Hamburg. Jos Luhukay bestätigt bei St. Pauli den Ruf, kompromisslos, unberechenbar, aber manchmal auch vergnügt zu sein.
Am Donnerstag zeigte Jos Luhukay von einem Moment auf den anderen seine mürrische Seite. Hatte der Trainer des FC St. Pauli auf der Pressekonferenz kurz zuvor noch in einem positiven Grundtenor darüber gesprochen, dass sein Team sich ja genügend Torchancen herausspiele und nur effektiver werde müsse, änderte die Frage, ob denn Marvin Knoll, der zuletzt zwei Ligaspiele von der Ersatzbank aus verfolgen musste, im Heimspiel gegen den VfL Bochum wieder mal eine Chance bekommen könnte, die Laune. „Ich könnte zu jedem Spieler eine Antwort geben. Aber ihr macht da wieder so eine Lawine daraus. Ich nehme die Vorlage nicht mehr an“, sagte Luhukay an die Adresse der Medienvertreter. Ende der Durchsage.
Auch wenn es Luhukay nicht explizit sagte, war das Beben, das er selbst mit der Nichtaufstellung von Torwart Robin Himmelmann im DFB-Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:2) und der späteren Kritik am Keeper ausgelöst hatte, ganz offensichtlich der Anlass für seine plötzliche Schweigsamkeit zu einer einzelnen Personalie.
Knoll hatte sich in der vergangenen Saison schnell den Status eines Publikumslieblings erarbeitet. Im Sommer galt er als Favorit auf die Kapitänsrolle, doch Luhukay bestimmte Christopher Avevor dazu, Daniel Buballa und Jan-Philipp Kalla als Vertreter.
Luhukay für seine Kompromisslosigkeit bekannt
Wer sich mit Luhukays Trainerkarriere befasst, stellt fest, dass sich seine Verhaltensmuster wiederholen. Die Förderung junger Spieler, wie jetzt beim FC St. Pauli Finn Ole Becker, gehört dazu. Gleichzeitig aber hat er auch etablierte Spieler oft durch Nichtnominierung vor den Kopf gestoßen.
Was ihm gar nicht gefällt, ist, wenn ihm neue Spieler vom Sportchef oder Vorstand vorgesetzt werden. So war es im Sommer 2016 beim VfB Stuttgart, als er nicht einmal einen Benjamin Pavard haben wollte. Der Franzose wurde zwei Jahre später Weltmeister und spielt heute bei Bayern München. Mit 35 Millionen Euro Ablöse füllte er das Konto des VfB Stuttgart.
Luhukays Tätigkeit in Stuttgart war damals schnell beendet. Er trat nach vier Ligaspielen zurück. Dies war bereits das dritte Mal, dass er selbst das Handtuch warf. Zuvor hatte er 2006 beim SC Paderborn nach einem Zerwürfnis mit dem damaligen Vereinspräsidenten Wilfried Finke und 2012 beim FC Augsburg die Brocken hingeschmissen.
Luhukay erfährt Rückendeckung von Göttlich
„Ich kann sehr stur sein“, hat Luhukay einmal in einem Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ gesagt. Dem mag wohl niemand, der mit ihm zusammengearbeitet hat, widersprechen. Kompromisse sind nicht seine Sache, überraschende Entscheidungen umso mehr. Diese seien aber wohlüberlegt, versichert er. Ob das auch für die Wutreden gilt, die er teils vor seinen Spielern, teils aber auch vor Medienvertretern hält?
Schon mindestens zweimal in seiner siebenmonatigen Amtszeit beim FC St. Pauli hat er zu diesem Stilmittel gegriffen. Noch genießt er die volle Rückendeckung von Präsident Oke Göttlich, wie dieser vor ein paar Tagen gerade wieder mal betonte. Luhukay dürfe nicht nur, er solle sogar alle Missstände ansprechen. Auch dafür sei er geholt worden, versicherte der Präsident.
Luhukay gilt als akribischer Arbeiter
Kürzlich gab Luhukay auch in Hamburg einen Einblick in sein Seelenleben. „Ich habe es bisher kaum einmal geschafft, Erfolge auch zu genießen. Es geht immer so schnell an mir vorbei. Dabei hatte ich in Augsburg, Mönchengladbach und bei Hertha BSC in Berlin fantastische Zeiten mit den Aufstiegen in die Bundesliga“, sagte er.
Doch er ist einer, der sich getrieben fühlt – von den Erwartungen an ihn und vom eigenen Ehrgeiz. Aus Berlin wird berichtet, dass er sich nie Zeit nahm, die Stadt kennenzulernen, weil er sich nur mit seiner Mannschaft und dem nächsten Gegner beschäftigte. Schlendrian kennt er für sich nicht, und er duldet ihn auch bei anderen nicht.
Luhukay überlebte mehrere kritische Situationen
Geprägt worden ist Luhukay womöglich auch von einem Erlebnis, als er noch aktiver Fußballspieler war. 1989 sollte eine Auswahl niederländischer Spieler mit surinamesischen Wurzeln auf Welttournee gehen. Das Flugzeug mit dem Team stürzte ab, Luhukay war nur deshalb nicht dabei, weil er mit dem VVV-Venlo noch ein Pflichtspiel bestreiten musste. Später überlebte er noch zwei schwere Autounfälle. „Ich habe unglaubliches Glück gehabt“, sagt er dazu. Gerade diese Erkenntnis ist es wohl auch, dass er sich in seinem Beruf auf noch mehr Glück nicht verlassen will.
Bei allem Ehrgeiz aber, das sollte nicht verschwiegen werden, hat Luhukay auch vergnügte Momente. „Im nächsten Leben werde ich Journalist. Immer schön in der Sonne stehen und zugucken“, flachste er kürzlich beim Training an die Adresse der Reporter. Vielleicht bekommt er dann auch eine andere Sicht darauf, wer Lawinen lostritt.