Hamburg. Die Rivalität der Fans und die sportliche Situation prägen das Nordderby an diesem Sonnabend bei Holstein Kiel.

Noch am Donnerstagabend diskutierten rund 1000 Mitglieder und Anhänger des FC St. Pauli leidenschaftlich und kontrovers über die Vorkommnisse beim Stadtderby gegen den HSV (0:4) am 10. März, da steht für den Millerntor-Club schon das nächste, nicht nur von sportlicher Spannung und Brisanz geprägte Nordduell in der Zweiten Liga auf dem Programm. An diesem Sonnabend (13 Uhr, Sky und Liveticker bei abendblatt.de) muss das Team von Trainer Markus Kauczinski beim Tabellensiebten Holstein Kiel antreten, der mit einem Sieg den Hamburger Stadtteilclub in der Tabelle überholen könnte.

Die Erinnerungen an das Aufeinandertreffen in der vergangenen Saison im Kieler Holstein-Stadion sind immer noch recht frisch, auch wenn inzwischen seit jenem 19. September 2017 mehr als eineinhalb Jahre vergangen sind. Der Platzsturm von rund 50 vermummten Kieler Anhängern während des Aufwärmens beider Teams, der Diebstahl einer St.-Pauli-Fahne durch diese Personen und die Rückeroberung, an der auch St. Paulis Spieler Sami Allagui und Jan-Philipp Kalla sowie Torwarttrainer Mathias Hain und der damalige Co-Trainer Patrick Glöckner beteiligt waren, prägten das Geschehen. Sportlich gab es für St. Pauli damals einen 1:0-Erfolg durch den Treffer von Mittelfeldspieler Johannes Flum. Am Ende waren sieben Tatverdächtige festgenommen worden.

Reiterstaffel wurde abgesagt

Ebenso wie die beiden danach im Millerntor-Stadion ausgetragenen Spiele zwischen St. Pauli und Kiel (3:2 und 0:1) ist auch das Match an diesem Sonnabend – wenig überraschend – von der Polizei als Risikospiel eingestuft worden. Statt der damals 11.935 werden jetzt dank eines Tribünenneubaus erstmals rund 13.400 Zuschauer das Stadion füllen. Genau 1363 Tickets wurden den St.-Pauli-Fans zugestanden, die damit den Gästeblock komplett füllen. Die Polizei hat verfügt, dass in diesem Bereich keine alkoholischen Getränke angeboten werden dürfen.

Auf der anderen Seite hat die Kieler Polizei der zunächst aus Hamburg für das Spiel angeforderte Reiterstaffel inzwischen wieder abgesagt. Nach Informationen der „Kieler Nachrichten“ soll dies das Landespolizeiamt angeordnet haben. Anlass könnte sein, dass man in Schleswig-Holstein nach Abschaffung der eigenen Reiterstaffel keine neuen Begehrlichkeiten in dieser Hinsicht wecken wolle. Auf jeden Fall wirkt sich dies kostenmindernd aus, was angesichts des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes zur Beteiligung von Vereinen an erhöhten Polizeikosten interessant ist.

Chance zur Bewährung

Für die St.-Pauli-Fans, die sich zur Ultra-Gruppierung zählen, stellt das Spiel, ebenso wie zuletzt das Heimmatch gegen Duisburg und davor die Partie in Sandhausen, eine weitere Chance zur Bewährung dar. Auf der Veranstaltung am Donnerstagabend im Ballsaal Süd des Millerntor-Stadions hatte St. Paulis Sicherheitschef Sven Brux erstmals konkretisiert, dass von den je 300 Tickets pro Spiel, die „Ultra St. Pauli“ (USP) bisher in Eigenregie an die eigenen Mitglieder vergeben hat, bis auf Weiteres 100 in den freien Verkauf gehen werden. Wie lange der Verein an dieser Sanktion festhält, hänge vom Verhalten der auf der Südtribüne des Millerntor-Stadions beheimateten Ultras ab, ließen Sven Brux und Präsident Oke Göttlich durchblicken. Brux stellte zudem klar, dass diese Reduzierung des zugestandenen Kartenkontingents in der Liste der möglichen Maßnahmen weit unten anzusiedeln ist.

St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig und auch Präsident Oke Göttlich hatten den Abend im Ballsaal Süd mit Blick auf das anstehende Spiel in Kiel mit einem Appell zum Schulterschluss aller Fans beschlossen und auf die sportlich immer noch gute Chance hingewiesen, den dritten Platz zu erreichen. „Es gibt keinen Ersatz für den sportlichen Erfolg“, sagte Rettig. Es war das erste Mal in dieser Saison, dass ein Verantwort­licher des FC St. Pauli so offensiv ein wirklich ambitioniertes Ziel formuliert.

Bestehende Chance nutzen

Prompt stieß am Freitagmittag vor dem Abschlusstraining Trainer Markus Kauczinski ins gleiche Horn. „Es geht in die entscheidende Phase. Klar ist, dass wir jetzt liefern müssen. Nach den letzten Ergebnissen müssen wir froh sein, dass wir überhaupt noch in Reichweite sind. Wir sind jetzt in der Pflicht, besser zu spielen und erfolgreich zu sein. Wenn wir untermauern wollen, dass wir die bestehende Chance nutzen wollen, müssen wir das auf dem Platz zeigen“, sagte er.

Auf Nachfrage versicherte Kauczin­s­ki, dass es keine von der Vereinsführung ausgegebene Parole sei, jetzt offensiver seine Ziele zu formulieren. Ebenso habe er sich nicht mit Andreas Rettig abgesprochen. „Es ist nur einfach so, dass die Spiele weniger werden. Wenn man jetzt sechs Punkte Rückstand hat, ist das irgendwann nicht mehr aufzuholen.“

Personelle Probleme

Personell hat Kauczinski allerdings einige Probleme zu lösen. Neben den Langzeitverletzten Henk Veerman, Philipp Ziereis und Luca Zander können in Kiel auch Jan-Philipp Kalla, Richard Neudecker und Dimitrios Diamantakos noch nicht dabei sein, auch wenn sie wieder ins Training eingestiegen sind. Dazu fällt auch Stammtorwart Robin Himmelmann aus, der sich am Montag im Training eine Zerrung im Oberschenkel zugezogen hatte.

Da er am Donnerstag noch nicht wieder voll trainieren konnte, will Kauczinski nichts riskieren. Schon im Auswärtsspiel beim 1. FC Köln (1:4) im Februar hatte Himmelmann wegen Verletzung gefehlt und war von Svend Brodersen vertreten worden. Der 22 Jahre alte, gebürtige Hamburger hatte eine noch höhere Niederlage verhindert und genießt auch jetzt das Vertrauen.