Hamburg. Neuer HSV-Trainer euphorisiert die Fans. Mit welchem System und welcher Herangehensweise er den Zweitligisten zum Aufstieg führen will.

Und plötzlich hatte Steffen Baumgart die Lacher auf seiner Seite. Ob sich mit dem Wechsel zum HSV ein Traum für ihn erfüllt habe, wurde der neue Trainer des Zweitligisten gefragt, der kein Geheimnis aus seinen Emotionen machte. „Ja, das ist einfach so“, antwortete der 52-Jährige zunächst noch recht sachlich bei seiner offiziellen Vorstellung.

Wann immer er gefragt wurde, welche Ziele er in seiner Karriere verfolge, habe er den Club aus dem Volkspark als den „größten Schritt“ bezeichnet, sagte der langjährige HSV-Fan, der schon als Spieler unbedingt für Hamburg spielen wollte. „Wenn du dich als Kind einmal für einen Verein entschieden hast, dann ist klar, dass man häufiger die Frau als den Verein wechseln wird“, sagte Baumgart und löste ein freudiges Lächeln unter den Medienvertretern im proppenvollen Presseraum aus.

HSV-Trainer Baumgart entfacht eine Euphorie

Schon bei seinem ersten Auftritt als HSV-Trainer stellte Baumgart mit seiner authentischen Art unter Beweis, die Menschen auf seinem Weg mitnehmen und eine neue Euphorie entfachen zu können.

Ein weiteres Beispiel gefällig? Als der Ex-Bundesligatrainer des 1. FC Köln knapp zwei Stunden später die lange Treppe am Volksparkstadion zu seiner ersten Einheit hinunterging, wurde er von rund 400 Fans mit frenetischem Applaus empfangen. Die anwesenden Kiebitze füllten den kompletten Zuschauerbereich am Trainingsplatz neben der Arena. Spätestens in diesem Moment wurde greifbar, wie Baumgart einen ganzen Verein und bis auf einen Stadtteil auch eine gesamte Stadt hinter sich vereinen kann.

HSV-Trainer Baumgart: Ich bin nicht hier, weil ich Fan bin

Die Freude über seine Verpflichtung wird auch beim kommenden Heimspiel gegen Aufsteiger SV Elversberg zu spüren sein. Baumgart weiß allerdings auch, dass Sympathie alleine nicht reichen wird für die Rückkehr in die Bundesliga. „Ich bin nicht hier, weil ich Fan bin, sondern weil man mir zutraut, das eine oder andere positiv zu lösen“, stellt der gebürtige Rostocker klar. Er will nun vor allem eins: arbeiten. „Das Ziel ist klar, da müssen wir nicht drum herumreden: der Aufstieg“, sagte Baumgart, der diesen Erfolg bereits 2019 mit dem SC Paderborn erreicht hat.

Nach schwankenden Leistungen unter Ex-Coach Tim Walter sowie dem enttäuschenden Auftritt unter Interimstrainer Polzin in Rostock (2:2) war der HSV von der Mission Aufstieg zuletzt etwas abgekommen. Polzin rückt nun zurück in die zweite Reihe als einer von drei Co-Trainern.

Komplettiert wird der Trainerstab durch Torwartcoach Sven Höh, Loic Favé und Baumgarts langjährigem Assistenten René Wagner, der in der offiziellen Pressemitteilung des Clubs nicht erwähnt wurde, obwohl er bei der Einheit am Nachmittag auf dem Platz stand. „René ist wichtig für meine Arbeit“, sagte Baumgart und ergänzte, bezogen auf die erforderliche Vertragsauflösung Wagners beim 1. FC Köln: „Das ist gelöst.“

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Baumgart, ein Freund von Offensivfußball

Zu lösen gibt es auch für Baumgart einiges. Nach zuletzt elf Gegentoren in vier Spielen soll der neue Mann vor allem die Defensive stabilisieren, ohne der Mannschaft ihre Stärke im Angriff zu nehmen. „Wer meine Spiele beobachtet hat, der wird selten ein Zu-null-Spiel erlebt haben“, deutete Baumgart schon mal an, dass auch er für Offensivspektakel stehen will. „Aber es wird darum gehen, sich drei oder vier Torchancen mehr zu erarbeiten. Das zeichnet diese Mannschaft auch aus.“

Eine „180-Grad-Drehung“, wie Sportvorstand Jonas Boldt am Dienstag erneut betonte, soll es auch unter Baumgart nicht geben. „Steffen Baumgart ist für seine emotional-mitreißende Art bekannt. Es gilt, das Feuer, das wir entfacht haben, weiter aufrechtzuerhalten und unseren Weg zielgerichtet fortzusetzen“, sagte der Manager, der von der Mannschaft „Leidenschaft, Energie, Fleiß und Arbeit“ erwarte.

Baumgarts Hauptaufgabe in den ersten Tagen wird zweifelsohne sein, den verunsicherten Spielern mehr Selbstvertrauen zu vermitteln, damit sich die Fehler minimieren. „Es hängt viel von der Kommunikation ab. Das bedeutet aber nicht, dass ich mit jedem direkt nacheinander Einzelgespräche führen werde“, erklärte der HSV-Coach seine Herangehensweise, mit der er Vertrauen aufbauen will. „Es geht darum, den Jungs das Gefühl zurückzugeben, eine Spitzenmannschaft zu sein.“

Wie das gelingen soll? „Ich versuche, die Jungs zu begeistern, Spaß zu vermitteln und diesen auch selber zu verkörpern.“ Wenn das gelinge, sagte Baumgart, hätte er „schon viel gewonnen“.

