Hamburg. Im Volkspark erkannte einst nur Felix Magath das Talent des späteren Weltmeisters. Ein persönlicher Nachruf auf Andy Brehme von Dieter Matz.
So jung, so früh, unfassbar. Fußball-Deutschland trauert um Andreas Brehme, einen der größten Sport-Helden der Nation. Der Barmbeker Jung starb nun im Alter von nur 63 Jahren, sein Tod löst tiefe Trauer in mir aus. Wieso er, wieso jetzt, wie konnte das geschehen? Andreas Brehme hat die deutsche Fußballnationalmannschaft 1990 zum Weltmeistertitel geschossen, als er am 8. Juli in Rom im Finale gegen Argentinien einen Foulelfmeter zum 1:0-Sieg verwandelte. Dieser Schuss brachte ihn in alle Fußball-Geschichtsbücher dieser Welt.
Wie er nach diesem Treffer jubelte, wie er abdrehte und fast in einem Kreis lief, wie er vor Begeisterung schrie, wie er in diesem Moment gar nicht wusste wohin mit seiner Freude, wie er dann vor seinen Mannschaftskameraden eingefangen und fast erdrückt wurde – ich sehe das immer noch vor mir. Diese Lebendigkeit, dieser Enthusiasmus, Überschäumen von Willensstärke und Entschlossenheit – und nun sein plötzlicher und unerwarteter Tod durch Herzversagen. Entsetzlich.
Ich trauere mit seiner Mutter Waltraud und seinem Vater Bernd. Mit beiden bin ich in Barmbek groß geworden, auch mit Andreas. Wir haben alle für BU gespielt, für den HSV Barmbek-Uhlenhorst. Zwischen ihm, dem Weltmeister, und mir lagen zwölf Jahre, aber da er bereits mit vier Jahren für unseren Verein spielte, trafen wir uns immer wieder. Fast täglich, würde ich sagen, denn Andreas Brehme war ein Straßen-Fußballer. Entweder war er auf dem Rupprecht-Platz an der Steilshooper Straße, oder er kickte auf den Sportplätzen Langenfort.
Andreas Brehme war schon mit sechs Jahren eine Barmbeker Attraktion
Oft habe ich ihn mit seinem Vater beobachten können, beide haben jeden Tag trainiert. Bernd Brehme, der einst selbst eisenharter Verteidiger des SC Urania und von BU gewesen ist, hatte bereits früh das Talent seines Knaben erkannt und ihn immer und immer wieder im Einzeltraining gefördert und gefordert. Mitunter unglaublich hart. Bernd Brehme konnte unerbittlich sein. Ich habe Andreas manchmal auch weinen gesehen, wenn er am Ende seiner Kräfte war und nicht mehr konnte.
Schon in jüngsten Jahre war er eine Attraktion in Barmbek. Als BU im Jahre 1967 endlich seinen Rasenplatz einweihte, war der Bundesliga-Club HSV zu Gast. Andreas Brehme überreichte dem großen Uwe Seeler damals vor dem Spiel einen Wimpel – das Foto ging durch fast sämtliche Zeitungen Deutschlands. Nicht von ungefähr. Sechs Jahre war Andreas zu diesem Zeitpunkt alt, aber alle Barmbeker Fußballfans und viele darüber hinaus kannten ihn.
Andi Brehme war schon in jungen Jahren eine Ein-Mann-Show
Damals waren die Liga-Spiele von BU auf dem Rupprecht-Platz meistens sehr gut besucht. Zwischen 3000 und 5000 Zuschauer sahen oft zu. Die Schiedsrichter seiner Zeit hatten die Angewohnheit, den Spielball in der Halbzeitpause auf dem Anstoßpunkt liegen zu lassen. Das Zeichen für den kleinen Andy. Er flitzte auf den Grandplatz und bot den Fans eine unvergessliche Ein-Mann-Show. Indem er sich die große und auch schwere Lederkugel schnappte, und damit jonglierte.
Die Leute klatschten vor Begeisterung. Und mit dem auf dem Fuß tanzenden Ball marschierte Andreas auf das Tor am Klubheim zu. Nicht einmal flog die Kugel zu Boden. Auf den Rängen wurde dabei das Geraune groß und größer, die Fans bekamen vor lauter Staunen ihre Münder nicht zu.
Und wenn der kleine blonde Knabe am Strafraum angekommen war, dann drosch er die Kugel mit der Vehemenz eines kleinen Mannes ins Tor. Jeder Schuss wurde von den Zuschauern gefeiert, als hätte BU gerade ein Tor erzielt. Die Leute brüllten geradezu vor Ekstase und waren total aus dem Häuschen. Für die Bewirtung des Clubheimes waren diese Showeinlagen des kleinen Andreas Brehme fast schon geschäftsschädigend, denn die Zuschauer verzichteten liebend gern auf das Pausenbier oder die Bratwurst, nur um die fußballerischen Künste von Andreas Brehme sehen und bewundern zu können.
