St. Pauli setzt Sportchef Stöver und Trainer Kauczinski vor die Tür. Der neue Mann Luhukay soll den Club Richtung Aufstieg führen.

Hamburg. Die Geheimhaltung der Abfahrt hatte etwas von einem Agentenfilm. Am Seiteneingang des Trainingszentrums an der Kollaustraße wartete Uwe Stöver, als sein Auto von seinem Assistenten Carsten Rothenbach vorgefahren wurde. Der 52-Jährige übernahm das Steuer, hupte noch einmal und fuhr abseits der Fotografen und Kamerateams, die sich vor dem Haupteingang positioniert hatten, vom Hof. Kurz zuvor hatten sich Stöver und Trainer Markus Kau­czinski verabschiedet.

Markus Kauczinski (l.) und Uwe Stöver waren bis zum Schluss ein eingeschworenes Team. Nun kostete dieses innige Verhältnis beide den Job.
Markus Kauczinski (l.) und Uwe Stöver waren bis zum Schluss ein eingeschworenes Team. Nun kostete dieses innige Verhältnis beide den Job. © Witters

Am Dienstag tagten Aufsichtsrat und Präsidium bis in den späten Abend, um über die aktuelle Situation mit vier sieglosen Partien in Folge zu beraten. Das Ergebnis: Die sofortige Entlassung von Kauczinski und Stöver, die am frühen Mittwochmorgen über ihre Freistellung in Kenntnis gesetzt wurden.

„Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, gerade weil wir Uwe und Markus persönlich sehr schätzen. Aber im Sinne des FC St. Pauli halten wir diesen Schritt für notwendig, um die Saison sportlich erfolgreich zu beenden und die Weichen für die neue Saison stellen zu können“, ließ Präsident Oke Göttlich via Pressemitteilung verkünden. Sprechen wollte am Mittwoch niemand. Weder die Verantwortlichen noch die Spieler.

Déjà-vu für Rettig bei St. Pauli

Auf einer Pressekonferenz will St. Pauli an diesem Donnerstag um 15 Uhr den personellen Schnitt erklären und die Nachfolgelösung für das Duo Kauczinski/Stöver offiziell präsentieren. Neuer Trainer wird der Niederländer Jos Luhukay (55), der bis Dezember 2018 beim englischen Zweitligaclub Sheffield Wednesday unter Vertrag stand.

Interimssportchef wird bis Saisonende Geschäftsführer Andreas Rettig, der vor knapp drei Wochen seinen Abschied vom Kiezclub zum 1. Oktober verkündet hatte. Für den 55-Jährigen ist es das zweite Mal, dass er als Interimssportchef einspringt. Bereits nach der Trennung von Thomas Meggle im November 2016 übernahm er kommissarisch.

St. Pauli stellt sechs Spieltage vor Saisonende im sportlichen Bereich alles auf null. Überraschend kommt die Entlassung von Kauczinski nicht. Neben den ausbleibenden Resultaten wurde vor allem die Außendarstellung des 49-Jährigen massiv kritisiert. Das konsequente Starkreden der Gegner sowie zunehmende Ratlosigkeit, wie er sportlich den Turnaround schaffen will, sorgten letztlich dafür, dass der gebürtige Gelsenkirchener seinen Posten räumen musste.

Die Trainerkarriere des Jos Luhukay

Geboren

13. Juni 1963 in Venlo (Niederlande)

Trainerstationen

07/1998 - 06/2000: SV Straelen

07/2000 - 06/2002

KFC Uerdingen

07/2002 - 06/2005

1. FC Köln (Co-Trainer)

11/2003

1. FC Köln (Cheftrainer für ein Spiel)

07/2005 - 08/2006

SC Paderborn

01/2007 - 10/2008

Borussia Mönchengladbach

04/2009 - 05/2012

FC Augsburg

07/2012 - 02/2015

Hertha BSC

07/2016 - 09/2016

VfB Stuttgart

01/2018 - 12/2018

Sheffield Wednesday

Ab 04/2019

FC St. Pauli

1/12

Spieler klagten über Kauczinskis Training

Auch die Mannschaft stand zuletzt nicht mehr komplett hinter ihrem Chef. Beschwerden über monotones Training und fehlende Kommunikation wurden zumindest hinter vorgehaltener Hand immer lauter. Bei den Fans hatte der häufig lethargisch wirkende Coach spätestens nach den 0:4-Demütigungen gegen den HSV und den SV Sandhausen einen schweren Stand.

