Alhaurín el Grande. Oke Göttlich spricht im Trainingslager des FC St. Pauli über die zunehmenden Herausforderungen für seinen Club.

Einen Lagerkoller gab es beim FC St. Pauli auch am achten Tag der Vorbereitung auf die verbleibenden 16 Spiele der Zweitligasaison im spanischen Alhaurín el Grande nicht. Das lag vor allem daran, dass sich die Spieler außerhalb des Fußballplatzes gut zu beschäftigen wussten. Torhüter Svend Brodersen klimperte im Foyer des Hotels ein paar Takte auf dem Klavier, beim Mittagessen mischten die erfahrenen Kollegen U-23-Neuling Ersin Zehir Salz in sein Wasserglas, und Mittelfeldakteur Maurice Litka führte Rechtsverteidiger Luca Zander einen Zaubertrick mit Karten vor. Langeweile kommt eben selten auf beim Kiezclub – mal in der einen, mal in der anderen Ausprägung.

Glosse: Frostbeule im spanischen Ferienparadies

Am Montagabend war auch Präsident Oke Göttlich in Südspanien eingetroffen und macht sich seitdem ein Bild von der Lage im Vier-Sterne-Golfresort in der Nähe von Málaga. „Es ist kein Märchen, wenn wir erzählen, wie hervorragend sich die Mannschaft versteht. Das ist eine tolle Voraussetzung für die Arbeit mit Trainer Markus Kauczinski“, sagte der Clubboss am Mittwoch. Erst im November des vergangenen Jahres war der 42-Jährige erneut zum Präsidenten gewählt worden. Es ist seit 2014 Göttlichs zweite Amtszeit bei St. Pauli. Neben den bisherigen Stellvertretern Joachim Pawlik und Jochen Winand sind Christiane Hollander und Carsten Höltkemeyer als neue Vizepräsidenten im ehrenamtlichen Führungsgremium dabei.

Neue Impulse im finanziellen Bereich

„Die Zusammenarbeit ist sehr spannend mit den beiden Neuen, weil man noch einmal in die Reflexion der Arbeit der vergangenen Amtszeit kommt“, berichtete Göttlich. Hollander, die als Mietrechtsexpertin des Vereins „Mieter helfen Mietern“ für das Aufgabenfeld Recht und Mitglieder zuständig ist, vereinbart massig Termine mit dem Präsidium. Göttlich schmunzelt. „Diese Energie habe ich nicht einmal in meiner Anfangszeit vor drei Jahren getoppt.“

Als Geschäftsleiter bei Barclaycard Hamburg gibt Höltkemeyer bei St. Pauli neue Impulse im finanziellen Bereich. „Trotzdem ist das Finanzwesen in einem Fußballverein ein anderes als in einem Unternehmen“, erklärte Göttlich. Der Präsident hält den Fußball in seiner heutigen kommerziellen Form für entfesselt. „Die Geldströme sind nicht mehr nachvollziehbar – sie kommen aus zweifelhaften Quellen“, behauptete er. Es sei nicht gesund, noch mehr Millionen in diesen Sport zu pumpen. Er ist überzeugt: „Die Leistungsfähigkeit steigt nicht exponentiell mit der Summe, die einem Spieler gezahlt wird.“ Das Gegenteil sei der Fall. Die Leidenschaft würde sich nicht über Geld generieren, „sondern Verdienst macht satt“.

Wegfall der 50+1-Regel

Im Zuge der Kommerzialisierung wird es immer schwerer für Vereine wie den FC St. Pauli – dessen Vertreter stets betonen, dass ihr Club anders als andere Proficlubs sei –, auf ihre Werte zu bestehen und sie zu verteidigen. „Die Entwicklung macht es nicht besonders einfach, an seinen Idealen festzuhalten“, gab daher auch Göttlich zu. Gedanklich sei der Kiezclub auf das – aus seiner Sicht – „Worst-Case-Szenario“, also den Wegfall der 50+1-Regel, vorbereitet. „Wir sind nicht blauäugig. Dennoch sind wir wirtschaftlich erfolgreich wie nie und leben unsere Werte wie noch nie“, stellte Göttlich fest.

An Millionenspiel anpassen

Fakt ist: Die Herausforderung, im Profigeschäft erfolgreich zu bleiben, wächst mit jedem Tag. Auch der Kiezclub ist gezwungen, sich an das Millionenspiel anzupassen. „Wir vermarkten unseren Stadionnamen zwar nicht, aber machen einen Ausrüsterdeal mit Under Armour, der kritisch hinterfragt wird, aber richtig und wichtig für den FC St. Pauli ist“, betonte Göttlich.

Auch zur Fananleihe hat sich das Oberhaupt am Rande des Trainingslagers geäußert. In zwei Schüben wurden 2011 insgesamt acht Millionen Euro (erst sechs und dann zwei Millionen Euro) von Anhängern eingesammelt, um einen Teil des Neubaus des Millerntor-Stadions und das neue Trainingszentrum an der Kollau zu finanzieren. Am 1. Juli dieses Jahres wird die Rückzahlung der Anleihe fällig.

Konservative Kaufleute

Allerdings nehmen St. Paulis Verantwortliche bei aller wirtschaftlichen Vorsicht an, dass eine Reihe von Fans ihr geliehenes Geld plus sechs Prozent Zinsen pro Jahr gar nicht zurückhaben, sondern lieber ihre dafür erhaltene Schmuckurkunde behalten möchte. St. Pauli würde in diesem Fall eine womöglich sehr beachtliche Summe einbehalten können. „Jede Anleihe, die nicht zurückgegeben wird, hilft dem FC St. Pauli“, sagte Göttlich, „aber wir sind konservative Kaufleute und haben hundertprozentige Rückstellungen gebildet.“ Das ist auch notwendig, denn die Wertpapierbesitzer haben zwei Jahre lang Zeit, sich anders zu entscheiden und das ihnen zustehende Geld abzurufen. So lange darf der Verein diese Mittel also gar nicht anderweitig, etwa für Transfers, ausgeben.

An diesem Donnerstag (16 Uhr) trifft der FC St. Pauli im zweiten Testspiel der Wintervorbereitung in Coín auf den chinesischen Erstligisten Tianjin Quanjian. Für den Dritten der Chinese Super League stürmt der Ex-Kölner Anthony Modeste, der im Sommer nach Asien wechselte. Nicht bei der Partie dabei sein wird St. Paulis Mittelfeldakteur Johannes Flum. Der 30-Jährige ist aus privaten Gründen am Mittwoch zwei Tage früher aus dem Trainingslager abgereist. Auch Abwehrchef Lasse Sobiech, der bisher nur individuell trainiert hat, kann nicht mitwirken.