Hamburg. Coach Markus Kauczinski setzt im Abstiegskampf auf Kreativspieler. Mentalitätsspieler wären jedoch wohl die bessere Wahl.
Markus Kauczinski brüllte, doch es nützte nichts. Die Fans im Erzgebirgsstadion in Aue waren lauter als er. Cenk Sahin hörte ihn auf der anderen Seite des Spielfelds nicht. Vielleicht, weil er nicht wollte. Stattdessen rannte er, dribbelte – und ließ sich in fast jedem Zweikampf den Ball wegnehmen. Zum Ärger seines Chefs.
Nach 20 Minuten reichte es dem Coach des FC St. Pauli. Er entsandte Torwarttrainer Mathias Hain als Boten für seine Botschaft. Der Weg war weit, vorbei am gegnerischen Fanblock. Angekommen, stützte sich Hain auf eine Werbebande am Rand des Platzes, suchteden Blickkontakt mit dem Flügelspieler und signalisierte ihm, dass er ihn sprechen wolle. Bei der nächsten Spielunterbrechung gab er die Cheftraineranweisung an Sahin weiter. Was immer es war, es half. Der Türke spielte besser, machte weniger Fehler.
Sahin hat seinen eigenen Kopf
Die Szene, die sich am Sonnabend bei St. Paulis 1:2-Niederlage in Aue ereignete, ist beispielhaft für die Beziehung zwischen Sahin und Kauczinski. Auch wenn der Coach nicht gegen 15.000 Zuschauer anbrüllen muss, scheint er Sahin nur mühsam zu erreichen. „Es ist schwer, jemanden dahinzubringen, wo er nicht hinwill“, sagte Kauczinski und benannte sein Problem mit Sahin an diesem Sonntagmorgen im Presseraum an der Kollaustraße deutlich. Schon am Donnerstag zuvor hatte der 48-Jährige auf demselben Stuhl gesessen und sinngemäß das Gleiche gesagt: „Er ist ein Spieler, der seinen eigenen Kopf hat.“
Der 23 Jahre alte Offensivspieler zählt zu den Kreativen. Den Kampf meidet er. „Profitieren wir von seinem kreativen Geist – oder kostet er uns etwas? Das müssen wir bei ihm jedes Mal abwägen“, sagte der Trainer. Und: „Das wird auch so bleiben. Ich erwarte keine Wesensveränderung.“ Diese Aussage wirft zwei wesentliche Fragen auf: Warum ist ein Zweitligaspieler nicht in der Lage, die vom Trainer geforderte Taktik – zumindest annähernd – umzusetzen? Und umgekehrt: Hat womöglich der Trainer noch nicht den richtigen Zugang zu Sahin gefunden?
Schalter umlegen
„Der Trainer wünscht sich vom Spieler eine Verhaltensänderung. Deswegen muss er Vertrauen zu ihm aufbauen“, erklärt Christian Heiss. Der Diplompsychologe hat bereits die Schiedsrichter der beiden Fußball-Bundesligen betreut. „Ob die Ansprache des Trainers eine Wirkung erzielt, entscheidet nur der Spieler. Wenn er die Idee auf dem Platz aufgreift, ist sie angekommen“, sagt Heiss.
Spätestens seit dem vergangenen Wochenende und dem Fall von Platz zehn der Tabelle auf 15 müssen die Hamburger den Schalter in ihren Köpfen auf Abstiegskampf umlegen. Doch Kauczinski sagt auch: „Wir können von Leuten, die andere Dinge in die Wiege gelegt bekommen haben, keinen Kampf verlangen.“ Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre es nahezu existenzbedrohend für den FC St. Pauli. Im Klartext hieße das: Auch die anderen Kreativspieler wie Jeremy Dudziak, Mats Möller Daehli oder eben Cenk Sahin können nicht den nötigen Kampfgeist abrufen, der im Abstiegskampf gefordert wäre.
Auf „Mentalitätsspieler“ setzen
Am Sonnabend (13 Uhr, Millerntor-Stadion) empfängt St. Pauli mit Union Berlin einen weiteren direkten Konkurrenten. Was kann der Trainer im Angesicht der Abstiegsgefahr tun? Es könnte hilfreich sein, auf „Mentalitätsspieler“ wie Lasse Sobiech, Richard Neudecker oder Jan-Philipp Kalla zu setzen. Kein Geheimnis: Kreativspieler rufen ihre Leistung am besten ab, wenn das Team erfolgreich ist. Und das will St. Pauli erst wieder werden.
Kapitän Bernd Nehrig (31) hat seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag beim FC St. Pauli um ein Jahr bis zum 30. Juni 2019 verlängert. Zudem beinhaltet der Kontrakt eine Option für eine weitere Saison.