Hamburg. Im DFB-Pokal erledigte der Hertha-Angreifer den HSV fast im Alleingang. Vor dem Wiedersehen gibt es aber einige offene Frage.

Vor eineinhalb Wochen lud Fabian Reese ein Video auf Instagram hoch. Reese, weißer Oversized-Pullover, schwarze Kappe, silberne Halskette, sitzt dabei auf einem dunkelroten Stuhl in seiner Wohnung und wendet sich direkt an seine knapp 89.000 Follower. „Hey Leute“, beginnt der Flügelspieler von Hertha BSC, „mir liegt etwas auf dem Herzen.“

Eineinhalb Monate zuvor hatte sich Reese zum dritten Mal mit dem Coronavirus infiziert. Anders als bei den ersten beiden Infektionen verschlechterten sich seine Blutwerte, der 26-Jährige verpasste drei Zweitligaspiele, konnte auch nicht mit ins Trainingslager nach Spanien reisen. „Ich möchte mit euch über das Thema Gesundheit sprechen“, fährt Reese mit verschränken Händen in seinem Video fort. „Ich war krank. Leider brauchte ich Geduld, es hat alles etwas mehr Zeit gebraucht.“

HSV News: Reese schoss zuletzt drei Tore gegen den HSV

Am vergangenen Mittwoch stand der gebürtige Kieler erstmals nach 53 Tagen wieder in einem Pflichtspiel für Hertha auf dem Platz – und machte nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit sofort deutlich, wie sehr die Berliner auf ihn angewiesen sind. Verhindern konnte Reese das DFB-Pokal-Aus gegen den 1. FC Kaiserslautern zwar nicht mehr, erzielte bei der 1:3-Niederlage aber direkt wieder ein Tor.

Nicht eins, sondern gleich drei Tore hatte er in der Pokalrunde zuvor gegen den HSV geschossen. Zwei in der regulären Spielzeit, dazu ein Assist sowie der letztendlich entscheidende Elfmeter zum 8:6-Sieg gingen an jenem 9. Dezember auf das Konto des alle überragenden Hertha-Angreifers, den die Hamburger über 120 Minuten nicht in den Griff bekamen.

Walter gibt sich vor dem Wiedersehen selbstbewusst

An diesem Sonnabend (20.30 Uhr/Sky, Sport 1 und Liveticker auf abendblatt.de) kehrt der HSV ins Olympiastadion zurück. „Ich weiß, dass er in dem Spiel über die Maßen hinaus performt hat. Wir sind aber gut genug, um das abfangen zu können“, sagt HSV-Trainer Tim Walter über das Wiedersehen mit Reese, ohne den die Hertha in dieser Saison noch kein Pflichtspiel gewinnen konnte.

Hertha-Trainer Pal Dardai muss entscheiden, ob er Fabian Reese in die Startelf beordert.
Hertha-Trainer Pal Dardai muss entscheiden, ob er Fabian Reese in die Startelf beordert. © DPA Images | Jörg Halisch

Wie viel Spielzeit Reese gegen den HSV erhält, ist derweil noch unklar. „Wir sind gegen Kaiserslautern ein Risiko gegangen, er hat das mitgetragen. Er wurde voll belastet, hatte einen guten Muskelkater“, sagte Hertha-Trainer Pal Dardai am Freitag. „Jetzt muss man aufpassen. Wir haben gesagt, dass wir nach zwei Tagen Regeneration schauen, ob es für einen Kurzeinsatz oder eine Halbzeit reicht.“

Hertha BSC befindet sich in einer schwierigen Situation

Der Hauptstadtclub befindet sich allerdings in einer schwierigen Situation. Einerseits muss der Tabellenzehnte Reese für die restliche Saison schützen, andererseits weiß dieser aber auch, dass der Traum vom direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga bei einer Niederlage gegen den HSV wohl endgültig geplatzt wäre. „Wir haben noch 15 Spiele, noch ist alles möglich“, sagte Reese zuletzt.