Die Zweifel daran, ob der ehemalige Karlsruher Trainer der richtige Mann ist, um St. Pauli auf die nächste Stufe zu heben, gibt es in den Gremien des Clubs schon länger. In seiner knapp anderthalbjährigen Dienstzeit stand er bei St. Pauli bereits mehrmals unmittelbar vor dem Aus. Zuletzt in der Hinrunde, als er sich mit einem schmeichelhaften 1:0-Sieg in Ingolstadt noch mal retten konnte. Die häufig glücklichen Siege kaschierten die Tatsache, dass St. Pauli bis heute keine klare Spielidee erkennen lässt.

Knüpfte Stöver sein Schicksal an das von Kauczinski?

Trotz allem genoss Kauczinski bis zuletzt das Vertrauen von Sportdirektor Stöver, der den Übungsleiter im Dezember 2017 als seine erste große Amtshandlung verpflichtet hatte. Noch am Sonnabend sprach sich der 52-Jährige nach dem erneut desolaten 1:2 bei Holstein Kiel für den Coach aus. „Markus Kau­czinski hat schon mehrfach bewiesen, dass er die Mannschaft aus diesen Situationen herausführen kann. Eine Trainerdiskussion ist kein Thema bei uns.“

Eine Einschätzung, die ihm am Ende zum Verhängnis wurde und letztlich den Job kostete. So soll Stöver, der Kauczinskis Vertrag im November 2018 trotz Zweifeln innerhalb des Vereins bis 2020 verlängert hatte, auch nach der abermals enttäuschenden Niederlage im Nordderby nicht bereit gewesen sein, den Trainer von seinen Aufgaben zu entbinden.

Ein verbaler Freibrief, der im Präsidium und Aufsichtsrat dem Vernehmen nach nicht gerade für Luftsprünge gesorgt hat. Stöver hatte nach Abendblatt-Informationen auch bei internen Diskussionen Kauczinski verteidigt, dabei aber in den vergangenen Wochen nur wenig schlüssige Argumente vorbringen können.

„Natürlich hätte ich gerne weitergearbeitet, allerdings gab es in der weiteren Vorgehensweise und Ausrichtung unterschiedliche Auffassungen. Diese habe ich zu respektieren. Aber ich wünsche dem Verein alles erdenklich Gute für die weitere Zukunft“, ließ Stöver, der erst im Februar sein Arbeitspapier bis 2021 verlängert hatte, mitteilen.

St. Paulis Trainer seit dem Jahr 2000

Willi Reimann

01.02.1999 - 14.03.2000

Dietmar Demuth

15.03.2000 - 20.08.2002

Joachim Philipkowski

20.08.2002 - 16.12.2002

Franz Gerber

29.12.2002 - 28.03.2004

Andreas Bergmann

29.03.2004 - 20.11.2006

Holger Stanislawski

21.11.2006 - 20.06.2011

André Trulsen

01.07.2007 - 30.06.2008

André Schubert

01.07.2011 - 26.09.2012

Thomas Meggle

28.09.2012 - 07.10.2012

Michael Frontzeck

08.10.2012 - 06.10.2013

Roland Vrabec

07.11.2013 - 02.09.2014

Thomas Meggle

03.09.2014 - 16.12.2014

Ewald Lienen

16.12.2014 - 30.06.2017

Olaf Janßen

01.07.2017 - 07.12.2017

Markus Kauczinski

08.12.2017 - 10.04.2019

Jos Luhukay

11.04.2019 -

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Greift St. Pauli noch einmal in den Aufstiegskampf ein?

Durch den personellen Kahlschlag erhofft sich der FC St. Pauli noch einmal einen Impuls für den Endspurt in der Zweiten Liga. Sechs Spieltage vor Saisonende rangiert der Kiezclub lediglich vier Punkte hinter Platz drei, der aktuell von Union Berlin belegt wird. Erreicht der Kiezclub doch noch die Relegation, können sich die Verantwortlichen am Ende auf die Fahne schreiben, dass die Entscheidung, die am Mittwoch verkündet wurde, großes Kino war.