Hamburg. HSV hofft auf satten Nachschlag. Finanzielle Situation wurde stark verbessert. Erstmals kein Transferplus erforderlich.

Wenn sich die belgische Nationalmannschaft am Montag südlich von Brüssel in Tubize trifft, wird Amadou Onana (21) fehlen. Der ehemalige Profi des HSV ist zwar bereits am Donnerstag im Vorbereitungscamp eingetroffen. Doch statt sich mit dem A-Kader auf die beiden EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich (17. Juni) und Estland (20. Juni) vorzubereiten, trainiert Onana aktuell auf dem daneben gelegenen Rasenplatz mit der U-21-Auswahl seines Heimatlandes.

Denn der Mittelfeldspieler des Premier-League-Clubs FC Everton soll das belgische Nachwuchsteam bei der U-21-EM (21. Juni bis 8. Juli) in Georgien und Rumänien als Kapitän zum Titel führen. Ob er anschließend noch einmal nach Liverpool zurückkehren wird, ist ungewiss. Denn Onana will den nächsten Schritt auf der Karriereleiter gehen, nachdem er sich in seiner erfolgreichen Debütsaison auf der Insel auf Anhieb zum Stammspieler entwickelte und großen Anteil am Last-Minute-Klassenerhalt Evertons hatte.

Seine erneuten Wechselabsichten hängen vor allem mit seinen Ambitionen im belgischen Nationalteam zusammen. Denn ungeachtet der U-21-EM hat sich Onana unter dem deutschen Trainer Domenico Tedesco einen Stammplatz bei den „Roten Teufeln“ erspielt. Um diesen zu verteidigen, will der hochtalentierte Mittelfeldabräumer am liebsten auch auf Vereinsebene international spielen.

HSV: Millionen-Überraschung bei Onana

An Interessenten am 1,95-Meter-Schlaks mangelt es derweil nicht. Dem Vernehmen nach werden sich in diesem Sommer der neureiche Premier-League-Vierte Newcastle United, Manchester United (3.), FC Arsenal (2.) und der FC Chelsea, der als enttäuschender Zwölfter allerdings nicht international vertreten ist, ein Wettbieten um Onana liefern.

Das aufgerufene Mindestgebot des FC Everton liegt bei umgerechnet 70 Millionen Euro. Eine Summe, die für Otto Normalverbraucher längst nicht mehr greifbar ist, für die schwerreichen Besitzer der genannten Clubs allerdings nicht mehr als ein Spielgeld darstellt.

Was aber hat all das mit dem HSV zu tun? Die Antwort: eine ganze Menge. Eine millionenschwere Menge. Als Onana vor zwei Jahren nach nur einer Saison in Hamburg für sieben Millionen Euro zum damaligen französischen Meister OSC Lille wechselte, handelte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt eine spezielle Klausel aus, die nun zum unverhofften Millionensegen führen könnte.

Onana: Weitere 2,8 Millionen für HSV?

Bekannt war bislang nur, dass sich der HSV eine 20-prozentige Weiterverkaufsbeteiligung sicherte, die vor einem Jahr für Einnahmen von fast sechs Millionen Euro sorgte, als Everton Onana für 36 Millionen Euro von Lille verpflichtete.

Neu ist, dass diese Klausel nach Abendblatt-Informationen auch bei jedem weiteren Transfer Onanas wirksam wird. Im Klartext bekommt der HSV mit jedem Wechsel des Belgiers 20 Prozent der Summe Lilles. In Anbetracht der aktuell kolportierten Ablösesumme könnte diese Vertragskonstellation nun zu einer beträchtlichen Einnahme des Zweitligisten führen. Zumal die Franzosen mit Everton ebenfalls eine 20-prozentige Weiterverkaufsbeteiligung ausgehandelt haben.

Ein Rechenbeispiel: Sollte Onana für 70 Millionen Euro wechseln, bekäme Lille 14 Millionen Euro dieser Summe. Davon stünden dem HSV 2,8 Millionen Euro zu. Viel Geld für einen Zweitligisten.

Sollte es tatsächlich zu einem Transfer in dieser Größenordnung kommen, würde Onana hinter Nigel de Jong (18 Millionen Euro) auf Platz zwei der teuersten Spielerverkäufe der Hamburger Vereinsgeschichte klettern. „So eine Klausel über mehrere Stationen ist möglich, sie kommt aber nicht häufig vor“, sagt ein Brancheninsider, der anonym bleiben will, dem Abendblatt zur Einordnung des Deals.

