Hamburg. Vor dem Duell mit Kumpel Filip Bilbija spricht der HSV-Profi über ihre Freundschaft, Lehrgeld und den plötzlichen Tod von Cousin Agy.

Es war am vergangenen Sonntag, da stand Ransford Königsdörffer plötzlich vor Filip Bilbija und grinste. „Nach dem Spiel in Hannover habe ich vor dem Mannschaftsbus noch mit meinem Vater geredet, als auch Ransi noch dazukam“, sagt der Neu-Paderborner Bilbija, der sich über das unverhoffte Wiedersehen freute. „Ransi hatte sich das Spiel angesehen, weil Hannovers Kolja Oudenne einer seiner besten Freunde ist.“ Natürlich hätten dann auch Königsdörffer und er die Chance genutzt, ein bisschen zu quatschen– und sich zum Abschied für den kommenden Freitag zu verabreden.

Denn am Freitag empfängt Bilbija mit dem SC Paderborn Königsdörffer und den HSV. 18.30 Uhr. „Für mich ist das Spiel gegen den HSV etwas Besonderes“, sagt Bilbija, der Ex-Hamburger. Ein Jahr spielte der gebürtige Berliner für den HSV. 13 Einwechselungen, ein Tor, das war’s.

HSV: Königsdörffer und Bilbija sind dicke Kumpel

„Ich betrachte die Zeit beim HSV insgesamt als sehr lehrreich“, sagt Bilbija heute. Gerne hätte er mehr gespielt, gerne hätte er sich durchgesetzt. „Die mentale Herangehensweise, trotzdem alles im Training zu geben, hat mich stärker als Mensch und Fußballer gemacht“, sagt er heute. Aber: „Natürlich waren die Phasen, in denen ich wenig gespielt habe, hart für mich.“

Kumpel Königsdörffer weiß genau, wovon sein früherer Mannschaftskollege da spricht. Knapp zwei Stunden nach dem Gespräch mit Bilbija sitzt Königsdörffer frisch geduscht in einem Besprechungszimmer in den Katakomben des Volksparkstadions. „Schade, dass es für ihn bei uns nicht so gepasst hat. Aber manchmal liegt es nur an Kleinigkeiten“, sagt er. „Wenn Filip damals am ersten Spieltag ein Tor gemacht hätte, dann hätte er wahrscheinlich danach viel mehr Spielzeit bekommen, mehr Selbstvertrauen und hätte vielleicht noch mehr getroffen.“

Auch Königsdörffer hat eine schwere Phase hinter sich

Wenn-dann-Logik im Konjunktiv.

„Manchmal ist der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg ganz schmal…“, sagt Königsdörffer auch noch. Im Indikativ. Und kaum einer aus der HSV-Mannschaft weiß das besser als er. Denn genau wie Kumpel Bilbija hat auch Königsdörffer eine lange Durststrecke hinter sich.

Unter Walter durfte Königsdörffer nie durchspielen

„Ich hatte eine lange Phase, in der es nicht einfach für mich war. Ich habe nicht viel gespielt, nicht gut gespielt und ich habe nicht erfolgreich gespielt. Das beschäftigt einen natürlich.“ Unter Ex-Trainer Tim Walter reichte es für Königsdörffer ähnlich wie zuvor für Bilbija nur zum Joker. Bis zu Walters Beurlaubung nach dem 21. Spieltag durfte Königsdörffer kein einziges Mal über 90 Minuten spielen, sechs Partien durfte er immerhin starten, im Schnitt stand er unter Walter 32 Minuten pro Spiel auf dem Platz.

