Hamburg. Der neue Trainer leitet die erste Einheit. Und Präsident Oke Göttlich kritisiert die mutlose Haltung von Vorgänger Markus Kauczinski.

Die Objektive der Kameras waren auf die graue Tür des Kabinentraktes gerichtet, gebannt blickten auch die rund 30 Trainingszuschauer in diese Richtung. Keiner wollte den Moment verpassen, wenn der neue Cheftrainer des FC St. Pauli das erste Mal auf den Trainingsplatz an der Kollaustraße geht, um das Team auf den Endspurt in der Zweiten Liga vorzubereiten.

Bevor es so weit war, traten zunächst Co-Trainer Markus Gellhaus und, einzeln oder in kleinen Gruppen, die Spieler aus der Tür. „Seid ihr alle nur wegen mir gekommen?“, frotzelte Stürmer Sami Allagui mit einem Lächeln auf den Lippen. Um 10.52 Uhr war es dann so weit. Ein paar Schritte hinter Co-Trainer André Trulsen gingen der am Tag zuvor verpflichtete Jos Luhukay und der wieder zum Interims-Sportchef ernannte Geschäftsführer Andreas Rettig auf den Rasenplatz. Dort blieb Rettig auch das gesamte, gut eineinhalb Stunden dauernde Training, um sich ein Bild zu machen.

Die Trainerkarriere des Jos Luhukay

Geboren

13. Juni 1963 in Venlo (Niederlande)

Trainerstationen

07/1998 - 06/2000: SV Straelen

07/2000 - 06/2002

KFC Uerdingen

07/2002 - 06/2005

1. FC Köln (Co-Trainer)

11/2003

1. FC Köln (Cheftrainer für ein Spiel)

07/2005 - 08/2006

SC Paderborn

01/2007 - 10/2008

Borussia Mönchengladbach

04/2009 - 05/2012

FC Augsburg

07/2012 - 02/2015

Hertha BSC

07/2016 - 09/2016

VfB Stuttgart

01/2018 - 12/2018

Sheffield Wednesday

Ab 04/2019

FC St. Pauli

1/12

Nach einer etwas veränderten Art des Aufwärmens ließ Luhukay, der einen Vertrag bis Juni 2021 erhalten hat, mit elf gegen elf auf einem leicht verkleinerten Feld spielen. Auffällig war dabei, dass zunächst Sami Allagui in der A-Elf als Stürmer agieren durfte, während Torjäger Alexander Meier sich im B-Team wiederfand. Etwa zur Hälfte des Trainingsspiels tauschten beide aber ihre Teams.

„Mit Sami habe ich bei Hertha BSC sehr erfolgreich zusammengearbeitet“, berichtete Luhukay später bei der offiziellen Vorstellung über die gemeinsame Zeit mit dem Stürmer in Berlin. Dort feierte der Trainer einen seiner drei Aufstiege in die Bundesliga. Auch Mittelfeldspieler Marvin Knoll kennt Luhukay aus der Zeit bei Hertha BSC. „Er hat bei uns in der Profimannschaft trainiert und im U-23-Team gespielt“, sagte er. „Beide sind vom Charakter her gute Jungs, die hierher passen.“

Stöver hielt an Kauczinski fest

Gewöhnen müssen sich Allagui, Knoll und alle anderen Profis an ein neues Geräusch auf dem Trainingsplatz. Luhukay benutzt – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – eine Trillerpfeife, wenn er Spielformen unterbricht, um neue Anweisungen zu geben.

St. Paulis Präsident Oke Göttlich nutzte am Donnerstagnachmittag die Präsentation des neuen Trainers, um auch die Entscheidung, Vorgänger Markus Kauczinski und Sportchef Uwe Stöver im Doppelpack zu beurlauben, noch einmal zu erläutern. „Es herrscht eine lethargische Stimmung im Verein, als ob wir auf einem Abstiegsplatz stehen“, sagte er. Das Grundvertrauen habe gefehlt. Das sei jedoch das „Allerwichtigste“, um erfolgreich zu sein. „Wir wollen uns jetzt auf die letzten sechs Spiele konzentrieren und eine Situation schaffen, in der wir Spiele gewinnen wollen und es nicht darum geht, Spiele nicht zu verlieren“, sagte Göttlich.

Die Vorstellung von Jos Luhukay im Video:

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Jos Luhukay: "Ich schätze Markus Kauczinski"

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    Dies war durchaus als Spitze gegen die weitgehend mutlose Grundhaltung Kauczinskis zu verstehen, mit der er sein Team in die Spiele geschickt und zuletzt kaum noch Erfolg gehabt hatte. Und zur Beurlaubung des Sportchefs sagte Göttlich: „Uwe Stöver hat sich weiter für Markus Kauczinski starkgemacht, was wir menschlich sehr schätzen, aber nicht zu unserer Analyse passte.“

    Rothenbach kein Kandidat auf Stöver-Nachfolge

    Göttlich hat in seiner bisher viereinhalb Jahre langen Amtszeit bereits vier Trainer und drei Sportchefs geschasst, was klar dem selbst formulierten Anspruch nach mehr Kontinuität widerspricht. Jetzt sagte er zu dieser Problematik: „Wenn ich die Wahl zwischen Kontinuität und Entwicklung habe, entscheide ich mich für die Entwicklung.“

    Diese sieht St. Paulis Führungsriege nun also in der Person des 55 Jahre alten Niederländers Jos Luhukay gegeben, der selbst berichtete, bereits am Montagabend vom FC St. Pauli kontaktiert worden zu sein. Dies war rund 24 Stunden vor der entscheidenden Präsidiumssitzung, auf der die Trennung von Kauczinski und Stöver beschlossen worden war.

    Die Suche nach einem neuen Sportchef soll laut Göttlich „in den nächsten Wochen“ erfolgreich abgeschlossen werden. Praktisch ausgeschlossen ist dabei, dass St. Paulis Ex-Profi Carsten Rothenbach, der bisher als Assistent von Sportchef Stöver fungierte, auf dessen Posten nachrückt, wie Göttlich durchblicken ließ.

    Ausgemusterte legen sich ins Zeug

    Bis der neue Mann gefunden ist, wird bekanntlich der kaufmännische Geschäftsführer Andreas Rettig die Aufgaben des Sportchefs übernehmen. „Ich sehe meine Rolle darin, den Übergang zu moderieren“, sagte Rettig dazu, der schon früher festgelegt hatte, am 30. September aus privaten Gründen den Verein zu verlassen. „Ich will mich nicht mehr als Sportchef verwirklichen“, sagte er und meinte damit offenbar, dass er spektakuläre Transfers für die kommende Saison seinem Nachfolger überlassen wolle. Rettig hatte im Übrigen schon beim jüngsten Heimspiel gegen den MSV Duisburg (0:0) den Ex-Sportvorstand des VfB Stuttgart, Michael Reschke, durch das Millerntor-Stadion geführt.

    Jos Luhukay lobte unterdessen nach seinem ersten Eindruck aus dem Training die Spieler. „Ich war begeistert, wie die Jungens aufgetreten sind“, sagte er. Tatsächlich war zu erkennen, dass sich auch die Profis, die zuletzt eher keine Rolle für die Startelf gespielt hatten, besonders ins Zeug legten. Ob dies auch an der Trillerpfeife lag?

    Offensiv gab sich auch Luhukay in Bezug auf die letzten sechs Saisonspiele. „Wenn man auf die Tabelle schaut, ist alles möglich. Ich glaube, dass man träumen kann. Platz drei ist nicht weit entfernt. Wir müssen aber alles dafür tun, um das nächste Spiel zu gewinnen“, sagte er.