Hamburg. Vor Spiel gegen Union Berlin: FC St. Pauli wie 14 andere Vereine im Abstiegskampf der Zweiten Liga. Nie war es so eng.
An Krisengesprächen mangelte es beim FC St. Pauli in dieser Woche nicht nach der leblosen Vorstellung beim 1:2 in Aue. Sportchef Uwe Stöver hielt eine Ansprache vor der Mannschaft, Cheftrainer Markus Kauczinski redete mit jedem einzelnen Spieler, wie er am Donnerstag verriet. Dazu gab es eine intensive teaminterne Kommunikation wie kaum einmal. So langsam scheint bei den Zweitligaprofis tatsächlich angekommen zu sein, in welch bedrohlicher Lage sie sich fünf Spieltage vor dem Ende der Spielzeit befinden. Platz 15, nur drei Punkte Vorsprung vor dem Abstiegsrelegationsplatz und nur noch fünf Zähler vor dem ersten direkten Abstiegsplatz – das ist die nüchterne Realität vor dem Heimspiel gegen das punktgleiche, aber auf Rang elf platzierte Team von Union Berlin an diesem Sonnabend (13 Uhr).
Die spezielle Dramatik dieser Situation wird deutlich beim Blick auf die letzte Spalte der Tabelle. Wie vier andere Teams auch weist St. Pauli 37 Punkte auf. Das ist eine Zahl, die nach 29 Spieltagen keinesfalls Abstiegsgefahr vermuten lässt. In der ersten Bundesliga etwa können Hertha BSC, Augsburg und Werder Bremen mit je 36 Punkten und neun Zählern Vorsprung auf Rang 16 dem Treiben am Tabellenende entspannt zusehen.
Selbst der Vierte Ingolstadt könnte noch absteigen
„Es ist eine verrückte Saison“, sagt denn auch St. Paulis Trainer Markus Kauczinski über die Lage in der Zweiten Liga. Selbst der Tabellenvierte Ingolstadt kann sich mit seinen 41 Punkten noch nicht ganz sicher fühlen. Platz vier und 15 sind nur durch vier Punkte getrennt – das gab es in der Zweiten Liga zu diesem Zeitpunkt noch nie. „Es kann im Unterbewusstsein auch eine Rolle spielen, dass unsere Punktzahl besser zu sein scheint, als die Situation ist“, sagt Kauczinski.
Hervorgerufen wurde die außergewöhnliche Dramatik in der Zweiten Liga vor allem durch die sportliche Ausgeglichenheit und Inkonstanz fast aller Mannschaften. Dabei gibt es zum Teil ungewöhnliche Serien und Konstellationen, wie die folgenden Fälle belegen.
Beispiel FC St. Pauli: Seit fünf Spielen (drei Punkte) ist das Millerntor-Team jetzt schon wieder sieglos. Gegen den Vorletzten Darmstadt gingen beide Spiele verloren, gegen Herbstmeister Holstein Kiel aber konnten beide Partien gewonnen werden, ebenso gegen den gerade wiedererstarkten VfL Bochum. Trainer Kauczinski übernahm das Team in Dezember auf Rang 15, wo es auch jetzt wieder steht. Trotzdem weist die Rückrundentabelle (siehe unten) St. Pauli als Neunten aus.
Beispiel Union Berlin: St. Paulis Gegner am Sonnabend erlebte in der Rückrunde den größten Absturz – vom Aufstiegsanwärter zum Abstiegskandidaten. Union ist die erfolgloseste Mannschaft der Rückrunde. Der Trainerwechsel von Jens Keller zu André Hofschneider bewirkte rein sportlich betrachtet bisher genau das Gegenteil des beabsichtigten Effekts. Unions bisher letzter Auswärtssieg gelang Mitte Oktober 2017 in Regensburg.
Beispiel Holstein Kiel: Der Aufsteiger wurde Herbstmeister und belegt bereits seit dem achten Spieltag ununterbrochen einen der ersten drei Plätze. Konstant erfolgreich war das Team von der Förde allerdings bei weitem nicht, sondern leistete sich elf sieglose Spiele in Folge. Dass der 16. der Rückrundentabelle aber immer noch den Aufstiegsrelegationsplatz belegt, ist ein weiterer Beleg für die „verrückte Saison“.
Beispiel 1. FC Kaiserslautern: Nach der Hinserie schien die Lage für den FCK aussichtslos bei zehn Punkten Rückstand auf Platz 15. Unter Trainer Michael Frontzeck mauserten sich die Pfälzer zum fünftbesten Rückrundenteam, sind aber noch Tabellenletzter – und das seit dem zehnten Spieltag.
Beispiel SpVgg. Greuther Fürth: Der Vorletzte der Hinrunde verlor in der Rückserie nur zwei seiner zwölf Spiele – Ligabestwert gemeinsam mit dem Lokalrivalen und Aufstiegsanwärter 1. FC Nürnberg. Mit 37 Punkten sind die Franken aber immer noch so abstiegsgefährdet wie der FC St. Pauli.
Fazit: Setzt sich die Unberechenbarkeit der Liga auch in der Schlussphase der Saison fort, werden 43 Punkte nötig sein, um den Abstieg ohne Relegationsspiele zu vermeiden – so viele wie nie zuvor. Anderseits könnten schon 49 Punkte reichen, um in die Relegation für den Bundesliga-Aufstieg zu kommen. Dramatik ist in den Wochen bis Mitte Mai weiter garantiert.