Hamburg. Der Verein wächst und wächst, doch die Probleme zwischen dem e.V. und der AG bleiben. Worum es bei der Mitgliederversammlung geht.
An den 25. Mai 2014 kann sich Ronald Wulff noch genau erinnern. Mitgliederversammlung im Volksparkstadion. Fast 10.000 Mitglieder sitzen auf der Westtribüne und warten auf das Ergebnis. Am Ende bricht großer Jubel aus, als 86,9 Prozent für die Ausgliederung der Profiabteilung in die HSV Fußball AG abstimmen. Es sollte der Aufbruch in eine erfolgreiche Ära werden. Zurück in die Spitze des deutschen Fußballs. Zurück in den Europapokal. Doch es kam anders. Zehn Jahre später ist der HSV Zweitligist. Und das schon im sechsten Jahr in Folge. „Das hätte ich mir niemals vorstellen können“, sagt Wulff.
Der frühere HSV-Präsident, der von 1993 bis 1995 zwei Jahre lang an der Spitze des Vereins stand, ist dem Abendblatt kurz vor der Mitgliederversammlung des HSV am Sonntag im CCH via Zoom verbunden, um im Podcast „HSV – wir müssen reden“ über eine erneute Strukturveränderung im Volkspark zu sprechen. Seit mehr als einem Jahr bereitet die Arbeitsgruppe Rechtsform einen möglichen Wechsel von der AG in eine KGaA vor. Vizepräsident Michael Papenfuß wird die Ergebnisse am Sonntag im Rahmen der Mitgliederversammlung präsentieren.
Außerordentliche Mitgliederversammlung im ersten Halbjahr geplant
Ziel ist es, noch im ersten Halbjahr auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung über einen Rechtsformwechsel abzustimmen. „Es ist nicht verkehrt, eine neue Rechtsform zu wählen. Aber das muss gut vorbereitet werden und nicht so, wie wir es 2014 gemacht haben“, sagt Wulff, der vor zehn Jahren als einer der wenigen gegen die HSV Fußball AG stimmte. „Ich bin für eine Ausgliederung gewesen, aber die Initiatoren haben die Mitglieder belogen. Die strategischen Partner standen angeblich Schlange. Und was ist gekommen? Gar nichts. Der Absturz ging immer weiter. Es wurde alles übers Knie gebrochen ohne System. Die Satzung wurde mit einer heißen Nadel gestrickt“, sagt Wulff heute.
Nach den Erfahrungen von 2014 sind viele Mitglieder vorsichtig geworden. Einig sind sich aber alle, dass die Trennung in AG und e.V. den HSV nicht weitergebracht hat. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu internen Machtkämpfen zwischen dem Präsidium des Vereins und dem Vorstand der AG. Wulff macht daher den Vorschlag, dass das Amt des Präsidenten nicht mehr unbezahlt ausgeübt werden sollte. „Bei so einem Verein mit so vielen Abteilungen könnte man darüber nachdenken, einen hauptamtlichen Präsidenten zu haben. Es ist nicht einfach, so ein Amt auszuführen“, sagt Wulff, der sich beim HSV an die ewigen Streitigkeiten zwischen den Gremienvertretern gewöhnt hat.
Auch aktuell gärt es mal wieder hinter den Kulissen. In einer der Hauptrollen: Präsident Marcell Jansen. Vor fünf Jahren wurde der langjährige HSV-Profi und Ex-Nationalspieler im Alter von 33 Jahren zum jüngsten HSV-Präsidenten der Vereinsgeschichte. Doch schon schnell überwarf er sich mit seinen Vizepräsidenten Thomas Schulz und Moritz Schäfer. Auch mit den Nachfolgern Michael Papenfuß und Bernd Wehmeyer gibt es mittlerweile Unstimmigkeiten. „Speziell Marcell hat nicht gerade glücklich gehandelt in den vergangenen zwei Jahren“, sagt auch der frühere Präsident Wulff.
