Hamburg. Mit morgendlichem Straftraining und einem Ausscheidungskampf um die Startelf-Plätze will St. Paulis Trainer die Krise beenden.
Es war 8.31 Uhr am Morgen des ersten Adventssonntags, als Aziz Bouhaddouz als erster Spieler seiner Mannschaft aus dem Kabinentrakt des FC St. Pauli trat und bedächtigen Schrittes, mit einem Netz voller Bälle über der Schulter, Richtung Rasenplatz ging. Das Wetter hatte sich der aktuellen sportlichen Lage des MillerntorClubs angepasst, bei gerade einmal zwei Grad über null regnete es, dazu zog ein unangenehmer Wind über die Anlage an der Kollaustraße. Die Flutlichtstrahler tauchten den Platz in ein gelbliches Licht, drumherum war es unter der dichten Wolkendecke noch reichlich schummrig.
Nach und nach kamen auch die anderen St.-Pauli-Profis heraus auf den Rasen. Als es noch stockdunkel gewesen war, hatten sie sich zwischen 7 Uhr und 7.30 Uhr im Trainingszentrum eingefunden und um 8 Uhr im Kraftraum die Extraschicht begonnen, die ihnen Cheftrainer Olaf Janßen erst am Tag zuvor verordnet hatte. „Man muss es einfach auch mal fühlen, wenn man nicht mehr in der Komfortzone ist“, sagte Janßen. „Vielleicht regt es ja, wenn um 6.30 Uhr der Wecker klingelt, zum Nachdenken darüber an, was für einen tollen Beruf wir haben. Ich wäre am ersten Advent auch gern einmal zu meiner Familie nach Köln gefahren. Meine Kinder hätten sich bestimmt gefreut.“
In der ursprünglichen Planung war der Sonntag als trainingsfrei vorgesehen. Doch das 0:5 am Freitag bei Arminia Bielefeld, nur fünf Tage nach dem 0:4 in Fürth, hat die Lage derart verändert, dass sich Janßen zu ungewöhnlichen Maßnahmen gezwungen sah.
Die Trainingszeit wird erst am Vortag bekannt gegeben
Das Straftraining am frühen Sonntagmorgen, das rund 100 Minuten dauerte, war nur ein Element dieser Maßnahmen, die dazu dienen sollen, das seit inzwischen sieben Spielen sieglose Team wieder auf Kurs zu bringen. Bis zur Winterpause stehen noch die beiden Heimspiele gegen Aufsteiger MSV Duisburg und den VfL Bochum auf dem Programm. Der Ausgang dieser Spiele wird darüber entscheiden, in welcher Stimmungslage und mit welcher Perspektive das Millerntor-Team ins neue Jahr geht.
Eine zweite Maßnahme ist, dass Janßen seine Trainingsplanung für die anstehende Woche bis zum nächsten Spiel nicht mehr preisgibt. Auch die Spieler erfahren immer erst am Tag vorher, wann sie das nächste Mal erscheinen müssen. An diesem Montag wird es um 14.30 Uhr sein. „Wir werden uns jetzt häufiger sehen, als es üblicherweise der Fall ist“, verriet Janßen immerhin. Das Ziel ist offenbar, dass sich die Spieler voll auf ihren Job konzentrieren sollen und keine Freizeitaktivitäten mehr im Voraus planen können.
Kommentar: Janßens Problem mit der letzten Maßnahme
Dazu kann sich jetzt kein Akteur mehr sicher sein, dass er am kommenden Wochenende spielen wird, es gibt keine Stammplatzgarantien mehr. „Wir haben ab sofort einen Ausscheidungskampf ausgerufen. Es ist ein kleiner Vorteil, dass wir jetzt bis Sonntag Zeit haben, um für das Spiel gegen Duisburg wirklich die elf Spieler zu finden, die körperlich und mental die Stabilität mitbringen, die Karre wieder aus dem Dreck zu ziehen“, kündigte Janßen an. „Ich will nicht an Dingen festhalten, von denen ich nicht mehr überzeugt bin.“
Auch die Torhüter müssen kämpfen
Um so viele Akteure wie möglich in den „Kampf in die Plätze“ einzubeziehen, stellte Janßen außer Torwart Svend Brodersen keinen Spieler seines Kaders mehr für die U-23-Mannschaft ab, bei der zuletzt regelmäßig mindestens fünf Profis an den Punktspielen teilnahmen. „Die Karten werden neu gemischt“, stellte Janßen klar. „Wir wollen diese Gier, die uns zuletzt gefehlt hat, befeuern. Jeder Spieler, der am nächsten Sonntag dabei sein will, weiß jetzt, dass er sich in dieser Woche bei jedem Training beweisen muss und nicht die beleidigte Leberwurst spielen kann.“
In diesen jetzt neu ausgerufenen Ausscheidungskampf ist laut Janßen auch die Position des Torwarts einbezogen. „Wir nehmen keinen aus“, sagte Janßen. Somit kann sich also auch Philipp Heerwagen Hoffnung machen, Robin Himmelmann wieder abzulösen. Mit Heerwagen im Tor hatte St. Pauli in der vergangenen Saison mit 34 Punkten aus 17 Spielen die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gespielt. Im Sommer hatte sich Janßen dafür entschieden, wieder auf Himmelmann zu setzen, der seinen Stammplatz vor einem Jahr zunächst wegen einer Verletzung an Heerwagen verloren hatte.
Neben der Suche nach der richtigen Besetzung für die beiden letzten Punktspiele des Kalenderjahres geht es jetzt auch darum, auf die in den ersten 16 Spielen zutage getretenen Schwachstellen mit personellen Nachbesserungen in der Winterpause zu reagieren. „Es tut der Mannschaft weh, dass wir so wenige torgefährliche Spieler haben“, sagte Trainer Janßen. „Es würde ja naheliegen nachzubessern. Aber noch bin ich im Hier und Jetzt und denke nur an das Spiel gegen Duisburg und nicht an die Winterpause.“ Dann aber räumte der Trainer auch ein: „Natürlich sind wir im Austausch mit Uwe Stöver und Andreas Rettig. Wir haben immer im Blick, wie wir uns auf unsere Spieler verlassen können und wie wir den Kader verstärken können.“
Stöver äußert sich ausweichend
Sollte der Abwärtstrend in den nächsten beiden Spielen nicht gestoppt werden, dürfte auch die Ablösung von Olaf Janßen diskutiert werden. „Das Thema beschäftigt mich nicht, weil ich als Trainer nur an den nächsten Tag denke“, sagte er jetzt zu diesem Thema. „Es gibt mir eine sehr gute Energie, dass hier im Verein miteinander und nicht übereinander geredet wird.“
Zuvor hatte sich Sportchef Uwe Stöver zur Trainerfrage eher ausweichend geäußert. „Es ist nicht die Geschichte eines einzelnen. Wir alle, die mit der Mannschaft arbeiten, sind gefragt. Selbstverständlich werden wir die Situation analytisch betrachten. Dafür werden einige Sitzungen abgehalten werden müssen“, sagte er. Auch das hörte sich nach Zusatzschichten in den kommenden Tagen und Wochen an.
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