Hamburg. Durch das enttäuschende 0:4 gegen den HSV verabschiedet sich der FC St. Pauli aus dem Kampf um die direkten Aufstiegsplätze.

Die Partie war keine 15 Minuten beendet, da zeigten viele Profis des FC St. Pauli in der Mixed Zone jene Zielstrebigkeit, die ihnen zuvor über 93 Minuten auf dem grünen Rasen zu oft gefehlt hatte. Wortlos und mit versteinerter Miene flüchtete ein Spieler nach dem anderen in die Kabine. Nichts hören, nichts sehen, einfach nur weg. Immerhin versuchten diejenigen, die sich nach dem 0:4 (0:1) gegen den HSV stellten, erst gar nicht, die Darbietung schönzureden. „Aktuell ist es eine der bittersten Stunden, seit ich bei St. Pauli bin“, sagte der sichtlich bediente Torhüter Robin Himmelmann.

Dabei war für den FC St. Pauli alles angerichtet für ein Fußballfest. Zwei Siege in Folge, großes Selbstvertrauen, ein ausverkauftes Stadion, in dem vor dem Spiel eine elektrisierende Stimmung herrschte. Und dann zogen ausgerechnet die Protagonisten in Braunweiß selbst den Stecker. Sie wirkten mutlos, ohne Esprit, ja fast schon wie das Kaninchen vor der Schlange. St. Pauli ließ den Stadtrivalen in der ersten Halbzeit gewähren, statt ihn zu attackieren. Dass der HSV über die besseren Fußballer verfügt, war keine Sensation. Dass die zuletzt wenig überzeugenden Bundesliga-Absteiger aber galliger und emotionaler das Spiel angingen und den Derbysieg mehr wollten, überraschte doch. In dem Spiel, in dem der HSV 61 Prozent Ballbesitz hatte, gab es nicht eine einzige Gelbe Karte.

Zwei spektakuläre Weitschüsse von Meier

„Ich fand uns nicht mutlos“, entgegnete Trainer Markus Kauczinski, der das tiefe Stehen als taktische Marschroute ausgab. „Wenn du vorne draufgehst und dann ausgekontert wirst, hilft es dir auch nicht. Wir sind gut damit gefahren, die Linie so hoch zu schieben. Die ersten 30 Minuten haben wir ordentlich verteidigt. Allerdings müssen wir mit dem Ball besser agieren“, analysierte der 49-Jährige.

In der Tat ließ St. Pauli aus dem Spiel in der ersten Hälfte wenig Chancen zu, doch die passive Vorstellung sorgte dafür, dass es zu keiner Zeit gelang, das Publikum emotional mitzunehmen. Die Kiezkicker verpassten es, durch aggressiveres Pressing die Verunsicherung des HSV zu forcieren. Im Gegenteil: Durch den Ballbesitzfußball, den sie dem Gegner zugestanden, machten sie den Stadtrivalen stark. „Der HSV war ganz klar besser. Wir sind nicht an unsere 100 Prozent gekommen, und wenn das nicht der Fall ist, können wir gegen jeden verlieren“, sagte Alexander Meier (36), der als einziger Profi Normalform hatte. „Wir hatten in der ersten und zweiten Halbzeit keine Chance. Die Taktik war scheißegal, darüber müssen wir nicht reden. So wie wir gespielt haben, hätten wir auch anders verloren“, analysierte Meier, der mit zwei spektakulären Weitschüssen (28., 79.) das Tor nur knapp verfehlte.

Beim 0:1 träumte die gesamte Hintermannschaft

Nach der Pause hätte Ryo Miyaichi in der 47. Minute das Spiel mit seinem Schuss, den HSV-Keeper Julian Pollersbeck stark parierte, auf den Kopf stellen können, doch die Pyro-Unterbrechungen (siehe Rand) und der Rückfall in die Muster der ersten Halbzeit sorgten dafür, dass St. Pauli die wohl bitterste Niederlage der vergangen Jahre zu verdauen hatte. „Es war definitiv nicht unser Tag, und es ist sehr ärgerlich, dass wir in so einem wichtigen Spiel nicht an unsere Leistungsgrenze kommen. Das ist enttäuschend. Nach dem Rückstand haben wir den Faden verloren“, sagte Sportchef Uwe Stöver.

Vor allem die Art und Weise, wie einfach der HSV zu Toren kam, ärgerte die Verantwortlichen.

Beim 0:1 träumte nach dem Lattenfreistoß von Aaron Hunt die gesamte Hintermannschaft, sodass Pierre-Michel Lasogga ohne Mühe einköpfen konnte. Auch bei den Gegentreffern zwei, drei und vier leisteten St. Paulis Profis nur Geleitschutz. „Der Gegner war abgezockter und einen Tick mutiger als wir – das hat uns am Ende hart bestraft. Wir wollten die Fans heute nicht enttäuschen“, sagte Daniel Buballa.

Tabellenplatz drei noch ein mögliches Ziel

Durch die schmerzhafte Niederlage gegen den HSV hat sich St. Pauli aus dem Rennen um die direkten Aufstiegsplätze wohl verabschiedet. Lediglich Platz drei, den aktuell Union Berlin belegt, ist angesichts von vier Zählern Rückstand noch ein mögliches Ziel. „Wir wissen, dass wir vielleicht mit den Topteams nicht mithalten können. Das haben wir heute gesehen“, sagte Kauczinski, der bereits vor dem „Spiel des Jahres“ seinem Team die Underdogrolle zugeschoben und verkündet hatte, dass St. Pauli ja nichts zu verlieren habe gegen den Stadtrivalen.

Dabei hätte der Kiezclub emotional und vor allem tabellarisch vieles gewinnen können. Mit einem Sieg wäre man bis auf einen Punkt an den Lokalrivalen herangerückt und mitten im Aufstiegsrennen gewesen. „Wir haben nie gesagt, dass wir aufsteigen wollen. Hier hat niemand Luftschlösser gebaut. Köln und HSV sind stärker, Union hat vielleicht auch ein bisschen mehr“, sagte Kau­czinski, der die Saison nach dem Debakel nicht in Schutt und Asche reden wollte. „Wir haben 43 Punkte, die hatten wir vergangene Saison am Ende, und daher ist die Saison bisher ein Riesenerfolg“, sagte Kauczinski, der aber keinen Hehl daraus machte, dass die Niederlage gegen den HSV schmerzhaft war. „Jetzt geht es aber weiter, scheißegal.“

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