Hamburg. Spielaufbau, Strafraumbesetzung, Positionswechsel: Der neue Cheftrainer möchte mehrere Elemente aus dem alten Walter-System verändern.

Einsam ist Steffen Baumgart in dieser Woche nicht – aber der HSV-Trainer hatte schon mal deutlich mehr Menschen auf dem Trainingsplatz am Volkspark um sich herum versammelt. Neben seinen Co-Trainern Merlin Polzin und Loic Favé, die in dieser Woche für den Pro-Lizenz-Lehrgang am DFB-Campus in Frankfurt (Main) weilen, zum Auswärtsspiel bei Fortuna Düsseldorf am Freitag (18.30 Uhr) aber rechtzeitig zurück sind, fehlen derzeit fünf Spieler des Profikaders im Mannschaftstraining.

Innenverteidiger Stephan Ambrosius hat Schambeinprobleme, Torwart Daniel Heuer Fernandes eine Erkältung samt Fieber und bei Linksaußen Jean-Luc Dompé, Linksverteidiger Miro Muheim sowie Rechtsverteidiger William Mikelbrencis hüllt sich der HSV in Schweigen. Nur so viel stellte Baumgart klar: „Die fünf werden am Freitag definitiv nicht dabei sein.“

HSV News: Baumgart benötigt Zeit für die Systemumstellung

Trotz der Ausfälle ergeben sich Taktik und Startaufstellung nicht von allein. Ohnehin benötigt Baumgart, der seit zweieinhalb Wochen im Amt ist, noch Zeit, um seine Vorstellungen durchzusetzen.

Klar wurde bei den ersten beiden Baumgart-Heimspielen gegen die SV Elversberg (1:0) und den VfL Osnabrück (1:2) bereits, wie der HSV gegen den Ball agieren will. Vorne sollen Stürmer Robert Glatzel und der offensive Mittelfeldspieler Immanuel Pherai die gegnerische Abwehrkette aggressiv anlaufen, die weiteren Offensivspieler Anspielstationen zustellen. „Die Ausrichtung bleibt dieselbe, wir wollen vorne hoch und aggressiv anlaufen. Aus den möglichen Ballgewinnen wollen wir noch viel mehr profitieren, als wir das in den vergangenen beiden Spielen gemacht haben“, sagte Baumgart am Mittwoch.

Fragezeichen gibt es im Offensivspiel

Fragezeichen gibt es allerdings im eigenen Offensivvortrag. Das finden auch Robert Molthan und Benedikt Lehmann, die sich beim Online-Blog „Rautenball“ intensiv mit der HSV-Taktik auseinandersetzen. „Den größten Optimierungsbedarf sehe ich unter Baumgart im Spiel mit dem Ball“, sagt Molthan, der viele Jahre als Torhüter in der Ober- und Landesliga aktiv war. Gemeinsam mit Lehmann, einem hauptberuflichen Sozialwissenschaftler, spricht der Uefa-B-Lizenz-Inhaber im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ über die taktischen Feinheiten des neuen Baumgart-Systems – wobei dieses noch nicht eindeutig zu erkennen ist.

„Es gibt immer noch Elemente von Tim Walter im HSV-Spiel. Derzeit vermischen sich beide Systeme“, sagt Molthan. Dies führte zuletzt gegen Osnabrück mitunter dazu, dass Achter wie Ludovit Reis plötzlich – wie einst von Walter gefordert – zur Außenlinie abkippten, während Außenverteidiger wie Noah Katterbach – wie nun von Baumgart gefordert – ihre Außenposition hielten und nicht für Reis ins Zentrum auswichen. Die Folge war, dass die Mitte unbesetzt war und sich die Spieler außen auf den Füßen standen.

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Am deutlichsten wird der Unterschied zwischen Walters und Baumgarts Ansätzen im Spielaufbau. Während der Torhüter unter Walter aktiv in den Spielaufbau eingebunden war, die Innenverteidiger somit breit standen und die Außenverteidiger hochschieben konnten, verfolgt Baumgart einen konservativeren Ansatz. „Die Außenverteidiger positionieren sich häufig sehr tief und flach. So können sie aber keine Breite in der Offensive schaffen“, sagt Lehmann, der sich vor allem auf die Spiel-Datenanalyse fokussiert hat.

Innenverteidiger sollen ihre Position im Spielaufbau konsequent halten

Zudem will Baumgart verhindern, dass ein Innenverteidiger – wie von Walter gefordert – im Spielaufbau in den Sechserraum zieht, wo Jonas Meffert daraufhin Platz machen musste. „Bei der Positionierung der Spieler wurde eine deutliche Veränderung vorgenommen“, sagt Molthan. „Baumgart möchte ein sehr direktes Spiel durch das Zentrum haben.“ Linienbrechende Pässe, die gerne auch vom Innenverteidiger oder Sechser direkt in die Angriffsreihe gespielt werden und dann auf die offensiven Mittelfeldspieler abgelegt werden sollen, sind dabei wichtig.

Probleme gibt es allerdings, wenn Gegner wie Osnabrück tief stehen – und zwischen den Ketten dummerweise kaum Platz ist. Auch die Fortuna dürfte trotz des Heimspiels erneut in der eigenen Hälfte auf den HSV warten. „Düsseldorf ist eine Mannschaft, die nicht nur sehr gut tief verteidigt, sondern auch ein überragendes Umschaltspiel hat“, sagte Baumgart. „Ich gehe davon aus, dass wir viel Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte haben werden.“

HSV: Glatzel hängt bei Baumgart zu sehr in der Luft

Auffällig war zuletzt, dass Stürmer Robert Glatzel gegen Elversberg und Osnabrück kaum zu Abschlüssen kam. Obwohl 28 von 31 Flanken in diesen Spielen nicht den eigenen Mann trafen, lag die Ursache laut Baumgart dafür aber auch in Glatzels falscher Positionierung. Der Angreifer verlässt gerne die torgefährliche Zone, um sich weiter hinten am Ballvortrag zu beteiligen.

„Wir müssen dahinkommen, dass viele andere gute Jungs das für ihn machen können“, sagte Baumgart, der offen ließ, ob er bereits in Düsseldorf mit seiner angestrebten Doppelspitze agieren wird. „Zwei Spitzen bedeutet nicht gleich, dass man in der Offensive mehr Torchancen hat. Man muss auch die Räume besetzen.“

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Eine Einsatzgarantie gab der Trainer derweil Laszlo Benes, der nach seiner Rot-Sperre wieder spielbereit und auch als Standardschütze vorgesehen ist. Gut möglich, dass der Slowake eine defensivere Rolle an der Seite von Sechser Meffert einnehmen wird. „Es kann sein, dass wir mit zwei Sechsern agieren werden“, sagte Baumgart. „Es kann aber auch sein, dass wir mit einem Sechser agieren und mit zwei oder drei Spielern vorne ins Anlaufen kommen. Das hängt auch davon ab, was Düsseldorf uns anbietet.“

Denn auch die Fortuna dürfte sich vorher ihre taktischen Gedanken gemacht haben.