HSV soll unter Baumgart konstanter werden

Gewinnen soll der HSV auch wieder – und zwar konstant. Erst zweimal in dieser Saison hat der Tabellendritte zwei Siege in Folge eingefahren. Der Rückstand auf den aktuellen Zweiten Holstein Kiel beträgt aktuell vier Punkte, Spitzenreiter und Stadtrivale FC St. Pauli liegt bereits sieben Punkte vor dem HSV.

Doch dieses Bild soll sich in den restlichen zwölf Saisonspielen verändern. „Es geht um den ersten oder zweiten Platz“, weiß Baumgart. Denn nach den negativen Relegationserfahrungen in den beiden zurückliegenden Jahren gegen Hertha und Stuttgart herrscht intern die Erwartungshaltung, mindestens Platz zwei zu erreichen.

Vom Erfolg der Mission Baumgart hängt auch die Zukunft Boldts ab. Wie berichtet, wird der Sportvorstand vom Aufsichtsrat des HSV zunehmend kritischer gesehen. Hauptkritikpunkt des Kontrollgremiums ist das mutmaßlich zu lange Festhalten an Ex-Trainer Walter, an dem Boldt nach einer durchwachsenen Hinrunde im Winter aus Überzeugung festgehalten hatte, obwohl der zu diesem Zeitpunkt in Köln frisch entlassene Baumgart bereits zur Verfügung stand.

Baumgart bei Wahl des Spielsystems flexibel

Selbst nach der Trennung Walters am Montag vor einer Woche dauerte es für eine erste Kontaktaufnahme mit Baumgart bis zum vergangenen Sonntagabend. „Ich freue mich, dass Jonas (Boldt, d. Red.) sich gemeldet und dann auch angerufen hat“, sagte der neue HSV-Coach, der sich mit dem Manager im Laufe des Montags auf einen Vertrag bis 2025 einigte. „Wir sind uns relativ schnell klar geworden, einen gemeinsamen Weg zu gehen.“ Dieser Weg soll von einem Fußball mit hoher Identität geprägt sein.

„Bei mir geht es um Prinzipien: eine hohe Aggressivität gegen den Ball (Pressing, d. Red.), ein hohes und mutiges Anlaufen und zu versuchen, immer Tore zu erzielen“, sagte Baumgart, der als taktisch flexibel gilt. Deshalb wird er vorerst auch nicht sein in Köln favorisiertes 4-2-3-1-System implementieren, sondern auf das bewährte 4-3-3 setzen.

„Ich finde das 4-3-3 nicht so schlecht“, sagte der HSV-Trainer, der sich bei der Systemfrage bereits „konkrete Gedanken“ gemacht habe. „Mit der Mannschaft haben wir viele Möglichkeiten“, sagte er und nannte ein 4-4-2 mit zwei tief stehenden Sechsern oder als Raute sowie das 4-3-3. Sicher sei nur, dass er „zu 99 Prozent mit der Viererkette agieren“ werde. Perspektivisch könnte der unter Walter nur selten berücksichtigte Angreifer Andras Nemeth auf mehr Einsatzzeit kommen, denn Baumgart favorisierte eine Variante mit zwei Spitzen. „Ich habe es ganz gern, wenn noch einer mehr vorne ist.“

HSV-Trainer Baumgart steht vor der Torwartfrage

Bevor Baumgart ein System mit zwei Stürmern einstudiert, muss er allerdings eine Entscheidung treffen, ob Matheo Raab im Tor bleibt oder mit Daniel Heuer Fernandes wieder die eigentliche Nummer eins zwischen die Pfosten rückt. Der neue Chefcoach wird sich in den nächsten Tagen ein Bild von seinen beiden Torhütern machen und in Absprache mit Torwarttrainer Sven Höhe eine Wahl für das Elversberg-Spiel treffen.

Nachdem Raab in Rostock durch einige Unsicherheiten auffiel und auch bei den beiden Gegentoren nicht glücklich aussah, wäre es nicht abwegig, wenn Baumgart im Tor einen erneuten Wechsel vornimmt, und sich dann auch für eine klare Regelung bis zum Saisonende entscheidet.

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Das offene Torhüterduell veranschaulicht die Qualität des Kaders, mit dem normalerweise mehr als nur Platz drei herausspringen müsste. „Es ist eine der besten Mannschaften der Zweiten Liga“, unterstrich Baumgart. „Wir sind auf jeder Position doppelt gut besetzt, ich sehe keine negativen Aspekte in dem Kader.“

Einen ersten persönlichen Eindruck von diesem Kader verschaffte sich der neue HSV-Trainer am Dienstagnachmittag. Ob er sich zuvor noch bei seiner Frau Katja meldete, ist zwar nicht bekannt. Dazu geraten wurde ihm aber. „Schreib bitte deiner Frau noch vor dem Training. Nicht, dass sie nervös wird, wenn du gleich nicht ans Handy gehst“, scherzte Pressesprecher Philipp Langer über Baumgarts „man wechselt die Frau häufiger als den Verein“-Aussage. Bislang ist jedenfalls nichts über einen Ehestreit im Hause Baumgart bekannt.