Neue Transfersituation beim HSV für Boldt

Momentan rechnen die Verantwortlichen im Volkspark zwar noch nicht mit dieser zusätzlichen Geldspritze. Klar ist aber, dass sie im Fall der Fälle erheblichen Einfluss auf die finanzielle Planung für diesen Sommer nähme.

Denn der HSV wäre nicht gezwungen, seine Schulden mit der Mehreinnahme zu tilgen. Vielmehr dürfte Boldt die Summe eins zu eins in den Kader investieren. Wie das Abendblatt erfuhr, sind die Hamburger erstmals in ihrer nun schon fünfjährigen Zweitligahistorie für die Finanzierung der neuen Saison nicht auf Transfererlöse angewiesen.

Boldt braucht erstmals kein Transferplus

Anders als vor einem Jahr, als Josha Vagnoman nach zähen Verhandlungen mit dem VfB Stuttgart für 3,7 Millionen Euro, und damit weit unter der ursprünglich aufgerufenen Wunschvorstellung von sieben Millionen Euro, verkauft werden musste, hat Boldt diesmal nicht den Auftrag, Leistungsträger zu veräußern. Er muss auch kein Transferplus erwirtschaften, so wie es in der Zweiten Liga bislang fast immer der Fall war.

Zum Vergleich: Direkt nach dem Abstieg 2018 betrug das Transferplus 17,2 Millionen Euro. 2019 waren es 13 Millionen Euro. Es folgten 2,5 Millionen Euro (2020) und 4,7 Millionen Euro (2021), ehe vor einem Jahr dank der ersten Nachzahlung für Onana das Ziel einer schwarzen Null auf dem Transfermarkt erfüllt wurde.

Diesmal hat sich der HSV vorgenommen, nachhaltig in entwicklungsfähige Spieler zu investieren, um die qualitative Lücke zu den Bundesligisten, aber vor allem zu den prominenten Absteigern Schalke 04 und Hertha BSC zu schließen.

HSV-Boss Huwer: Finanzen „sehr, sehr gut“

Es ist eine neue Situation im Volkspark, die möglich wurde, weil sich in der abgelaufenen Saison alle Erlösfelder positiv entwickelten: Merchandising, Gastronomie, VIP-Bereiche, Eintrittskarten – überall wurde mehr Geld in die Kassen gespült. Außerdem bescherte die Relegation dem HSV wie vor einem Jahr zusätzliche 1,5 Millionen Euro, und es wurden die Gehälter weiter reduziert. Dadurch peilt der Club sogar einen höheren Bilanzgewinn an als vor einem Jahr (eine Million Euro).

„Wir werden dieses Geschäftsjahr profitabel abschließen“, sagte Finanzvorstand Eric Huwer vor einer Woche im Haushaltsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. „Unser Eigenkapital ist auf 35 Millionen Euro angewachsen, und wir haben den niedrigsten Schuldenstand seit 15 bis 20 Jahren“, freute sich der HSV-Manager über die positiven Zahlen.

Zudem wurden seit 2022 jeweils im März planmäßig zehn Prozent der 17,5 Millionen Euro schweren Fan-Anleihe aus 2019 zurückgezahlt, und auch die Tilgung des Schuldscheindarlehens (40 Millionen Euro) aus 2016 verläuft wie vereinbart. „Wir haben uns in eine sehr, sehr gute wirtschaftliche Ausgangssituation manövriert, auch im Vergleich zu unseren Wettbewerbern“, sagte Huwer im Rathaus.

HSV: Höherer Etat dank Onana?

Die wirtschaftliche Situation des HSV soll noch nie besser gewesen sein, seit der heutige Vorstand vor neun Jahren als damaliger kaufmännischer Leiter und späterer Finanzdirektor seine Arbeit aufnahm. Da auch die Business Seats und Logen für die neue Saison nahezu ausverkauft sind, wird der HSV erneut beste finanzielle Voraussetzungen schaffen, um das Saisonziel diesmal zu erreichen.

Mit welchem Etat die Hamburger aufsteigen wollen, ist derweil noch völlig offen. Bei den bereits kursierenden Zahlen handelt es sich lediglich um Spekulationen. Klar ist nur, dass der HSV in der Lage ist, die bisherigen 22 Millionen Euro aufzustocken.

Die genaue Summe hängt maßgeblich davon ab, ob und für welche Ablöse Leistungsträger wie Ludovit Reis, dessen Ausstiegsklausel von 7,5 Millionen Euro bislang kein Verein bereit ist zu zahlen, den Club noch verlassen. Und ob Onanas Wechsel frische Millionen in die Kasse spült.