Hamburg. Leverkusens Sportchef war Geschäftsführer Rettig verbal angegangen. Was hinter St. Paulis Antrag zur TV-Geldverteilung steckt.

Oke Göttlich hatte es bereits im Sommer im Interview mit dem Abendblatt gesagt: „Der FC St. Pauli ist und bleibt das kritische Gewissen der ersten beiden Bundesligen.“ Dieser Satz des Vereinspräsidenten klang gut, war er doch ganz im Sinne des Selbstverständnisses des Kiezclubs. Was der 39-Jährige, der seit gut einem Jahr an der Spitze des FC St. Pauli steht, konkret damit meinte, ließ er damals noch offen. Er sagte nur: „Wir haben Punkte, mit denen wir nicht einverstanden sind, und die können wir nur artikulieren, wenn wir in der Ersten oder Zweiten Bundesliga spielen. Dazu gehören fankulturelle, politische und verbandsstatutliche Aspekte.“

Jetzt gibt es eine erste große Initiative, die deutlich macht, dass es die Führung des FC St. Pauli ernst damit meint, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Göttlich und der seit dem 1. September amtierende kaufmännische Geschäftsführer Andreas Rettig haben für die Mitgliederversammlung des Ligaverbandes am 2. Dezember in Frankfurt am Main einen Antrag eingereicht, der insbesondere auf eine Neuordnung der Fernsehvermarktung abzielt. Konkret geht es darum, dass die Proficlubs, die von der allgemein gültigen 50+1-Regel ausgenommen sind, künftig keine oder zumindest spürbar weniger Gelder aus der zentralen TV- und Werbe-Vermarktung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) erhalten sollen. Dies würde jetzt die zu 100 Prozent von den Konzernen Bayer und Volkswagen getragenen Bundesligaclubs Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg sowie die TSG Hoffenheim betreffen, an der Dietmar Hopp als Mäzen und Investor die Mehrheit hält. Von 2017 an könnte Hannover 96 dazukommen, wenn Unternehmer Martin Kind die Mindestmarke von 20 Jahren als Unterstützer des Vereins erreichen wird und dann ebenfalls die Mehrheit erwerben könnte.

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Alle anderen 32 Clubs der beiden höchsten deutschen Fußballligen unterliegen der genannten 50+1-Regel, die in Kurzform besagt, dass Unternehmen und Privatpersonen nicht die Mehrheit an einem Verein oder der Spielbetriebsgesellschaft übernehmen dürfen. Beim HSV zum Beispiel halten Klaus-Michael Kühne 7,5 Prozent und Helmut Bohnhorst 1,5 Prozent an der HSV Fußball AG.

Nicht nur der Führung des FC St. Pauli ist es seit Langem ein Dorn im Auge, dass im deutschen Profifußball die drei Vereine Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim erheblich von der für sie geltenden Ausnahmeregelung profitieren. So könnten sie problemlos teure Spieler verpflichten, ohne sie aus den laufenden Einnahmen bezahlen zu können. Das am Ende des Geschäftsjahres entstandene Millionen-Minus würde dann der Mehrheitsbesitzer ausgleichen und könnte dies dann auch noch steuerlich als gewinnmindernd geltend machen. Gleichzeitig bekäme der Verein, obwohl er weit über seine Verhältnisse gelebt hat, keine Probleme mit der Lizenzerteilung.

St. Pauli will 50+1-Regel stärken

Der Antrag des FC St. Pauli zielt nun darauf ab, die Clubs, die sich an die 50+1-Regel halten müssen, zu stärken. Dabei steht der Vorschlag im Raum, beim Verteilungsschlüssel der Fernseh- und zentralen Werbegelder (Adidas-Ligaball, Hermes, Krombacher) nicht nur die sportlichen Platzierungen der vergangenen fünf Jahre zugrunde zu legen, sondern auch all jene Clubs, die sich an die 50+1-Regel halten, mit einem Bonus zu bedenken und damit in diesem Punkt besserzustellen als die sogenannten Werksclubs.

Dem Vernehmen nach geht es der Führung des FC St. Pauli, der allein seinen rund 22.000 Mitgliedern gehört, darum, die 50+1-Regel zu stärken und für möglichst viele Clubs attraktiv bleiben zu lassen. Hintergrund ist, dass die heute gültige Mindestfrist von 20 Jahren, in denen ein Investor einen Verein unterstützt haben muss, ehe er die Mehrheit erwerben kann, willkürlich gewählt und keinesfalls in Stein gemeißelt ist. Hannovers Mäzen und Präsident Martin Kind hatte diese Frist erreicht, als er gegen die 50+1-Regel geklagt hatte. St. Pauli und andere Clubs sehen die Gefahr, dass künftig durch weitere Klagen diese Frist deutlich verkürzt werden könnte.

Am Montag waren St. Paulis Präsident Göttlich und Geschäftsführer Rettig intensiv damit beschäftigt, die heftigen Reaktionen der betroffenen Clubs einzuordnen und mit deren Verantwortlichen sowie den Vertretern möglicher verbündeter Clubs zu sprechen. Die „Aufkündigung der Solidargemeinschaft“ werfen Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und Hannover dem FC St. Pauli vor. „Für die gesamte Bundesliga wäre es eine schädliche Entwicklung, die die Grundwerte des Erfolgs des deutschen Profifußballs in Gefahr bringen würde“, sagte Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs. „Unüberlegt, substanzlos und nicht mehrheitsfähig“, nannte Martin Kind den Antrag. Leverkusens Sportchef Rudi Völler sagte: „Das ist ein typischer Rettig. Er macht ein bisschen auf Schweinchen Schlau.“ Was wiederum Rettigs Kolleginnen und Kollegen von der Geschäftsstelle zum Anlass für ein kleines Geschenk nahmen - ein Bild der tierischen Comicfigur im St.-Pauli-Dress:

Traditionsclubs wie Eintracht Frankfurt und der HSV sollen den Vorschlag übrigens nicht so abwegig finden, zumal sie selbst schon, wie auch Borussia Dortmund, eine Neuverteilung der TV-Gelder angeregt haben.