Hamburg. Sportjournalist Dieter Matz erinnert sich zurück an sein erstes Interview mit dem am Sonntag verstorbenen Franz Beckenbauer.
Plötzlich stand er vor mir. Schwarze Jeans, schwarzer Pullover mit V-Ausschnitt, durch seine nassen Haare fuhr er mit einem Handtuch, und er lächelte, als träfe er einen Freund. Franz Beckenbauer stand im Kabinentrakt von HSV-Ochsenzoll, und er hatte in diesem Moment so gar nichts von einem Weltstar.
Das alles geschah im Winter 1981, unser Treffen hatte der damalige HSV-Busfahrer Willi Meier, der ein Halbbruder von Comedian Atze Schröder hätte sein können, arrangiert. Meier hatte mich, den kleinen Journalisten der kleinen Norderstedter Zeitung „Heimatspiegel“, zur Lichtgestalt des deutschen Fußballs geführt und ihm gesagt: „Du, Franz, der Dieter möchte ein Interview mit dir führen – und zwar noch heute.“
Dieter Matz erinnert sich an sein erstes Interview mit Fußball-Legende Franz Beckenbauer
Was so einfach ausgesprochen war, entpuppte sich schnell als schwierig, als fast unmöglich. Beckenbauer aber erwiderte nach kurzer Überlegungsphase: „Das wird nicht einfach. Ich werde erst am Abend wieder in meinem Hotel in Hamburg sein, und um 19.30 Uhr überträgt das ZDF zum ersten Mal live aus der Metropolitan-Oper New York. Die habe ich während meiner Zeit bei Cosmos New York kennen und lieben gelernt, diese Übertragung will ich mir nicht entgehen lassen.“
Pech gehabt, so schnell zerplatzen dann eben Träume. Franz Beckenbauer aber fügte noch hinzu: „Wenn Sie um 19 Uhr im Hotel sein können, dann könnten wir das Interview bis 19.30 Uhr schaffen – wenn Sie damit einverstanden sind.“ Und wie! Um 19 Uhr saßen wir zusammen. Seine damalige Lebensgefährtin Diana Sandmann war zwar anwesend, saß aber in einem anderen Zimmer.
Beckenbauer und ich sprachen über die Auslosung der WM 1982, über den HSV und auch ein bisschen über ihn privat. Und ich dachte bei diesem Gespräch immer wieder an jene Menschen, die Franz Beckenbauer stets als „abgehoben, überheblich und arrogant“ abgestempelt hatten. Genau das Gegenteil war der Fall. Der „Kaiser“ war höflich und zuvorkommend, er war einfach ein Mensch wie du und ich, er war genial.
Aha-Erlebnis: Wie Franz Beckenbauer seine Haltung gegenüber Journalisten änderte
Ich war total verblüfft und erstaunt. So ein feiner und großartiger Mensch. Ich war fassungslos vor Freude, und ich gab ihm gegenüber sogar zu, dass ich ihn so absolut nicht erwartet hätte. Eher so: Hier ein paar Fragen, dort ein paar Antworten, vielen Dank, auf Wiedersehen, schönen Abend noch mit der Oper aus New York.
So hätte es laufen können, und alles wäre prima gewesen, aber dann verriet mir der große Franz Beckenbauer plötzlich über sich: „Früher war ich anders. Als Spieler des FC Bayern habe ich um Journalisten einen großen Bogen gemacht. Ich habe mit ihnen gespielt. Wenn sie bei Eis und Schnee und minus 15 Grad bei mir in Grünwald vor der Haustür waren, geklingelt und auf mich gewartet hatten, habe ich mich hinter die Gardinen gestellt und sie beobachtet. Ein Interview bekamen sie nicht.“
Ein Geständnis dieser Art hatte ich nie erwartet. Aber es wurde noch besser: „Erst als ich bei Cosmos in New York gespielt habe, bin ich aufgewacht. Ich lief dort durch die Straßen, und niemand erkannte mich, keiner wollte etwas von mir. Ich war ein Nobody. Das war mein Aha-Erlebnis. Ich dachte deshalb darüber nach, was ich bislang falsch gemacht hatte. Und kam zu der Erkenntnis: Wenn ein Chef einer Zeitung ein Interview von mir haben wollte, schickte er einen Mann seiner Zeitung zu mir. Meier, Müller oder Schulz. Egal. Derjenige, der zu mir kam, hatte seinen Auftrag zu erfüllen. Wenn nicht Meier, dann Müller, wenn beide nicht, dann Schulz. Daraus zog ich meine Lehren und wollte künftig kooperativer sein. Und das bin ich tatsächlich geworden.“
„Franz Beckenbauer einfach nur freundlich, höflich und nett“
Ich konnte es nicht glauben. Franz Beckenbauer hatte sich mir erklärt, hatte vor mir seine Hose heruntergelassen. Unser Interview näherte sich der 19.30-Uhr-Grenze. Franz Beckenbauer sprach weiter, er sprach gelassen und ruhig, aber noch nicht vom Ende. Als die TV-Übertragung begann, rief Diana Sandmann nach ihrem Franz – aber der plauderte munter weiter über Fußball. Erst als der Uhrzeiger auf 19.45 vorgerückt war, kamen wir zum Schluss. Ohne jede Hektik, ohne Ärger darüber, vielleicht schon etwas aus New York verpasst zu haben – einfach nur freundlich, höflich und nett. Ein für mich unfassbar toller Tag hatte ein solch feines Ende gefunden.
Das ganze Interview fand übrigens per Sie statt. Eigentlich ein Novum, Journalisten und Spieler duzen sich. Ich wäre bei Franz Beckenbauer allerdings nie auf die Idee gekommen, ihn zu duzen. Was mir beim HSV über einige Jahre noch mit einem zweiten Spieler nicht gelang: Horst Hrubesch, aber das ist ein anderes Thema. Nach seinem Karriereende beim HSV liefen wir uns, der „Kaiser“ (als DFB-Teamchef) und ich, noch über Jahre oft über den Weg. In keinem einzigen Fall gab es dabei auch nur den kleinsten Hauch von Arroganz, Überheblichkeit oder Desinteresse.
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Immer einen „guten Tag“, oft einen vertraulichen Händedruck, mitunter eine kleine Plauderei über den HSV von heute. Ein einfach nur großartiges Verhalten von Beckenbauer, dass auch der große Uwe Seeler an Franz immer und immer wieder in höchsten Tönen gelobt hat: „So ein feiner Mensch, ein wahrer Freund, ein toller Kerl.“ Die Ehrenspielführer und „Schneeforscher“ hätten Brüder sein können, der Uwe und der Franz, denn sie waren sich in Sachen Menschlichkeit so ähnlich. Fantastische Menschen. Sie werden ihre feine Freundschaft nun im Himmel fortführen können. Und das auch ganz sicher genießen.