Jansen will seine Amtszeit fortführen
Vor einem Jahr stellte sich Jansen einem Abwahlantrag und überstand diesen. In den Gremien des HSV hat der Präsident aber weiter an Rückhalt eingebüßt. Bei der jüngsten Hauptversammlung am 14. Dezember, bei der Jansen fehlte, soll sich der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG sogar geschlossen von Jansen distanziert haben. Trotzdem will der mittlerweile 38-Jährige im Amt bleiben und seine Agenda „Vereint 2025“ bis zum Ende seiner Präsidentschaft im kommenden Jahr fortführen.
Im Januar 2024 stellt sich das Bild zwischen e.V. und AG währenddessen mal wieder als ziemlich unvereint dar. Dabei können beide Seiten eigentlich auf eine gute Entwicklung im vergangenen Jahr zurückblicken. Während die AG trotz des erneut verpassten Aufstiegs mit einem Gewinn von 7,8 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2022/23 die beste Bilanz seit mehr als zehn Jahren veröffentlichen konnte, freut sich auch der e.V. über einen satten Gewinn. Der Verein um Geschäftsführer Kumar Tschana bilanziert einen Gewinn von 1,7 Millionen Euro. Hintergrund dieses Ergebnisses ist die Ausbuchung eines Darlehens von der HSV Fußball AG im Zusammenhang mit der Ausgliederung im Jahr 2014.
Den größten Erfolg konnte der Verein im vergangenen Jahr im Mitgliederzuwachs verzeichnen. Im Herbst knackte der HSV als sechster Verein in Deutschland die Marke von 100.000 Mitgliedern. Zum Vergleich: Als Wulff 1995 von Uwe Seeler als Präsident beerbt wurde, hatte der HSV gerade einmal 7000 Mitglieder. Stand Januar sind es sogar schon 105.000, davon 8000 aktive. Eine Erfolgsgeschichte, die vor allem auch dank des Zuwachses in der jüngeren Generation möglich wurde. Der HSV boomt wie nie zuvor. Der Verein ist im Wandel. Und arbeitet nun an einer Strukturreform, um sich noch zukunftsfähiger aufzustellen.
Nur rund 500 Mitglieder werden am Sonntag erwartet
Am Sonntag wird davon aber nur wenig zu spüren sein. Nicht einmal 0,5 Prozent aller Mitglieder werden im CCH erwartet. Während vor einem Jahr noch 687 anwesend, werden in diesem Jahr nur rund 500 Gäste erwartet. Dabei gibt es gute Gründe, sich über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Rechtsform zu informieren. Schließlich geht es bei der Frage nach einer GmbH Co. KGaA oder einer AG Co. KGaA um die Frage, welche Rolle der Aufsichtsrat künftig noch spielt und in welcher Form die operative Führung der HSV Fußball AG kontrolliert wird.
Ronald Wulff, der zwischen 2000 und 2014 viele Jahre als Aufsichtsrat des HSV tätig war, sieht in der Besetzung des Kontrollgremiums die größte Verbesserung im Zuge der Ausgliederung vor zehn Jahren. „Ich bin froh, dass die Aufsichtsratskandidaten nicht mehr auf der Mitgliederversammlung gewählt werden, sondern dass der Beirat entscheidet, wer geeignet ist und nicht irgendwelche Leute nur deshalb gewählt werden, weil sie gut reden können oder ein HSV-Trikot tragen.“
Immer wieder Unstimmigkeiten um den Aufsichtsrat
Doch trotz der professionelleren Prüfung der Aufsichtsräte durch den Beirat kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten bei der Besetzung des Gremiums. Marcell Jansen zog vor einem Jahr den Unmut der Aktionäre auf sich, als er als Präsident die Aufsichtsratsmitglieder Lena Schrum und Hans-Walter Peters austauschen wollte. Seine Vizepräsidenten Papenfuß und Wehmeyer überstimmten ihn gleich mehrfach.
Trotzdem trieb Jansen zuletzt seine Vorstellungen von einer Veränderung des Aufsichtsrats voran. Dabei sorgte er mit einem „Leitplankenpapier“ hinter den Kulissen für Wirbel. Wie das Abendblatt bereits berichtete, wollte er dem neuen Anteilseigner HanseMerkur im August ein vom Präsidium unterschriebenes Papier mit zu einem Treffen mit dem neuen Gesellschafter bringen.
