Hamburg. Vereinsführung sucht Gespräch mit zerstrittenen Trainer und Stürmer. Luhukays Tirade gegen Veerman ruft massive Kritik der Fans hervor.
Es gab Redebedarf nach dem 2:1-Sieg des FC St. Pauli gegen Erzgebirge Aue. Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann nutzten die Chance, um auf dem Stadionvorplatz das Gespräch mit Stürmer Henk Veerman zu suchen. Der 2,01-Meter-Hüne hatte weniger wegen seines am Ende immens wichtigen Treffers im Blickpunkt gestanden, sondern deutlich mehr wegen seines zornigen Blicks zur Trainerbank anstelle des sonst üblichen Torjubels und wegen der lautstarken Vorwürfe, die Trainer Jos Luhukay in der Halbzeitpause beim Weg in die Kabine gegen ihn gerichtet hatte.
„Wir haben darüber mit dem Trainer und dem Spieler gesprochen“, bestätigte St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann am Montag auf Nachfrage dem Abendblatt. Der Vorgang war also, wenig überraschend, auch auf höchster Vereinsebene ein Thema. „Es ist aber grundsätzlich eine Angelegenheit, die Trainer und Spieler zu klären haben“, sagte Bornemann weiter.
Veerman bekommt Strafstoß-Ärger ab
Luhukays Ärger hatte sich darauf bezogen, dass Veerman beim Strafstoß kurz vor dem Halbzeitpfiff nicht massiv genug seinen Anspruch geltend gemacht hatte, den Elfmeter selbst zu schießen. Stattdessen hatte sich Dimitrios Diamantakos den Ball geschnappt und war an Aues Torwart Martin Männel recht kläglich gescheitert. "Ich mache Dimi keine Vorwürfe", sagte Luhukay später trotz der Tatsache, dass der Grieche jüngst schon beim 0:4 in Darmstadt einen Elfmeter vergeben hatte.
Stattdessen also bekam Veerman den Ärger des Trainers ab. Obwohl beide Niederländer sind, brüllte Luhukay auf Deutsch und gestikulierte dabei wild. "Wenn ein Mitspieler den letzten Elfmeter verschossen hat, muss man als Stürmer die Verantwortung übernehmen. Deshalb war ich böse“, erläuterte Luhukay auf Nachfrage später.
Fans und Clubchefs nicht begeistert wegen Luhukay
Am Tag danach war diese höchst ungewöhnliche und eigenwillige Aktion des Trainers auch bei den Fans in den sozialen Medien und in den Foren ein großes Thema. "Die Pädagogik eines Jos Luhukay hat fertig", hieß es etwa im Twitter-Kanal des Podcasts "St. Pauli Pop". Und weiter: "Alles, was St. Pauli ausmacht, wird von ihm negiert. Wollen wir uns wirklich aufmachen, der andere Verein zu sein, in dem Solidarität, Teamgeist und Empowerment an erster Stelle stehen, muss die Profiabteilung damit anfangen.“
Sonderlich begeistert waren auch die Vertreter der Vereinsführung, die auf der Tribüne im ansonsten nahezu verwaisten Stadion saßen, von Luhukays quasi halb öffentlicher Wutrede gegenüber Veerman nicht. Dass in einem Mannschaftssport auch einmal harte Worte fallen, ist zwar grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Das Präsidium hatte Luhukay im April 2019 ja auch gerade deshalb verpflichtet, weil er Missstände offen und direkt anspricht. Dies aber geschieht in aller Regel – aus gutem Grund – hinter verschlossenen Türen. In diesem Fall kam erschwerend hinzu, dass im praktisch leeren Stadion die Worte des Trainers bis auf die Tribüne gut zu hören waren, was bei voll besetzten Rängen und einem damit verbundenen Grundlärm nicht der Fall gewesen wäre.
Dazu bekamen auch die Spieler des Gegners hautnah mit, dass bei St. Pauli trotz der 2:0-Halbzeitführung nicht Selbstvertrauen und Optimismus vorherrschten, sondern Ärger und Stress. Allein dies war ein Anlass für das Gästeteam, noch an seine Chance zu glauben.
Veerman trifft für St. Pauli zuverlässig
Wie also geht es jetzt weiter mit Luhukay und Veerman, der in dieser Saison bei erst 19 Einsätzen neun, zum Teil immens wichtige Treffer erzielt hat? Das Verhältnis zwischen den beiden war offenkundig schon vor dem Spiel gegen Aue sehr angespannt.
Luhukay schien enttäuscht davon, in welcher körperlichen Verfassung sich der Stürmer nach der Corona-Zwangspause befand und wie wenig läuferisches Engagement er auf dem Platz zeigte, selbst wenn er erst im Laufe des Spiels eingewechselt wurde. Veerman seinerseits schien verärgert zu sein, dass er nicht immer erste Wahl war und in drei der jüngsten sechs Spiele nur eingewechselt wurde.
Luhukay kritisiert noch einmal die Mannschaft
"Ich denke nicht, dass es einen tiefen Riss zwischen Henk Veerman und Jos Luhukay gibt“, sagte am Montag Sportchef Bornemann dem Abendblatt. Natürlich wäre es – allein aus wirtschaftlicher Sicht – im Interesse des Vereins, wenn beide wieder eine fruchtbare Basis für eine Zusammenarbeit finden könnten.
Veerman ist noch ein Jahr an den FC St. Pauli gebunden. Die ersten Gespräche über eine vorzeitige Verlängerung von Veermans Arbeitspapier hatte es bereits im Winter gegeben, bevor die Corona-Krise den Spielbetrieb stoppte und vor allem jegliche Budgetplanungen für die kommende Saison zur Makulatur werden ließen. Da es nicht nur dem FC St. Pauli so geht, ist kaum anzunehmen, dass sich derzeit ein Verein findet, der für Veerman eine halbwegs akzeptable Ablöse zahlen wird. Konkrete Anfragen soll es ohnehin bisher nicht geben.
Auch bei Luhukay war das Strafstoß-Thema am Montag noch nicht abgehakt. Dem Vernehmen nach nutzte er die Teamsitzung vor dem Training, um noch einmal die Mannschaft zu kritisieren. Man darf gespannt sein, wie viele Spieler sich beim nächsten Elfmeter darum streiten werden, ihn auszuführen, und welches Bild dies dann abgibt.