Holger Stanislawski will aktuell nicht in den Trainerjob zurückkehren. Stattdessen hat er große Pläne im Supermarkt. Endgültig abgehakt ist der Fußball jedoch noch nicht.
Hamburg. Braun gebrannt vom Toskana-Urlaub, mit blauem Poloshirt und Jeans kommt Holger Stanislawski daher. Eine Tasse Kaffee in der Hand, ein paar lockere Sprüche und viele Umarmungen – es scheint, als sei der Mann mit der Glatze und dem breiten norddeutschen Akzent nie weg gewesen. Weg von seiner Bühne, den Stadien dieser Republik, dem Millerntor, dem Trainingsgelände an der Kollaustraße. Doch an diesem Freitagmorgen ist Stanislawski tatsächlich weit weg vom grünen Rasen auf bislang fremdem Terrain unterwegs. In die Dorotheenstraße in Winterhude haben er und Ex-HSV-Profi Alexander Laas geladen, um sich als neue Inhaber des Rewe-Centers vorzustellen. „Stanislawski und Laas GmbH“ wird ab Ende Oktober draußen an den Eingangstüren zu lesen sein.
Supermarkt statt Trainerbank, mit diesem ungewöhnlichen Wechsel hatte der frühere St. Paulianer in den vergangenen Tagen bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. „Moin, moin, es ist schon ein bisschen her, dass ich eine Pressekonferenz miterleben durfte“, eröffnet Stanislawski im ehemaligen Straßenbahndepot, wo heute auf 6200 Quadratmetern Lebensmittel verkauft werden. Es gehe nicht darum, 500 Käsesorten auswendig zu kennen, dafür habe er qualifiziertes Personal, referiert der Fußballlehrer mit Jahrgangsbestnote 1,3 munter. Er und Laas wollen „diesem Laden ein persönliches Gesicht geben, ein paar Umbauten vornehmen“ und, da verfällt er erstmals wieder in den Fußballjargon, „mit unseren Mitarbeitern zusammen das Bestmögliche herausholen“. Schnell wird klar: Dieser Mann meint es wirklich ernst.
Seit Monaten laufen bereits die Planungen für die Privatisierung des Rewe-Marktes mit den Ex-Profis, die eine sechsstellige Summe investieren – und künftig das Risiko für den Supermarkt tragen. 80 Prozent der Gelder kommen von Stanislawski und Laas, 20 Prozent übernimmt der Lebensmittel-Gigant. Kontakt zu Rewe bekam Stanislawski während seines Traineramtes beim 1. FC Köln, wo der Konzern Hauptsponsor ist. Für mehr als 100 Mitarbeiter ist das Duo nach einer dreimonatigen Einarbeitungszeit zuständig, kümmert sich um Personalplanung und auch Warenbestand. „Hamburg steht für Kaufleute, und wir wollen gute Kaufleute werden“, sagt Stanislawski. Ob man Wurst und Käse künftig bei ihm bestellen kann? „Wir wollen auch bei den Mitarbeitern mitlaufen und uns überall einen Überblick verschaffen. Man wird uns hier täglich sehen. Wenn morgens um sechs Uhr die Warenlieferungen kommen, haben wir auch die Verpflichtung, mal vor Ort zu sein“, erklärt der 44-Jährige.
Noch vor wenigen Wochen war der Mann, der 18 Jahre lang für den FC St.Pauli als Spieler, Trainer, Vizepräsident und Sportchef tätig war, als neuer Coach des Bundesliga-Absteigers 1. FC Nürnberg im Gespräch. Fränkische Medien meldeten bereits eine Einigung, ehe kurz darauf ein Scheitern der Verhandlungen offiziell wurde. „Nürnberg war hochinteressant, doch ein paar Kleinigkeiten passten nicht“, sagt Stanislawski. Ein endgültiger Abschied aus dem Trainergeschäft soll sein Engagement im Supermarkt zwar nicht sein, doch vorerst wird er nicht auf die Suche nach einem neuen Club gehen.
