Christopher Nöthe und Bernd Nehrig kamen vom Absteiger Greuther Fürth zum FC St. Pauli. Am Millerntor haben sie neue Lust auf Fußball.

Hamburg Mit der Spielvereinigung Greuther Fürth erlebten Bernd Nehrig, 26, und Christopher Nöthe, 25, ein frustrierendes Jahr in der Fußball-Bundesliga. Ohne Heimsieg stiegen sie als Tabellenletzter ab. Beim FC St. Pauli sucht das Duo nun einen Neuanfang. Das Abendblatt traf die neuen Hoffnungsträger zum Interview.

Hamburger Abendblatt: Herr Nehrig, Herr Nöthe, in sechs Tagen steht der Saisonstart gegen 1860 München am Millerntor an. Wissen Sie eigentlich noch, wie sich ein Heimsieg anfühlt?

Bernd Nehrig: Es war tatsächlich sehr frustrierend, mit Fürth in der Bundesliga ein Jahr lang fast nur zu verlieren. Wir waren jahrelang eine Heimmacht – dann kein Spiel zu gewinnen war enttäuschend. Da will ich jetzt schnell aus dieser Negativbilanz herauskommen und viele Siege am Millerntor feiern.

Christopher Nöthe: Die Vorfreude auf den Start ist bei mir enorm, weil man so lange kein Spiel mehr zu Hause gewonnen hat. 20.30 Uhr, Flutlichtspiel – da brennt jeder Fußballer drauf. Ich kann es kaum erwarten, hier aufzulaufen, die Fans zu hören. Wir beide haben lange Zeit vermisst, nach vorne gepeitscht zu werden. Das will ich genießen und dann hoffentlich die ersten Punkte holen.

Sie kannten das Millerntor beide schon als Gegner. Überwog damals Freude oder Angst vor dieser Kulisse?

Nöthe: Die Stimmung war schon für uns als Gegner immer extrem beeindruckend. Selbst wenn wir gewonnen oder unentschieden gespielt haben, sind wir mit Applaus verabschiedet worden. Das war immer ein starkes Gefühl, das ich so noch bei keinem Verein erlebt habe.

Nehrig: Ich habe immer Gänsehaut gehabt, mich vorher riesig darauf gefreut. Man wusste einfach, die Hütte ist voll, die Stimmung wird super sein, und wenn wir ein gutes Spiel machen, wird man uns und unsere Fans trotzdem fair behandeln. Gute Leistungen wurden einfach immer gewürdigt. Ich erinnere mich noch gut daran, als St. Pauli in Fürth 2010 in die Bundesliga aufgestiegen ist und sechs- bis achttausend Fans dabei waren – einfach nur Wahnsinn. Das hat mich dazu bewegt zu sagen: Für den Verein will ich auch spielen!

Sie kennen Sportchef Rachid Azzouzi schon aus Fürther Zeiten. Was ist sein Geheimnis, dass Sie ihm gefolgt sind?

Nöthe: Wir wissen natürlich, wie er arbeitet, was er sich vorstellt. In Fürth hat schon alles gepasst, weil er eine super Truppe zusammengestellt hat und das Umfeld stimmte. Das verspreche ich mir hier natürlich auch. In den Gesprächen mit ihm wurde deutlich, dass er bei St. Pauli etwas aufbauen möchte, und da war mir klar, dass ich Teil dieses Projekts sein will.

Nehrig: Ich kenne Rachid seit sechs Jahren. Da weißt du als Spieler genau, wie er tickt. Wenn er mir etwas zugesagt hat, dann hat er sich immer zu 100 Prozent daran gehalten. Daher weiß ich, dass seine Pläne nicht nur dahingesagt sind, sondern er das so umsetzen will.

Sie sind mit Greuther Fürth 2012 aufgestiegen, weil man über Jahre hinweg eine Mannschaft formen und entwickeln konnte. Bei St. Pauli befindet man sich in einer Phase des Umbruchs. Was kann der Club von Fürth lernen?

Nöthe: Für Fürth war es der erste Aufstieg. Da waren alle Beteiligten ein bisschen unerfahren. St. Pauli hat ja eine ganz andere Geschichte, man braucht sich hier von niemandem etwas abschauen.

Nehrig: Wir haben schon gesehen, dass hier alle richtig gut Fußball spielen können. Wichtig ist es jetzt, dass wir zu 100 Prozent zusammenfinden, eine intakte Mannschaft bilden. Dann bringt das auch die Ergebnisse mit sich. Da brauchen wir nicht zu schauen, was andere Spieler schon mit anderen Clubs erlebt haben. Hier zählt nur der FC St. Pauli.

Hat St. Pauli grundsätzlich bessere Voraussetzungen als Fürth?

Nöthe: Das denke ich schon allein aufgrund der Fankultur. Hier ist einfach alles noch professioneller. Dieses Stadion, vor 30.000 Zuschauern zu spielen, das ist eine andere Dimension als in Fürth.

