Hamburg. St. Paulis Geschäftsführer spricht über seinen Top-Transfer: „Er weiß, dass er ein paar Kohlen draufpacken muss“.
Bis zum 30. September war Andreas Rettig (54), der kaufmännische Geschäftsführer des FC St. Pauli, als Interims-Sportchef für die Zusammenstellung des Zweitligakaders zuständig. Nach sieben sieglosen Spielen, zuletzt zwei hohen Niederlagen und dem Sturz ins untere Tabellendrittel sprach das Abendblatt mit ihm über die Mannschaft und aktuelle Situation.
Hamburger Abendblatt: Sie waren im Sommer als Interims-Sportchef noch verantwortlich für die Zusammenstellung des aktuellen Kaders. Wenn Sie dieses Team heute betrachten, wie bewerten Sie die von Ihnen getätigten Transfers?
Andreas Rettig: Das muss man in einem größeren Zusammenhang betrachten. Über allem steht bei uns die wirtschaftliche Vernunft. Das meiste Geld im Profifußball wird bei Transfers verbrannt, und manchmal auch verdient. Ich habe die beiden Transferperioden im vergangenen Winter und danach im Sommer zu verantworten. Die hängen miteinander zusammen. Tatsache ist, dass wir trotz der sportlich prekären Situation im vergangenen Winter einen finanziellen Transferüberschuss erwirtschaftet haben. Die Mannschaft hat danach mit 34 Punkten die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gespielt. Deshalb haben wir das Team im Wesentlichen so zusammengehalten. Manchmal sind die Transfers die besten, die man nicht tätigt. Im Sommer haben wir erneut ein wirtschaftliches Plus mit unseren Transfers gemacht. Zusammengefasst waren die Transfers im Sommer wirtschaftlich okay, charakterlich sind die drei neuen Spieler top, sportlich haben sie sicherlich Luft nach oben. Das gilt aber für alle anderen Spieler auch.
Sprechen wir doch konkret über die drei Sommerzugänge, zunächst über Stürmer Sami Allagui als prominentesten Transfer. Ist bei ihm besonders viel Luft nach oben?
Rettig: Er ist in der Sommervorbereitung sehr schnell ins Team hineingewachsen. Seine Bilanz für einen Stürmer ist bei unseren Ansprüchen mit seinen drei Pflichtspieltoren nach 16 Punktspielen und einem Pokalspiel nicht zufriedenstellend. Ich traue ihm aber zu, dass er in der Rückrunde, ähnlich wie vor einem Jahr Aziz Bouhaddouz, deutlich mehr treffen wird. Sami hatte manchmal auch kein Spielglück wie bei seinem aberkannten Tor gegen Dresden. Er weiß aber selber, dass er ein paar Kohlen draufpacken muss.
Wie bewerten Sie abgesehen von fehlenden Toren sein Auftreten?
Rettig: Sami ist ein introvertierter Typ. Aber ich weiß, dass er von innen heraus einer ist, der den nötigen Willen hat.
Der aus Würzburg verpflichtete Clemens Schoppenhauer spielt bisher keine Rolle.
Rettig: Clemens hat in der vergangenen Saison 32 Punktspiele bestritten und war jetzt immerhin 14-mal im Kader. Er wusste, dass es schwer für ihn wird, regelmäßig zu spielen. Dass er trotz der Verletzungen von Philipp Ziereis und Marc Hornschuh kaum zum Zuge kommt, tut ihm sicherlich am meisten weh.
Wie sehen Sie den für zwei Jahre von Werder Bremen ausgeliehenen Luca Zander, der zuletzt regelmäßig gespielt hat?
Rettig: Mit seiner Entwicklung sind wir mehr als zufrieden. Er bringt eine starke Physis mit. Dass er als junger Spieler auch mal Fehler macht, liegt nahe.
Wie enttäuscht sind Sie, dass das von Ihnen zusammengestellte Team nun mit sieben sieglosen Spielen und zuletzt zwei herben Niederlagen weit abgerutscht ist?
Rettig: Ich meine, dass dieser Kader nicht auf den Platz gehört, auf dem wir stehen. Die 20 Punkte spiegeln nicht das Leistungsvermögen wider. Mit dieser Bilanz kann man nicht zufrieden sein.
Nachdem Sie Marvin Ducksch im vergangenen Winter nach Kiel verliehen haben, hat er Holstein in die Zweite Liga geschossen und ist jetzt ein Torjäger, wie ihn St. Pauli dringend gebrauchen könnte.
Rettig: Man muss bei der Bewertung von Entscheidungen immer den Zeitpunkt betrachten. Als wir Marvin Ducksch im vergangenen Winter an Kiel verliehen haben, hatte er in zwölf Einsätzen gerade einmal 468 Minuten gespielt, je ein Tor in der Zweiten Liga und im Pokal erzielt. Damals haben nicht viele vorhergesagt, dass er bald in der Zweiten Liga für Furore sorgen wird. Im Sommer war es sein Wunsch, in Kiel zu bleiben, weil er sich dort wohlfühlt und er der Meinung war, dass es für ihn bei uns schwer wird, sich durchsetzen, wenn wir noch einen Stürmer holen.
Wäre jetzt überhaupt Geld für einen Zugang vorhanden. Sie rechnen ja im laufenden Geschäftsjahr aufgrund von Sondereffekten ohnehin mit einem kleinen Verlust.
Rettig: Grundsätzlich sind wir so solide aufgestellt, dass wir Spieler im Rahmen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten verpflichten können, wenn die sportliche Führung dies für richtig hält.
Wie bewerten Sie die aktuelle Lage und die Perspektive der Mannschaft bis zur und nach der Winterpause?
Rettig: Wir werden nach dem letzten Spiel des Jahres wie gewohnt eine Bestandsaufnahme machen. Aber klar ist, dass wir nicht zufrieden sind. Es ist eine Situation, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Da sind bei uns allen die Alarmglocken an. Die beiden letzten Niederlagen waren mehr als der Verlust von sechs Punkten. Das hat uns schon zugesetzt.