„Ich setze mich derzeit mit der Situation Fußball überhaupt nicht auseinander“, sagt Stanislawski deutlich. „Es gibt nicht mehr so viele Projekte, die für mich interessant sein könnten.“ Dann streift er den Kaufmann noch einmal kurz ab und lässt Trainer Stanislawski flachsen: „Wenn der FC Barcelona einen Trainer sucht, der sie zur Meisterschaft führen soll, dann wäre ich trotz meines neuen Jobs in der Lage, dies zu werden. Der Profifußball ist nicht gänzlich abgehakt.“ Die beruflichen Interessen des Menschenfängers Stanislawski, der Fans und Spieler auf St. Pauli stets begeisterte, haben sich verschoben. „Es gibt auch mal eine Zeit nach dem Fußball, ich habe 21 Jahre in diesem Geschäft gearbeitet“, sagt er.
Mehr als ein Jahr lang hatte sich Stanislawski nach seinem Ausscheiden beim 1. FC Köln im Mai 2013 zurückgezogen, Interviewanfragen und öffentliche Auftritte abgelehnt. Gerüchte, er habe nach dem frühen Aus in Hoffenheim 2012 nach nur sieben Monaten und dem turbulenten Jahr in Köln einen Burn-out erlitten, machten die Runde. Dies sei nicht der Fall gewesen, stellt der frühere Verteidiger klar. „Jeder weiß, dass ich bei St. Pauli den Selbstmordversuch meines Spielers Andreas Biermann miterlebt habe. Mit Begriffen wie Depressionen oder Burn-out wandelt man auf einem schmalen Grat. Davon war gar nichts“, sagt er.
Dass ihn das einjährige Engagement in Köln mitgenommen hatte, wird jedoch schnell klar, als Stanislawski erstmals öffentlich auf seinen Abgang zurückblickt. Eine neue Mannschaft hatten er und seine Assistenten André Trulsen und Klaus-Peter Nemet zusammengestellt. Ein Jahr des Umbruchs war ausgerufen worden, doch als man den Aufstieg als Fünfter knapp verpaste, hagelte es trotzdem Kritik am Coach. „Als wir den Aufstieg nicht geschafft hatten, wurde alles kritisch beäugt. Sobald in der neuen Saison irgendetwas nicht funktioniert hätte, wäre negative Stimmung aufgekommen, das wollte ich nicht“, erklärt er seinen freiwilligen Abschied. „Ich wollte mich nicht so wichtig nehmen und habe die Entscheidung für den Verein und die Mannschaft getroffen.“ In der Folgezeit hospitierte er bei Bayer Leverkusen und entwickelte in Hamburg die Idee, Kaufmann zu werden. Auch ein Restaurant sei ihm angeboten worden, Freunde hatten die Idee, er solle ein Café eröffnen. „Aber da wäre ich sofort pleite, weil ich alles selbst austrinken würde“, scherzt Kaffee-Liebhaber Stanislawski. Nun also ein Supermarkt. Dort sieht er gar Parallelen zur Trainertätigkeit. „Es war immer eine Qualität von mir, Menschen und eine Gruppe führen zu können“, berichtet er. „Doch hier ist der Druck ganz anders. Viele unserer Mitarbeiter sind mehr als 30 Jahre dabei, wir haben eine hohe Verantwortung ihnen gegenüber.“
Egal ob über Vereine oder seinen Rewe-Markt, Stanislawski spricht stets von Projekten. Diese müssen ihn reizen, dann ist er mit viel Hingabe dabei. So war es früher bei St. Pauli, und so, das wird an diesem Vormittag in Winterhude klar, ist es auch diesmal. Eine Salatbar wollen sie einrichten, eine Bedienungsabteilung für Bio-Obst, die Weinabteilung solle vergrößert werden, auch den Getränkemarkt will er umstrukturieren und eine Ruhezone für alte Menschen einrichten. Stanislawski hat große Pläne. Schlussendlich sei dies auch nicht anders als beim Fußball, sagt er dann noch. „Du wählst deine Spieler aus, schaust, wo du personell noch etwas machen musst und überlegst, mit welcher Taktik wir spielen.“
Ein paar Fotos in der Gemüseabteilung, Händeschütteln mit Kunden, dann verschwindet Stanislawski im Gewühl des Einkaufsalltags. Es scheint, als habe er nie etwas anderes gemacht.