Hamburg. Die Führung des Kiezclubs distanziert sich von den Vorfällen auf der Südtribüne beim Stadtderby gegen den HSV.

Das Interesse am Auslaufen hielt sich am Montagmorgen in Grenzen. Vier Kiebitze verirrten sich bei Schneeregen und Sturm an die Kollaustraße und fachsimpelten über das desaströse 0:4 im Stadtderby gegen den HSV. Thema Nummer eins war aber auch bei den Experten am Spielfeldrand nicht die schwache Darbietung der Profis auf dem Platz, sondern viel mehr das, was sich auf den Rängen abgespielt hatte. Der Tenor: Die Selbstinszenierung der Ultras, die durch massives Abfeuern von Pyrotechnik sowie das Klauen von HSV-Bannern auffielen, nervt die „normalen“ Fans massiv.

Zeitgleich stieg 7,4 Kilometer vom Trainingszentrum in Niendorf entfernt im Millerntor Stadion der interne „Pyro“-Gipfel, in dem die Verantwortlichen um Präsident Oke Göttlich (43) und Geschäftsführer Andreas Rettig (55) die Geschehnisse vom Sonntagnachmittag aufarbeiteten. Das war offenbar ein langer und komplizierter Vorgang. Erst um 16.45 Uhr gab der Club seine offizielle Stellungnahme heraus und distanzierte sich darin von den Vorgängen beim HSV-Spiel.

Rettig verurteilte Abfeuern von Pyrotechnik nicht gänzlich

„In den vergangenen Jahren haben die Verantwortlichen unseres Clubs mit den nun betroffenen Teilen der Fanszene eine sehr offene Diskussionskultur gepflegt und einen großen Vertrauensvorschuss gegeben. Mit den verschiedenen Aktionen während der Partie wurden Grenzen überschritten. Das billigen und dulden wir nicht“, hieß es auf der Internetseite des Kiezclubs. Welche konkreten Konsequenzen dies für die Täter bedeutet, wurde allerdings nicht mitgeteilt – wenn man die überwiegend maskierten Zündler überhaupt erwischt.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Rettig nach dem Spiel das Abfeuern von Pyrotechnik nicht in Gänze verurteilt hatte: „Ich habe kein Problem mit Pyro, aber was heute passiert ist, geht klar zu weit“, sagte der Geschäftsführer. Für St. Paulis Präsidenten Oke Göttlich ist der Pyro-Einsatz „seit Jahrzehnten Teil der Fan- und hysterischen Aufregungskultur.“ Er bat nach der Partie um Entschuldigung „für das, was heute passiert ist. Es war zu viel.“

St.-Pauli-Führung verschärft Ton gegen eigene Fans

Mittlerweile ermittelt der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der sowohl den FC St. Pauli als auch den HSV aufgefordert hat, Stellungnahmen abzugeben. Beiden Clubs drohen hohe Geldstrafen. Auch Hamburgs Innen- und Sportsenator Andy Grote kritisierte beide Fan-Lager für das Verhalten. „Ein solcher Pyro-Exzess ist nicht tolerierbar“, sagte der 50-Jährige. Die Masse der Stadionbesucher erwarte zu Recht,, „dass ein solches Verhalten nicht einfach hingenommen, sondern konsequent verfolgt wird.“

Der Verein bietet Geschädigten, die einen materiellen Schaden erlitten haben, oder aus Sorge frühzeitig das Stadion verlassen haben, eine Schadensregulierung an. „Die Vorfälle stellen eine Zäsur beim FC St. Pauli dar, spiegelt zum Beispiel das Präsentieren von Fanutensilien des Gegners in keiner Weise den Umgang wider, den wir hier in unserem Stadion in der Vergangenheit gepflegt haben. Auch die Menge an gezündeter Pyrotechnik und das Abfeuern von Leuchtkugeln auf das Spielfeld gehen weit über ein akzeptables Maß hinaus. Aufgrund der Vorfälle werden Form und Inhalt des weiteren Umgangs miteinander und Konsequenzen kritisch diskutiert“, schrieb der Kiezclub und droht indirekt damit, den Umgangston mit den Fans zu verschärfen.

Die Fanszene des FC St. Pauli ist zerrissen

Das Abbrennen von Pyrotechnik offenbarte einmal mehr, wie zerrissen die Fanszene des FC St. Pauli ist. Als in der 82. Minute die Partie kurz vor dem Abbruch stand, richtete sich der gesamte Ärger der Haupttribüne, Gegengerade und Nordtribüne gegen Teile der Ultras auf der Südtribüne. „Ihr seid scheiße wie der HSV“ und „Haut ab“ wurde in Richtung derer gebrüllt, die zwei geklaute HSV-Banner provokativ präsentierten. Anhänger auf der Südtribüne reagierten auf die Pfiffe und Schmähgesänge mit dem Abschuss von Raketen auf den Platz und in Richtung der Gegengeraden. Ein bisher nie dagewesener Vorgang am Millerntor. „Genau das, was wir bei anderen Szenen immer verachtet haben, wird in meinem Wohnzimmer gemacht“, kritisiert in einem Forum der St.-Pauli-Fan „Dissident“, „und ich steh dahinter und sehe mich als Teil dieser Projektion, zu der ich nicht gehören will.“

Seit Jahren werden die Ultras auf der Südtribüne kritisch gesehen, weil sie während der 90 Minuten kaum spielbezogenen Support betreiben, sondern in erster Linie sich selbst feiern und immer mal wieder durch Pyro-Aktionen dafür sorgen, dass St. Pauli Geldstrafen an den DFB zahlen muss. Beim Derby soll es zu Scharmützeln unter den Fans auf der Südtribüne gekommen sein, als sie verbal gegen die Pyro-Attacken vorgingen.