Hamburg. Beim 0:1 gegen Union Berlin übertraf sich St. Paulimit Slapstickeinlagen. Trainer Lienen kritisiert die Zusammenstellung des Angriffs.

Beginnen wir mit einer Quizfrage. Nach welchem Spiel im Jahr 2015 sagte St. Paulis Trainer Ewald Lienen folgenden Satz? „Wir haben das Spiel dominiert, aber der letzte Pass hat gefehlt und durch individuelle Fehler haben wir uns um den Lohn gebracht.“ Antwort A: Sandhausen? B: Fürth? C: 1860 München? D: Aue? E: FSV Frankfurt? Oder F: Union Berlin? Die richtige Antwort lautet: ABCDEF. Und nein, Lienens Platte hatte bei der jeweiligen Analyse keinen Sprung. Der Trainer hatte alle aufgezählten Spiele relativ treffend analysiert. Drei Punkte hat der FC St. Pauli aus diesen sechs Partien geholt. Mindestens elf Punkte hätten es sein können, würde der Club vom Millerntor nicht in fast schon beeindruckender Zuverlässigkeit seine persönliche Pannenserie fortsetzen.

Vorläufiger Höhepunkt des wöchentlichen Slapstickschauspiels war die 0:1-Niederlage der Hamburger am Freitagabend bei Union Berlin. Nach einem höhepunktarmen Abend mit spielerischen Vorteilen für St. Pauli sah es bis zur letzten Minute alles nach einem leistungsgerechten Unentschieden aus. Bis es zur folgenschweren Szene kam, die St. Paulis Torhüter Robin Himmelmann am Sonnabend wie folgt beschrieb: „Ich bekomme den Rückpass von Sören, nehme den Ball mit und will ihn nach vorne schlagen, dann springt er hoch, ich komme nur ein paar Meter weit und Polter kann ins leere Tor einschießen.“

Himmelmann postet Erklärungsvideo

Die Erklärung, warum der Ball hochgesprungen war, lieferte Himmelmann mit einem Videoausschnitt auf seiner Facebook-Seite. Darin war noch einmal deutlich zu sehen, dass nach dem Rückpass von Sören Gonther und Himmelmanns Ballmitnahme ein unebenes Rasenstück dafür sorgte, dass der Torhüter das Spielgerät im entscheidenden Moment nicht treffen konnte, das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Als er wieder aufrecht stand, konnte er nur noch mit ansehen, wie der Schuss von Sebastian Polter über die Linie rollte. „Das ist natürlich äußerst bitter, da wir zu dem Zeitpunkt kaum noch Reaktionszeit hatten, um das Spiel noch zu drehen. Es tut mit unglaublich leid für die Mannschaft, dass wir nach diesem Spiel mit leeren Händen dastehen“, sagte Himmelmann nach einer unruhigen Nacht. Trainer Lienen haderte nach der Niederlage mit höheren Mächten. „Ich weiß nicht, was wir verbrochen haben, aber wir müssen das akzeptieren.“

Erst vor einer Woche hatte sich St. Pauli durch einen Kopfballquerschläger von Sebastian Maier vor dem 1:1-Ausgleich des FSV Frankfurt um den ersten Heimsieg des Jahres gebracht. Lasse Sobiech und Gonther vergaben zudem Riesenchancen fahrlässig. Genau wie Ante Budimir in Sandhausen, John Verhoek gegen Fürth, Lennart Thy bei 1860 oder Christopher Nöthe gegen Aue. Und dann war da ja noch das kuriose Eigentor von Gonther in München, das dazu führte, dass St. Pauli bei nur einem gegnerischen Torschuss mit 1:2 verlor. Bis auf den 2:0-Sieg in Braunschweig übertreffen sich die Hamburger von Woche zu Woche in einer fatalen Mischung aus Unglück und Unvermögen. Wer so verliert, steigt ab, könnte man floskeln. Das Pech ist jetzt aufgebraucht, wäre eine andere Sichtweise. In jedem Fall ist sich Lienen trotz Platz 18 sicher: „Wenn wir so weiterarbeiten, haben wir das Recht, in der Liga zu bleiben.“

Lienen kritisiert die Offensive

Damit dieses Vorhaben gelingt, muss St. Pauli ein Problem beheben, das mit keinem Pech der Welt zu erklären ist: die offensive Harmlosigkeit. Die Mannschaft ist nicht in der Lage, das Glück auf der eigenen Seite zu erzwingen. „Wir hätten in einigen Szenen entschlossener abschließen müssen, da waren wir zu verspielt“, sagte Lienen über die Angriffsbemühungen seiner Mannschaft. Was an der Alten Försterei erneut deutlich wurde: St. Paulis Offensivspieler sind defensiv stark eingebunden, auf dem Weg nach vorne wirken die Aktionen dadurch oft schwerfällig und umständlich. Die einzige Sturmspitze, sei es Nöthe oder Verhoek, hängt meist in der Luft und bekommt kaum brauchbare Zuspiele. „Wir haben keine klassischen Außenstürmer“, sagt Lienen und übt gleichzeitig Kritik an der Einkaufspolitik zu Saisonbeginn. „Für mich ist das im Nachhinein in der Zusammenstellung des Kaders ein bisschen komisch. Wir haben lauter kopfballstarke Stürmer. Wenn man solche Stürmer hat, muss man auch die entsprechenden Außenspieler dazu holen. Daran krankt unser Spiel“, sagt Lienen.

An seinen Mittelstürmern hält der 61-Jährige weiter fest. „Wenn wir 20 Flanken in den Strafraum hauen, wird ein John Verhoek auch drei Tore machen. Aber das kriegen wir im Moment nicht hin.“ U19-Stürmer Nico Empen, mit 16 Treffern Toptorjäger der A-Junioren Bundesliga Nord, sei für Lienen noch keine Option. „Es geht jetzt nicht darum, junge Burschen reinzuwerfen. Es geht darum, aus unserer Dominanz heraus Torchancen zu produzieren.“

Union hatte am Freitag kaum Chancen. Lienen sagte deshalb, Polter hätte den Ball fairerweise daneben schießen sollen. „Ich hätte es gemacht“, sagte Lienen, nicht ganz ernst gemeint. Seine Stürmer, und das ist bei St. Paulis Slapstickspezialisten durchaus ernst gemeint, hätten in dieser Situation vermutlich danebengeschossen.