Hamburg. Der HSV-Coach begann seine Trainerlaufbahn in Magdeburg und erlebte einen Tiefpunkt. Warum er keine Emotionen mehr verspürt.

Zwei seiner 52 Lebensjahre hat Steffen Baumgart an der Elbe verbracht. Nicht in Hamburg, sondern in Magdeburg. Der heutige HSV-Trainer war 2008 nicht nur für ein Jahr als Spieler beim 1. FC Magdeburg in der Regionalliga aktiv, sondern begann dort auch ein Jahr später seine Karriere als Cheftrainer. 14 Jahre danach kommt es nun zum Wiedersehen in Sachsen-Anhalt.

Baumgart aber versuchte am Dienstagmittag gar nicht erst, seine Rückkehr am Sonntag (13.30 Uhr) mit dem HSV nach Magdeburg zu einem emotionalen Ereignis aufzuladen. „Es gab wichtigere Stationen und andere Vereine, zu denen ich eine emotionalere Bindung habe“, sagte Baumgart recht trocken nach dem Trainingsauftakt der Magdeburg-Woche.

Baumgart wurde in Magdeburg entlassen

Dass der HSV-Trainer heute lieber über seine Ex-Clubs Hansa Rostock, Union Berlin, den SC Paderborn oder den 1. FC Köln spricht, dürfte auch mit seinem Ende in Magdeburg zu tun haben. Nach nur einem Jahr wurde Baumgart im März 2010 trotz anderer Absprachen von seiner Aufgabe beim FCM entbunden. „Ich war von jetzt auf gleich ohne Trainer-Job“, sagte der Rostocker vor zwei Jahren in einem Interview mit der „Sportbild“.

Für Baumgart sollte diese Entlassung ein für seine Karriere einschneidendes Ereignis werden. Wie der Trainer im Rückblick erzählte, konnte er sich damals plötzlich nicht mehr die Kosten von 20.000 Euro für den Fußballlehrer-Lehrgang des Deutschen Fußball-Bundes leisten. „Die finanziellen Reserven waren schnell aufgebraucht. Ich war damals ganz unten“, sagte Baumgart 2022 bemerkenswert offen über den Tiefpunkt seiner schon langen Karriere als Spieler und Trainer im Profifußball.

Steffen Baumgart als Spieler beim FC Magdeburg im Gespräch mit Schiedsrichter Lutz Wagner.
Steffen Baumgart als Spieler beim FC Magdeburg im Gespräch mit Schiedsrichter Lutz Wagner. © Imago

Der frühere Stürmer war zwar in der Bundesliga für Hansa Rostock und den VfL Wolfsburg aktiv, doch von Gehältern, wie sie heute im Profifußball gezahlt werden, konnte Baumgart Mitte der 90-er Jahre nur träumen. Auch später führte er ein normales Leben ohne Luxus. Entsprechend riss das Aus in Magdeburg ein finanzielles Loch in Baumgarts Berufslaufbahn. „Zum damaligen Zeitpunkt war ich nicht mehr kreditwürdig. Meine Frau hat für unsere Familie das Geld verdient“, erzählte Baumgart in der „Sportbild“.

Ein Freund finanzierte Baumgart den DFB-Lehrgang

Dass er neun Jahre später mit Paderborn als Trainer in der Bundesliga landete, hat Baumgart vor allem Hans-Peter Finkbeiner zu verdanken, einem befreundeten Modeunternehmer. Dieser lieh ihm damals die Kosten für den DFB-Lehrgang. „Wenn ich ihn nicht gehabt hätte, dann wäre ich am Ende vielleicht Busfahrer geworden oder Lkw-Fahrer“, sagte Baumgart später über seinen Freund Finkbeiner. „Ich bin auch froh, dass ich ihm später alles wieder zurückgeben konnte.“

Bis Baumgart als Trainer durchstartete, sollte es nach diesem Schlüsselmoment aber noch dauern. Zwei Jahre nach seinem Aus in Magdeburg ging es zunächst als Co-Trainer bei Hansa Rostock weiter, ehe er zwischen 2014 und 2016 als Chef die Berliner Amateurclubs SSV Köpenick-Oberspree und den Berliner AK 07 betreute. Den Durchbruch schaffte Baumgart dann beim SC Paderborn, den er ab 2017 innerhalb von zwei Jahren von der Dritten Liga in die Bundesliga führte.

