der aus Dortmund stammende Hornschuh hatte sich auch immer wieder bei den sozialen Projekten des Vereins aktiv engagiert.
Die Trikots für die kommende Saison, letztmals von Ausrüster Under Armour, sind bereits jetzt erhältlich. Das Auswärtstrikot ist nicht mehr weiß, sondern cremefarben.