HSV lud Andreas Brehme zum Probetraining ein
Da wuchs ein ganz großes Talent heran. Das sahen alle, das wusste ein jeder. Die Schinderei von Vater und Sohn hatte sich gelohnt. Oft hieß es um den BU-Platz herum, dass dieser Brehme mit Sicherheit seinen Weg in die Bundesliga machen würde. Auch wenn einige stets auch Mitleid mit ihm hatten, weil sein Vater sehr, sehr viel von ihm abverlangte. Nicht selten hieß es hinter vorgehaltener Hand: „Hoffentlich übertreibt es der Bernd nicht mit seinem Sohn …“
Andreas machte ganz solide ene Ausbildung zum Maschinenschlosser, und mit bereits 17 Jahren spielte er in der Liga-Mannschaft und beeindruckte durch seine Beidfüßigkeit. Daran hatte der Vater stets gearbeitet, so lange, bis es keinen Unterschied zwischen rechts und links mehr gab.
Profi-Vereine wurden aufmerksam, so auch der HSV. Der lud Andreas Brehme zu einem einwöchigen Probetraining ein. Und ließ ihn am Ende der Woche mir nichts, dir nichts ziehen. Niemand sprach mit ihm, auch mit dem Vater nicht. Offenbar hatte der HSV kein Interesse. Auch Arminia Bielefeld sah sich das Talent an, befand aber: „Für die Bundesliga langt es nicht. . .“
Felix Magath erkannte das Talent Brehmes und empfahl ihn Saarbrücken
Einer aber hatte das Talent erkannt: Felix Magath. Der HSV-Mittelfeldspieler hatte Andreas eine Woche lang im Training gesehen und empfahl, weil kein anderer Verein wollte, dem Zweitliga-Verein 1. FC Saarbrücken (für den Magath einst gespielt hatte), dieses Verteidiger-Talent unter Vertrag zu nehmen. So geschah es, und damit war der Startschuss in eine Weltkarriere gegeben.
Nach einem Jahr Saarbrücken ging es zum 1. FC Kaiserslautern, 1985 wollte ihn der HSV dann doch, aber er zog es vor, zum FC Bayern nach München zu gehen. Damals schwärmte er mir vor: „Das ist ein Weltclub. Die haben für jede Situation und für jeden Spieler einen Betreuer, der alles für dich regelt. Das ist anders als beim HSV. Beim FC Bayern helfen sie dir rund um die Uhr, die unterstützen dich und geben alles. Das ist traumhaft.“
Andi Brehme, die Nationalmannschaft und das Wiedersehen
Märchenhaft ging es mit ihm weiter. Aus der Nationalmannschaft war er seit seinem Debüt im Februar 1984 nicht mehr wegzudenken, und dann wurde er von Inter Mailand verpflichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns aus den Augen verloren. Trafen uns aber wieder. Am 22. März 1989 gewann die Nationalmannschaft in Sofia 2:1 gegen Bulgarien, und nach dem Spiel wollte ich als Reporter des Hamburger Abendblattes Spieler-Stimmen „sammeln“.
Als ich die Katakomben des Stadions betrat, führte mein Kollege Raimund Hinko aus München gerade ein Interview mit Andreas Brehme. Ich ging vorbei, unsere Blicke trafen sich – er guckte für eine Sekunde nach unten, dann entfuhr es ihm: „Alter, was machst du denn hier, das ist ja unfassbar!“ Und damit war das Interview mit dem Kollegen erst einmal beendet, wir nahmen uns in die Arme – er noch im schweißnassen Trikot. Der Freude über das Wiedersehen zweier Barmbeker Jungs tat das keinerlei Abbruch.
Wir telefonierten in den Jahren danach immer wieder einmal, und Vater Brehme informierte mich auch gelegentlich, was Andreas so bewegt. Voller Stolz erzählte mir Bernd, dass der Filius seinen Eltern ein Auto geschenkt hatte, und dass er seinem Vater ein kleines Fitnessstudio hat einrichten lassen. So war Andreas, so ist er immer geblieben. Ein feiner Mensch, der nie abgehoben oder arrogant war, der nie vergessen hatte, woher er kommt. Aus dem Hamburger Arbeiter-Viertel Barmbek.
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1992 wechselte er von Mailand, wo er 1989 Italiens Fußballer des Jahres geworden war, zu Real Saragossa. Eigentlich sollten daraus drei Jahre werden, aber bereits nach einer Saison war Schluss, weil er sich mit dem damaligen Trainer überworfen hatte. Von 1993 bis 1998 spielte er wieder für Kaiserslautern, wurde noch einmal deutscher Meister, dann beendete er seine bilderbuchartige Karriere. Seine Trainerkarriere mit Stationen in Kaiserslautern und Unterhaching verlief nicht sehr glücklich. Zurück nach Hamburg zog es ihn nicht. Er lebte in Italien und zuletzt in München.
Unsere Treffen wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger. Einmal, nein noch mehrfach, hatten wir uns über seinen weltmeisterlichen Schuss von 1990 unterhalten. Ich werde es nie vergessen. Andreas geriet ins Schwärmen, er strahlte über das ganze Gesicht, wenn er sich erinnerte: „Lothar Matthäus wollte den Elfer nicht schießen, und der gefoulte Rudi Völler kam zu mir und sagte: ‚Andy, den haust du jetzt rein, und dann sind wir Weltmeister.‘ Zum Glück war er dann auch drin.“ Ganz Deutschland jubelte – und trauert jetzt. Um einen ganz großen Fußball-Helden aus Barmbek.