Der Offensivakteur ist ein Mensch, der genau auf seinen Körper achtet. „Ich möchte euch sagen: Hört auf euren Bauch, achtet darauf, was euer Körper euch sagt“, sagt Reese in seinem Instagram-Video, lächelt leicht und fügt nach einer kurzen Pause an: „Gesundheit ist alles. Und ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Amen. An dieser Stelle wäre es nun ketzerisch zu fragen, ob Reese nach dieser potenziellen Wandtattoo-Floskel noch ein paar tibetische Räucherstäbchen anzündete und zur Klangschalen-Meditation überging.

Reese steht für Werte öffentlich ein

Tatsächlich mag es auf einige Menschen erst einmal skurril wirken, wenn ein 26-Jähriger auf Social Media mit Lebensweisheiten eines 96-Jährigen um sich wirft. Wer aber weiß, mit welcher Überzeugung Reese nicht nur in diesem einen Instagram-Video für Werte wie Achtsamkeit, Mut, Toleranz und Gleichberechtigung einsteht, darf diese pathetische Ansagen durchaus ernstnehmen.

podcast-image

Reese scheut sich nicht, seine Meinung öffentlich zu sagen, hat keine Angst vor einer extravaganten Frisur und lackierten Fingernägeln. „Traut euch einfach! Es ist völlig egal, was andere sagen“, sagte er einmal dem Magazin „11 Freunde“. Auch für die „Zeit“ posierte Reese, dessen Freundin Johanna passenderweise Mode in Berlin studiert, einmal im rosa Plüsch-Pullover und Damen-Winterstiefeln. Es sind bewusste Statements, die der selbstbewusste Profi immer wieder setzt.

Reeses Weg führt im Sommer wohl in die Bundesliga

Sportlich ist er für den Hauptstadtclub ohnehin unverzichtbar. Nachdem Reese im vergangenen Sommer von Holstein Kiel zum Bundesligaabsteiger gewechselt war, wurde er auf Anhieb Leistungsträger und Co-Kapitän. Der Führungsspieler geht jedoch nicht nur mit seinen Toren vorweg, sondern auch mit seiner Einstellung. „Es war ein bisschen anders geplant, ich sollte eigentlich nicht so von Null auf 100 gehen. Wer mich kennt, der weiß aber, dass ich immer alles gebe. Ich glaube, das Team hat es gebraucht“, sagte Reese nach seinem 45-minütigen Comeback im Pokalspiel gegen Kaiserslautern. Trainer Dardai ergänzte: „Er hat alles für die Mannschaft gegeben, das war sehr vorbildlich.“

Trotz seines Bewusstseins für die eigene Gesundheit ist der frühere deutsche U-20-Nationalspieler überaus ehrgeizig. Es würde deshalb nicht überraschen, wenn er trotz aller Bedenken gegen den HSV in der Startelf stehen würde. Um seinen Traum, mit Berlin in der Bundesliga zu spielen, mit einem Sieg weiterleben zu lassen. Unterschrieben hatte er bei der Hertha bereits im vergangenen Winter, als diese noch in der Ersten Liga spielte. „Die Bundesliga war mein klares Ziel, das muss ich offen und ehrlich sagen“, gab Reese einmal zu. Sollte der Aufstieg im Sommer nicht gelingen, dürfte sein Weg dennoch ins deutsche Fußball-Oberhaus führen.

Mehr zum Thema

Sorgen äußerte HSV-Coach Walter vor dem Spiel dennoch nicht. Während im Pokalspiel die 19 Jahre jungen William Mikelbrencis und Nicolas Oliveira gegen Reese überfordert waren, steht nun in Ignace Van der Brempt wieder der etatmäßige Rechtsverteidiger bei den Hamburgern zur Verfügung. Im Dezember hatte der Belgier noch mit muskulären Problemen gefehlt. „Ich glaube, dass Ignace schnell genug ist, wie auch der gesamte Verbund meiner Abwehrspieler. Wir haben viel daran gearbeitet, zu blocken und den Spieler vom Tor wegzuhalten“, sagte Walter. „Wir müssen alles im Verbund klären.“

Der Satz, den Reese zum Abschluss seines 98-sekündigen Instagram-Videos sagt, klingt dennoch fast wie eine Drohung: „Ich werde mit noch mehr Enthusiasmus zurückkommen.“ Der HSV ist gewarnt.