Es war ein langer und steiniger Weg, den Baumgart vor allem mit harter Arbeit bestritt. Erfolg ist kein Glück, lautet eines seiner Mottos. Zu Beginn seiner Trainerkarriere übertrieb er es in Magdeburg allerdings mit seinem Ehrgeiz. Er habe beim damaligen Regionalligisten mitunter zu hart trainieren lassen, sagte Baumgart mal im „Bild“-Podcast „Phrasenmäher“.

Glatzel wohl noch keine Option für die Startelf

Heute nimmt der Fußballlehrer mehr Rücksicht auf seine Spieler. Kann ein Profi die Hauptbelastungstage unter der Woche nicht mitmachen, ist er für Baumgart am Wochenende keine Startelfoption. So wie im Fall von Stürmer Robert Glatzel, der auch zum Wochenauftakt am Dienstag nur individuell trainierte und daher am Sonntag in Magdeburg voraussichtlich nur als Einwechselspieler infrage kommt. Im Gegensatz zu Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt, der die komplette Einheit absolvierte und beim FCM nach drei Wochen sein Comeback geben könnte.

Eines hat sich unter Baumgart aber bis heute nicht verändert: Er setzt auch beim HSV auf Vollgasfußball. Und dafür braucht er fitte Spieler. Seine Spielweise ist ein anderer Ansatz als noch unter Tim Walter, dessen Fußball dem von Magdeburgs Chefcoach Christian Titz ähnelte. Der ehemalige HSV-Trainer setzt auch im Abstiegskampf mit dem FCM auf konsequenten Ballbesitzfußball – trotz aller Kritik, die Titz zuletzt mal wieder nach dem 0:7 beim Karlsruher SC entgegenschlug, als Magdeburg gleich mehrfach im Spielaufbau patzte und den KSC zu Gegentoren einlud.

Baumgart trifft auf Ex-HSV-Trainer Titz

Auch gegen den HSV wird Titz sehr wahrscheinlich bei seinen Prinzipien bleiben. Baumgart weiß, was auf ihn zukommen wird. „Magdeburg ist die Mannschaft mit dem meisten Ballbesitz in der Liga, hat einen ganz klaren spielerischen Ansatz und nicht umsonst gegen St. Pauli gewonnen“, sagte der Trainer am Dienstag.

Über seine Vergangenheit in Magdeburg will Baumgart diese Woche nicht mehr viele Worte verlieren, über die nahe Zukunft am Sonntag in der MDCC-Arena schon eher. „Ich glaube schon, dass es ein offenes Spiel wird“, sagt der HSV-Coach über die Begegnung bei seinem Ex-Club. „Gegen uns könnten sie Räume finden, wenn wir sie zulassen. Umgekehrt genauso“, sagt Baumgart.

Dass der Trainer seine Vergangenheit in Magdeburg in dieser Woche nicht thematisieren will, hat neben seiner schmerzhaften Entlassung auch mit der sportlichen Lage beider Clubs zu tun. Sowohl beim HSV als auch in Magdeburg ist der Druck enorm, beide brauchen für ihre jeweiligen Ziele drei Punkte. Baumgart erwartet ein emotionales Spiel. Da bedarf es für ihn keine weiteren Emotionen.

Wenn Baumgart am Sonntag in Magdeburg mit dem Mannschaftsbus am Stadion vorfährt, wird er aber womöglich noch einmal an das Jahr 2010 denken, als die Bundesliga als Trainer für ihn deutlich weiter entfernt war als eine weitere Berufslaufbahn als Busfahrer.