Jansen stellte sechs Leitplanken zu seinen Zukunftsvorstellungen des HSV zusammen. Unter anderem schrieb Jansen darin von einer optimierten Vorstandsstruktur mit einem Vorstandsvorsitzenden sowie seiner Idee, dass bedeutende Gesellschafter künftig einen Sitz im Aufsichtsrat der HSV Fußball AG haben sollten. Mit diesem Papier wollte er auf mögliche Nachfragen der HanseMerkur vorbereitet gewesen sein.
Die Hamburger Versicherungsgruppe hat im Dezember dem bisherigen Gesellschafter Thomas Wüstefeld und seiner CaLeJo GmbH 6,77 Prozent Anteile an der HSV Fußball AG abgekauft und ist nun nach dem e.V. (75,1) sowie der Kühne Holding um Milliardär Klaus-Michael Kühne (13,51) der drittgrößte Gesellschafter des HSV. Dass ein großes Hamburger Unternehmen jetzt beim HSV als Anteilseigner eingestiegen ist, sorgte im Präsidium für Freude.
Auch Ex-Präsident Wulff, der bereits in seiner Zeit als Vereinsvorsitzender Anfang der 1990-er Jahre Probleme hatte, die Hamburger Wirtschaft für den HSV zu begeistern, sieht diesen Deal positiv. „Ich bin dankbar, dass die HanseMerkur jetzt dabei ist“, sagt Wulff.
Kleinaktionäre drohten mit Rückzug
Doch das sehen rund um den HSV nicht alle so. Im Vorstand gibt es Vorbehalte gegen die Versicherung. Und auch die Minderheitsaktionäre sprachen sich auf der Hauptversammlung des e.V. im Dezember, auf der der Anteilsübertrag vollzogen wurde, deutlich gegen die HanseMerkur aus. Wie das Abendblatt erfuhr, sollen die Kleinaktionäre um die Ampri Handelsgesellschaft, die Familie Burmeister sowie Agrarunternehmer Helmut Bohnhorst während der Sitzung sogar damit gedroht haben, sich als Anteilseigner zurückzuziehen, sollte dem Aktienübertrag von Wüstefeld an die HanseMerkur durch die Hauptversammlung zugestimmt werden.
Zurückzuführen ist dieses Misstrauen vor allem auf die gestörte Kommunikationskultur zwischen der AG und dem e.V. Die Minderheitsaktionäre hatten Präsident Jansen bereits im Herbst 2022 das Vertrauen entzogen.
Jansen selbst schließt einen Rücktritt aber weiterhin aus. Einen neuerlichen Abwahlantrag wird es am Sonntag bei der Mitgliederversammlung nicht geben. „Es ist nichts Großes zu erwarten, das für Unruhe sorgen wird“, sagt auch Ex-Präsident Wulff, der trotzdem gerne zur Versammlung gekommen wäre, hätte er nicht gerade eine Operation hinter sich gebracht. Weil Wulff am 19. Oktober ein künstliches Kniegelenk eingesetzt wurde, hält er sich noch zur Reha in der Schön Klinik in Neustadt an der Ostsee auf. Eigentlich wollte Wulff auch wie im vergangenen Jahr ins Trainingslager des HSV nach Sotogrande reisen, doch die Operation durchkreuzte seine Pläne.
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Der Verein hat den langjährigen HSV-Funktionär in jedem Fall nie losgelassen. „Der HSV ist meine Herzensangelegenheit. Der Verein ist für mich eine Heimat“, sagt Wulff, der gerade erst seinem jüngsten Enkelkind zu Weihnachten eine lebenslange Mitgliedschaft geschenkt hat. Zu den 800 lebenslangen Mitgliedern gehört mittlerweile auch Sportvorstand Jonas Boldt, der dieses Zeichen zur Feier des 100.000 Mitglieds setzte. Zumindest rund um dieses Ereignis haben der Verein und die AG Einigkeit demonstriert. Einig sind sich beim HSV nun aber alle, dass es mal wieder Zeit ist für Veränderungen.