„Ich habe mich zwischendurch mit einem möglichen Wechsel beschäftigt“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt ehrlich. „Ich war jung, wollte spielen, habe nicht viel gespielt. Als junger Spieler ist man da ungeduldig.“

Unter Baumgart wurde Königsdörffer zum Stammspieler

Doch dann kam alles anders. Nicht Königsdörffer wechselte, sondern der HSV wechselte. Den Trainer. Walter ging, Steffen Baumgart kam. Und plötzlich wurde Königsdörffer vom Joker zum Stammspieler. Nun durfte er achtmal von Anfang an spielen, kam pro Partie auf die doppelte Spielzeit.

„Die Worte des Trainers pushen mich sehr“, sagt der wieder gebrauchte Torjäger – und erklärt: „Er sagt einfache Sachen, die man als Stürmer auch beherzigen kann. Zum Beispiel hat er mir geraten, mir als Ziel kein Tor zu setzen, sondern zunächst einmal, den Ball einfach aufs Tor zu bekommen. Wenn der Torwart den dann nicht festhalten kann, dann staubt vielleicht zum Beispiel Bobby ab. Und auch so eine Aktion steigert dann natürlich das Selbstbewusstsein.“

Fußball gut, alles gut.

Königsdörffers Cousin Agy verstarb plötzlich

Oder doch nicht? Worüber Königsdörffer bislang noch nie so richtig öffentlich gesprochen hat, ist, dass genau in jener Zeit der plötzliche Tod seines Cousins Agyemang Diawusie ihn ganz schön zusetzt hat. „In dieser Phase hatte ich sehr mit dem Tod meines Cousins zu kämpfen. Da rücken Dinge in den Hintergrund, die zuvor sehr, sehr wichtig erschienen.“

Der gerade einmal 25 Jahre alte Fußballprofi starb im vergangenen November „an einem plötzlichen Herztod, mutmaßlich ausgelöst durch einen viralen Infekt mit Verdacht auf Herzmuskelentzündung“, wie dessen damaliger Club Jahn Regensburg bekannt gegeben hatte.

Königsdörffer konnte es zunächst nicht glauben

An den Anruf, als er von dem Tod seines Cousins erfuhr, kann sich Königsdörffer noch gut erinnern. Es war gegen 13 Uhr, als er die Nachricht erhielt „Das konnte ich erst einmal gar nicht glauben. Ich habe dann meinen Onkel angerufen, der bereits beim Bestatter war und am Telefon nur geweint hat. Dann musste ich auch weinen.“ Königsdörffer sagte das Training ab, fuhr nach Hause – und trauerte.

„Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen. So etwas kann man nicht verstehen“, sagt der Wahl-Hamburger, der fast jeden Tag mit seinem Cousin Kontakt hatte. In der gemeinsamen Dresdner Zeit hätten sie „von 600 Tagen mindestens 555 Tage zusammen verbracht“, sagt er. „Ich denke noch jeden Tag an ihn. Ich weiß aber auch, dass Agy uns jetzt vom Himmel beobachtet und auf uns aufpasst. Da bin ich mir ganz sicher.“

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Diawusies Tod hat das Leben des gläubigen Christen Königsdörffer auf den Kopf gestellt – und gleichzeitig seinen Blickwinkel geweitet. „Perspektiven ändern sich“, sagt der 22-Jährige, für den natürlich Fußball noch immer wichtig ist. Aber Familie und Freunde sind wichtiger.

Zum Beispiel auch Kumpel Filip Bilbija. „Filip ist einer der liebsten Menschen, die ich kenne“, sagt Königsdörffer. „Natürlich freue ich mich sehr, dass wir uns am Wochenende wieder treffen.“

Königsdörffer freut sich auf Wiedersehen mit Bilbija

Es geht um Fußball, um Sieg, Niederlage, um drei Punkte – und für den HSV vielleicht sogar um die letzte Chance, doch noch über die Relegation aufsteigen zu können.

Man kann sagen, dass es um alles geht. Nur nicht um Leben oder Tod. Bilbija weiß das – und Königsdörffer weiß das. Und noch eines weiß er: Cousin Agy wird von oben aus zuschauen. Ganz sicher.