Nehrig: Für die Mannschaft kann es viel ausmachen, ob du 30.000 Zuschauer im Rücken hast oder eben nur 10.000. Die Mannschaft Fankultur, Stadion, Trainingsgelände – das alles macht bei St. Pauli einen sehr guten Eindruck. Jetzt muss sich mit diesem Umbruch alles finden, dann können wir perspektivisch einiges daraus machen.

Sie sollen tragende Säulen des neuen FC St. Pauli werden. Herr Nehrig, warum ist Herr Nöthe die erhoffte Sturmverstärkung?

Nehrig: Chris ist jetzt im perfekten Fußballalter. Er hat in der Zweiten Liga schon gezeigt, dass er im Sturm ein echter Eisbrocken ist. Er hat vor dem Tor extreme Qualitäten, arbeitet hart und bereitet den Abwehrspielern viel Stress. Er braucht nur ein, zwei Kontakte bis zum Torabschluss – ein echter Goalgetter. Auch wenn das letzte Jahr für uns nicht gut verlief, bin ich mir sicher, dass Chris in dieser Saison etliche Tore machen wird.

Und warum wird Herr Nehrig Stabilität in St. Paulis Abwehr bringen, Herr Nöthe?

Nöthe: Ich kenne Bernd seit vier Jahren und habe ihn immer geradlinig und ehrlich erlebt. Das sieht man dann auch in seinem Spiel, er lässt auf der rechten Abwehrseite wenig anbrennen. In unserem Aufstiegsjahr in Fürth war er einer der besten Außenverteidiger der Liga, ist aber auch nach vorne gefährlich und kann Tore schießen.

Herr Nehrig, Sie waren Torwart, Stürmer, Mittelfeldspieler und nun Rechtsverteidiger. Ziemlich ungewöhnlich.

Nehrig: Als ich angefangen habe, Fußball zu spielen, war ich noch zu jung für die F-Jugend. Da hat der Trainer gesagt: ‚Okay, stell dich ins Tor.‘ Das war mir aber schnell zu langweilig. Beim VfB Stuttgart wurde ich in der Jugend dann so ausgebildet, dass ich nicht auf eine Position festgelegt bin. Die meisten Spieler sind heute in der Lage, mehrere Positionen zu spielen.

Ihr Wechsel bringt auch eine neue Stadt mit sich. Herr Nöthe, Sie haben in der Jugend für Borussia Dortmund, Schalke 04, Rot-Weiß Oberhausen und den VfL Bochum gespielt. Wie gefällt es einem Kind des Ruhrgebiets in Hamburg?

Nöthe: Hamburg ist schon riesig. Ich bin in Castrop-Rauxel groß geworden, da ist natürlich alles etwas kleiner. In meiner ersten Woche hier bin ich nur mit dem Navi herumgefahren, weil ich gar nicht wusste, wohin. Jetzt kenne ich aber schon die ersten Stadtteile, bin an einem freien Tag mit dem Fahrrad um die Alster gefahren. Ich fühle mich bislang sehr wohl und habe in Eppendorf auch schon eine Wohnung gefunden.

Herr Nehrig, Sie haben Ihr gesamtes Leben bislang im Süden der Republik verbracht. Wie kommen Sie mit der kühlen Mentalität der Hamburger zurecht?

Nehrig: Ich empfinde die Mentalität überhaupt nicht als kühl, im Gegenteil. Ich bin gebürtiger Heidenheimer, war lange in Stuttgart und zuletzt im Frankenland. Dort sind die Leute viel verschlossener, gehen nicht auf jemanden zu. Ich habe oft gehört, die Menschen im Norden seien mehr auf Abstand bedacht, aber das Gefühl habe ich gar nicht. Als ich das erste Mal in Hamburg beim Frisör oder beim Einkaufen war, haben sich die Leute mit mir unterhalten, als wäre ich seit 15 Jahren Stammgast. Das war beeindruckend.

Die Sommerpause war für die Zweitliga-Clubs extrem kurz. Haben Sie überhaupt schon wieder Lust auf Fußball?

Nehrig: Eine Saison wie die letzte zerrt natürlich an den Nerven und kratzt an deinem Selbstvertrauen. Daher war es wichtig, auch mal abzuschalten und vom Fußball wegzukommen und den Urlaub zu genießen. Aber nach zwei Wochen war ich dann mit dem Kopf auch schon in Hamburg und habe mich gedanklich mit den neuen Jungs beschäftigt. Jetzt kommt ein Neuanfang!

Nöthe: Ich hatte nur 14 Einsätze in der letzten Saison. Als ich unterschrieben habe, war die Vorfreude daher schon groß. Ich habe zwar auch etwas Urlaub gemacht, aber habe mich tierisch gefreut, als das Training losging. Ich brenne darauf und habe wieder richtig Lust auf Fußball.