Hamburg. Anzeichen eines Wechsels des EM-Stars und früheren Hamburgers Onana verdichten sich. HSV würde profitieren – mit Folgen.

Für einen kurzen Moment surfte Amadou Onana auf einer Euphoriewelle. Nach seiner Kopfballvorlage auf Romelu Lukaku im EM-Spiel gegen die Slowakei streckte der Mittelfeldspieler die Zunge heraus und animierte die belgischen Fans zu einem lauteren Torjubel.

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer, denn der Treffer zählte nicht wegen einer hauchzarten Abseitsstellung. Nachdem der Videoschiedsrichter auch den zweiten Treffer Lukakus kassiert hatte, biss Onana einmal kräftig auf seine Unterlippe. Seine persönliche EM-Premiere hatte sich der 22 Jahre alte frühere Hamburger anders ausgemalt. Gegen die als Außenseiter gehandelten Slowaken um HSV-Profi Laszlo Benes, der 90 Minuten auf der Bank saß, erlebte Turniermitfavorit Belgien einen Fehlstart.

Ex-HSV-Profi Onana vor Wechsel

Und dennoch konnte Onana die große EM-Bühne für sich nutzen. Mit seiner Spielübersicht und den unverkennbaren langen, schlaksigen Schritten war der defensive Mittelfeldstratege noch einer der Besten einer enttäuschenden belgischen Auswahl. Für den ehemaligen HSV-Profi, der in der Saison 2020/21 für ein Jahr in der Hansestadt spielte, ist die Europameisterschaft eine gute Gelegenheit, sich in die Notizbücher der internationalen Scouts des europäischen Spitzenfußballs zu spielen.

Denn die Anzeichen verdichten sich, dass Onana seinen Stammverein FC Everton in diesem Sommer verlassen wird, wovon auch der HSV finanziell profitieren würde. Das liegt zum einen daran, dass sich der 1,95-Meter-Mann nach zwei Jahren in Liverpool bereit für den nächsten Karriereschritt fühlt. Darüber hinaus, und dieser Grund wiegt womöglich schwerer, benötigt der Premiere-League-Club dringend einen hohen Millionenbetrag – und zwar bis Ende des Monats.

Finanznot: Everton muss Onana wohl verkaufen

Um die Auflagen der Liga zu erfüllen und den dritten Punktabzug binnen eines Jahres zu vermeiden, muss Everton bis zum 30. Juni einen zweistelligen Millionenbetrag auftreiben. Weil die „Toffees“ bereits vor einem Jahr die im Dreijahreszeitraum 2019/20 bis 2022/23 maximal erlaubte Verlustgrenze in Höhe von 105 Millionen Pfund (rund 122 Millionen Euro) überschritten hatten, waren dem Club in zwei Etappen insgesamt acht Punkte abgezogen worden. Das Urteil erwies sich als gehörige Hypothek, die Everton zwischenzeitlich in Abstiegssorgen versetzt hatte. Dank drei Siegen in Folge im April schloss der neunmalige Meister die Saison auf einem respektablen 15. Platz ab.

Doch exakt einen Monat nach dem Saisonende sind die Geldsorgen schon wieder groß. Aktuell steuert Everton erneut auf einen Verstoß gegen die Rentabilitäts- und Nachhaltigkeitsregeln der Premier League (PSR) zu. Um eine weitere Sanktion zu verhindern, will der seit 71 Jahren in der höchsten englischen Spielklasse vertretene Club nun einen seiner Stars verkaufen.

Als Kandidaten, um für den erhofften Erlös zu sorgen, gelten Innenverteidiger Jarrad Branthwaite (21), Stürmer Dominic Calvert-Lewin (27) und eben Onana. Für den frisch gebackenen, aber nicht für die EM nominierten englischen Nationalspieler Branthwaite soll Manchester United eine Offerte von 35 Millionen Euro abgegeben haben. Doch Everton lehnte ab, bezeichnete das Angebot als inakzeptabel und hofft, bis Ende des Monats eine lukrativere Offerte zu erhalten.

Arsenal zeigt das größte Interesse an Onana

Hinzu kommt, dass Trainer Sean Dyche den hochveranlagten Branthwaite mit aller Macht halten will. Während das Abwehrjuwel als Schlüsselspieler in den Plänen des Coaches gilt, war Onana in den entscheidenden drei Spielen im April, in denen der Klassenerhalt gelang, außen vor. Als es darauf ankam, kam der Belgier nur auf insgesamt 27 Spielminuten.

Deshalb sollen sich die Verantwortlichen in Everton einig sein, vorzugsweise den ohnehin wechselwilligen Onana zu verkaufen, um sowohl Branthwaite als auch Calvert-Lewin zu halten. Das größte Interesse am technisch versierten Onana soll momentan der FC Arsenal hinterlegt haben. Dem Vernehmen nach gab es am vergangenen Freitag eine erste Kontaktaufnahme der „Gunners“ mit Everton.

Arsenals Trainer Mikel Arteta soll zwar begeistert von der Spielweise des Belgiers sein. Doch es gibt Zweifel, ob der Club bis Ende des Monats überhaupt in der Lage ist, das aufgerufene Preisschild von 50 Millionen Pfund (59 Millionen Euro) zu bezahlen. Denn auch die Londoner müssen aufpassen, die PSR-Regeln der Premier League einzuhalten.

Bekommt HSV mehr als zwei Millionen für Onana?

Für den HSV wäre es ein Glücksfall, sollte Onana für die kolportierte Summe den Verein wechseln. Wie das Abendblatt erstmals vor exakt einem Jahr berichtete, hatte sich der HSV 2021 beim Verkauf von Onana an den OSC Lille (sieben Millionen Euro) eine 20-prozentige Weiterverkaufsklausel bei jedem weiteren Transfer gesichert. Somit steht den Hamburgern ein Fünftel der Summe der Franzosen zu.

Ein Rechenbeispiel: Sollte Everton Onana tatsächlich für 59 Millionen Euro verkaufen, bekäme Lille 11,8 Millionen Euro dieser Summe. Davon stünden dem HSV 2,36 Millionen Euro zu.

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Mit dem Geld könnten die Hamburger eine Finanzlücke schließen, die durch die um zwei Millionen Euro geringeren Einnahmen aus der TV-Vermarktung (15,5 Millionen Euro) aufgekommen ist. Zudem entgehen dem HSV rund 1,4 Millionen Euro, weil der ukrainische Meister Schachtar Donezk seine internationalen Heimspiele nicht erneut im Volksparkstadion austragen wird.

Da der Gehaltsetat von 24 Millionen Euro nicht gekürzt werden soll, steht der Club vor Herausforderungen, die durch eine Transferbeteiligung für Onana schnell bewältigt wären. Wie ausgelassen der Jubel dann wohl im Volkspark ausfallen würde?

  • Der HSV bestreitet am 13. Juli (17 Uhr) ein Testspiel beim Drittliga-Absteiger VfB Lübeck.